Als sich die Grafinger im November 2008 in der Stadthalle zur alljährlichen Bürgerversammlung trafen, wollte der damalige Bürgermeister Rudolf Heiler am liebsten gar nicht viel reden. Zumindest nicht über seine Meinung zur Grafinger Ostumfahrung. Deren Bürgerentscheid stand ein paar Wochen später in den Kalendern. Heiler begründete seine Zugeknöpftheit mit dem Neutralitätsgebot, das mit dem Amt des Bürgermeisters nun mal einher gehe. Ähnlich verhielt sich Heilers Nachfolgerin Angelika Obermayr ein paar Jahre später, als die Grafinger über die Dauer ihres Weihnachtsmarkts entscheiden sollten. Heiler, damals CSU, und Obermayr, Grüne, einte, dass sie kein Geheimnis aus ihrer Haltung machten. Einmal pro Ostumfahrung, ein andermal für den ungekürzten Weihnachtsmarkt. Wohl aber, dass sie ihren Anliegen nicht mit der Prominenz ihres Wahlamtes Nachdruck verliehen.
Der Nachfolger der beiden, Bürgermeister Christian Bauer (CSU), sieht die Dinge weniger eng. Am Dienstagnachmittag verschickte sein Rathaus den Aufruf zur "zentralen Protestveranstaltung" respektive "Bürgerprotest gegen den derzeitigen Planungsstand zum Brennernordzulauf". Im Anschreiben steht, ein paar Zeilen überm Grafinger Stadtwappen: "Helfen Sie uns eine große, öffentliche und mediale Aufmerksamkeit zu erreichen." In dem Aufruf selbst formuliert der Bürgermeister schmissige Sätze wie: "Es geht hier um unsere Heimat" , "umso mehr dürfen wir den Proteststrom nicht abreißen lassen". Es ist Bauers zweiter Demo-Aufruf in diesem Duktus binnen weniger Wochen.
Er wird damit in weiten Teilen der betroffenen Öffentlichkeit Zustimmung ernten, keine Frage. Fragwürdig ist allerdings, dass ein Bürgermeister aus seinem Bürgermeisterzimmer heraus wochenendliche Bürgerproteste organisiert. Auch rechtlich ist es das, wie das Bundesverwaltungsgericht gegen einen früheren Düsseldorfer Oberbürgermeister urteilte, der von dort zur Protestveranstaltung gegen den örtlichen "Pegida"-Ableger aufgerufen hatte. Kommunale Wahlbeamte - auch Bauer ist ein solcher - seien grundsätzlich befugt, sich im Rahmen ihres Aufgabenbereichs zu Themen der örtlichen Gemeinschaft öffentlich zu äußern, befand das Gericht. Aus dem Demokratieprinzip folge jedoch, dass Amtsträger sich am politischen Meinungsbildungsprozess der Bevölkerung beteiligen, ihn aber nicht lenken und steuern dürfen (BVerwG 10 C 6.16 - Urteil vom 13. September 2017).
Es wäre also angebracht, dass Bauer - zumindest aus dem Amt des Bürgermeisters heraus - bei künftigen Demo-Aufrufen das politische Lenkrad loslässt. Hinfahren kann er ja trotzdem.