Süddeutsche Zeitung

Umzug:300 Menschen demonstrieren beim "Friday for Future" in Grafing

Beim ersten FFF im Kreis Ebersberg kommen größtenteils Kinder und Jugendliche. Aus Rücksicht auf die Mathe-Abiturienten startet die Demo später als üblich.

Reportage von Viktoria Spinrad, Grafing

Eben saß sie noch im Klassenzimmer. Jetzt steht Paula mit roter Trillerpfeife im Mund zwischen vier Freundinnen und hält ein Plakat hoch: "Rettet die Erde!", hat die Elfjährige mit blauem Filzstift geschrieben und das Bild eines kranken Planeten mit Fieberthermometer im Mund gezeichnet. Die Grafinger Fünftklässlerin mit der grauen Kapuzenjacke ist am Freitagnachmittag in den Grafinger Stadtpark gekommen, "weil die Politiker sehen sollen, dass sie etwas tun müssen und wir sie sonst nicht mehr wählen".

Paula ist eine von rund 300 Menschen, mit denen die "Fridays for Future"-Klimademonstrationen nun auch im Landkreis Ebersberg angekommen sind. Während sich beim Klimaprotest im nordrhein-westfälischen Essen die Generationen einen Schlagabtausch lieferten, ging es in Grafing eher einträchtig zu: Weil man die Mathe-Abiturienten am Freitag nicht stören wollte, wurden die Kundgebung und der Rundmarsch durch die Stadt auf den Nachmittag gelegt.

"Genug ist genug", ruft Miriam Boehlke in ein Mikro unter dem kleinen Pavillon, neben den sich auch Paula mit ihren Freundinnen positioniert hat. Wie sie war Boehlke früher selber Schülerin am Grafinger Gymnasium. Um die Klimaproteste in den Landkreis zu holen, war die 27-Jährige auf den Kreisjugendring zugegangen, der die Schülerproteste dann als Facebook-Veranstaltung organisiert hat.

Vor ihr hatten unter dem Pavillon bereits zwei Grafinger Schüler Paula und den anderen Schulkindern eingeheizt. "Plastik braucht mehr als 100 Jahre, um sich in Mikroplastik aufzulösen", mahnt die 13-jährige Luisa Horninger; die gleichaltrige Kerstin Brüggerhoff appelliert an ihre Mitschüler: "Man kann auch auf Recyclingpapier schreiben, das ist sogar billiger." Und Paula? Bläst in ihre rote Trillerpfeife, was das Zeug hält.

Um dann, wie auch in der großen Politik, echte Ausdauer zu beweisen und fast eine Stunde lang auf ihrem Plakat das Bild der kranken Erde hochzurecken. Die Forderungen der Schüler sind wie aus einem Guss: "We are cool kids saving a hot planet", prangt auf dem Banner der Schüler, die vorne marschieren. Ansonsten: "Kohlekraftwerke abschalten", "Rettet unseren Planeten", "Werft keinen Müll ins Meer" oder "Fahrrad und Bahn statt Auto".

Mit letzterem unterwegs ist Astrid Krüsner - und wird so eher ungeplant Zeugin der ersten "FFF"-Demo im Landkreis. Die 51-Jährige lehnt wartend vor dem Weinladen in der Grafinger Innenstadt und nimmt sowohl die Verzögerung als auch die allgemeine Kritik an den Schülerdemos gelassen: "Die verstehen das schon alles. Und mit der Masse ergibt sich eine Durchschlagskraft", sagt sie.

Anders sieht es Daniela Zwerger. Mit verschränkten Armen steht die 30-Jährige mit den langen dunklen Haaren vor dem Juwelierladen und beobachtet die Schüler, die jetzt "wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut" rufen. Sie hat Zweifel daran, ob man die Forderungen der Kinder ernstnehmen kann: "Ich weiß nicht, ob die für das Thema nicht zu jung sind."

Dabei haben die Schüler durchaus konkrete Ideen, wie sich der Klimaschutz noch mehr vorantreiben ließe. Eine Gruppe von vier Buben hat sich einen zunächst scheinbar unkonventionellen Sprechgesang überlegt. Sie rufen "FC Bayern". Auf Nachfrage klärt der elfjährige Dennis auf: "Auch die Spieler des FC Bayern könnten Vorbild sein" - nämlich, indem sie mit der Bahn zu ihren Spielen fahren. Auch für Grafing hat Dennis eine Idee: "Hier könnte es doch einen Fahrradverleih wie in München geben."

Während Paula inmitten ihrer Freundinnen etwas weiter vorne ihr Plakat eisern hochhält und jetzt "Kohlestopp, hop, hop, hop" singt, marschieren Lehrer, Eltern, Großeltern und Politiker diesmal hinter ihren Schützlingen her. Zum Beispiel die stellvertretende Landrätin, Waltraud Gruber. Die Grünen-Politikerin im grünen Regenmantel freut sich, dass die weltweiten Proteste nun auch auf dem Land angekommen sind: "Das gibt mir Mut."

Würde es Sinn machen, es der Stadt Konstanz gleichzumachen und im Landkreis Ebersberg den Klimanotstand auszurufen, um alle Entscheidungen unter Klimavorbehalt zu stellen? Gruber verweist auf das Ziel des Landkreises, bis 2030 frei von fossilen und anderen endlichen Energieträgern zu werden. Neben ihr marschiert Helmut Obermaier von den Zornedinger Grünen, er schüttelt jetzt den Kopf. Zumindest Zorneding sei von diesem Ziel "noch weiter entfernt als die Bundespolitik vom Pariser Klimaabkommen". Einen Knackpunkt für lokale Klimapolitik sieht die Grafinger Bürgermeisterin Angelika Obermayr (Grüne) im Verkehr: Viele Menschen hegten solch eine große Liebe zum Auto, "da fühle ich mich manchmal hilflos", so Obermayr.

Der Umzug ist vorbei, Paula hat ihr Plakat niedergelegt und spielt mit Freundinnen im Stadtpark. Wie war die erste Demo? Die Gruppe ist sich einig: Es ist ein tolles Gefühl, die eigene Meinung zu sagen. Vor allem, "dass andere geguckt haben, was wir machen", so Paula. Sie denkt an die vielen Autos und die Warnhinweise in Tiefgaragen, "Vergiftungsgefahr". "Irgendwann laufen wir alle mit Gasmasken rum", sagt ihre Freundin. Paula verzieht das Gesicht: "Das fänd ich aber wirklich blöd."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4431562
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 04.05.2019/koei
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.