Süddeutsche Zeitung

Glücksfall für Ebersberg:Spürnase mit Herz

Antje Berberich, die sich in Ebersberg bereits seit fast 30 Jahren für Historie, Kunst und Soziales einsetzt, feiert 80. Geburtstag

Von Anja Blum, Ebersberg

Jeder Mensch ist einzigartig, freilich. Aber es gibt auch solche, die noch ein bisschen einzigartiger sind als andere. Zu diesen zählt Antje Berberich, die an diesem Donnerstag, 21. Mai, ihren 80. Geburtstag feiert. Überrascht? Ja, ihre scheinbare Alterslosigkeit, ihr unfassbarer Elan, ihre geistige wie körperliche Beweglichkeit gehören ebenfalls zu den Dingen, die diese Frau zu etwas ganz Besonderem machen. Erst kürzlich, als 79-Jährige, hat sie einen weiteren Arbeitsvertrag mit der Stadt Ebersberg unterzeichnet: Antje Berberich wird dem Rathaus noch ein 27. Jahr zur Verfügung stehen. Als Leiterin des Archivs sowie als Galeristin. Und als schier unversiegbarer Quell an Ideen. Gerade hat sie alle Kinder dazu aufgerufen, Bilder oder Bastelarbeiten vorbeizubringen, die sie in der Corona-Zeit geschaffen haben. Für eine Ausstellung. Nebenbei arbeitet sie am Umzug des Archivbestands in ein neues Lager, ist einem vergessenen Ebersberger Widerstandskämpfer auf der Spur und recherchiert zur Vita des Arztes und Ehrenbürgers Theodor Floßmann.

Antje Berberich sei für die Stadt ein "Juwel", sagt Walter Brilmayer, der soeben aus Altersgründen das Bürgermeisteramt abgegeben hat, im Brustton der Überzeugung. Und er muss es wissen, hat er doch viele Jahre mit Berberich zusammengearbeitet. 1994 eroberten sie zusammen das frisch renovierte Rathaus. Er sollte 26 Jahre lang mit sicherer Hand die Geschicke der Stadt lenken, sie das Archiv auf Vordermann bringen, eine beachtliche städtische Kunstsammlung initiieren und die anfangs leeren Wände des historischen Hauses um zahlreiche Ausstellungen bereichern. Mittlerweile sind es mehr als 300. Auf Wunsch Brilmayers aber haben die beiden das Rathaus nun nicht gemeinsam verlassen: Berberich wird sich weiter um die Historie und Kunst der Kreisstadt bemühen - bis eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger gefunden ist.

Obgleich Rathausangestellte, sei Antje Berberich nie eine "klassischer Beamtin" gewesen, sagt Brilmayer und lacht. "Wenn sie eine Idee hatte, musste es immer schnell, schnell gehen. Aber auch wenn es dann mal schwierig wurde, ist sie immer gelassen geblieben, und hat es am Ende dann doch wunderbar hingekriegt." Unerschütterlicher Optimismus, Zuversicht, Mut, Kreativität - all das zeichne Berberich eben aus. Und ein unerhörtes Maß an Engagement: Obwohl sie nur eine Teilzeitstelle bezahlt bekommt, verbringt die Archivchefin auch mal Tag und Nacht im Rathaus, wenn sie das als nötig erachtet. Sich um Geschichte und Kunst zu kümmern, empfindet sie nicht als Beruf, es ist ihr Berufung. Und stets denkt sie, Mitbegründerin des Historischen Vereins für den Landkreis, beides zusammen, gemäß ihrer Maxime, wonach alles geschichtlich ist. So ist es ihr gerade auch ein Anliegen, längst vergessene Künstler wiederzuentdecken und ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen. Zuletzt erfuhr Kurt Heuser, ein Afrikaforscher, Maler, Drehbuchautor und Schriftsteller aus Ebersberg dank Berberichs Engagement die ihm zustehende Aufmerksamkeit - und die Liste ließe sich beliebig fortführen.

Schon lange ist Antje Berberich eine der profiliertesten Persönlichkeiten des kulturellen und öffentlichen Lebens im Landkreis. Dabei war eine solche Biografie alles andere als vorgezeichnet: Antje Berberich wuchs in Siebenbürgen auf, erst 1972 kam sie als Aussiedlerin von Rumänien nach Deutschland. Zwar lernte sie als Tochter einer angesehenen Industriellenfamilie am Gymnasium in Kronstadt Sprachen, lernte das internationale Kulturleben kennen und bereiste als Basketballspielerin die Regionen des Vielvölkerlandes. Doch als dann ihre Familie im Zuge der kommunistischen Machtübernahme 1948 ihr Hab und Gut verlor und der Vater ins russische Arbeitslager geschickt wurde, da verdüsterten sich die Zukunftsaussichten der jungen Frau dramatisch. Doch innere Emigration war Berberichs Sache nicht: Angesichts politischer Unfreiheit und ökonomischer Misere, enttäuscht von der Fixierung der Kunst auf die Vorgaben des Sozialistischen Realismus, wagte sie einen Neuanfang. Sie kehrte ihrer Heimat den Rücken und landete, nach Stationen in Nürnberg, Ingolstadt und München, schließlich in Ebersberg. Einer Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst, der sie als Spitzel anzuwerben versuchte, konnte Berberich sich bis zur Ausreise erfolgreich widersetzen.

Die Erfahrung einer kommunistischen Diktatur blieb indes nicht folgenlos: Antje Berberich legt ihrem vielfältigen Schaffen einen entschieden demokratischen Kulturbegriff zugrunde. Egal, ob sie Schüler durch ihr Archiv führt, zur Vernissage ins Rathaus einlädt, ihre neuen historischen Erkenntnisse in Aufsätzen darlegt, Infotafeln an Straßenschildern oder historischen Häusern anbringt: Immer geht es ihr im besten Sinne um Aufklärung, darum, Einheimische wie Besucher über die Historie und die Kunst in Ebersberg zu informieren. Genau das wusste auch der bisherige Bürgermeister Brilmayer immer zu schätzen: "Es ist einfach wunderbar, wenn die Menschen nicht nur wegen Formalien oder Beschwerden ins Rathaus kommen, sondern dort auch eine kulturelle Anregung erfahren", sagt er. Ein Höhepunkt im Schaffen Berberichs war sicher auch die Performance "1000 Stühle in Ebersberg": Bemerkenswert waren nicht nur die Exponate, darunter ein vier Meter hohes Sitzmöbel auf dem Marienplatz, sowie die rege Beteiligung von Künstlern aus dem Landkreis, sondern auch der Appell an alle Ebersberger, selbst kreativ zu werden. Diesem Aufruf nämlich folgten nicht nur Institutionen wie Kirchen oder Kindergärten, sondern auch viele Privatleute.

Wird irgendwo in Ebersberg ein größerer Haushalt aufgelöst, wird eine Grube gegraben oder eine Wandmalerei entfernt: Antje Berberich ist stets zur Stelle, um für die Geschichte der Kreisstadt relevante Dinge zu bewahren. Dank ihrer Spürnase und ihrer Hartnäckigkeit hat sich das Stadtarchiv zu einem wohlsortierten, umfangreichen Konvolut entwickelt. Von Fotos und Postkarten über Sterbebildchen und Urkunden bis hin zu Kunstschätzen, kompletten Nachlässen und diversen anderen spannenden Exponaten.

Doch Antje Berberich engagiert sich nicht nur auf historischem und kulturellem Gebiet, sondern auch auf sozialem: Sie möchte Demokratie, Gerechtigkeit und Kultur auch für Schwächere, für Menschen auf der Schattenseite des Lebens erfahrbar machen. So setzt sie sich ein für Obdachlose, für gefährdete Jugendliche, für Asylbewerber. Schon viel hat sie erreicht, durch eine sinnvolle Aufgabe im Archiv, viel Vertrauen und Zuneigung. Humanitäre Hilfe im besten Sinne - lautlos, aber nie wirkungslos. Antje Berberich "hat ein großes Herz für alle", sagt Walter Brilmayer, "und ich habe immer gestaunt, wie sie das macht".

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Quelle:
SZ vom 20.05.2020
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