Der Griff an die rechte Hosentasche beim Passieren der Wohnungstür ist reine Routine. Nur eine letzte Vergewisserung, dass der Schlüsselbund sich an der richtigen Stelle befindet, da wo er immer ist, wieso sollte er irgendwo anders sein, zum Beispiel auf dem Schreibtisch, weil man dank sommerlicher Temperaturen in eine kurze Hose gewechselt ist, aber dann mitten beim Umstöpseln des Schlüssels durch ein Telefonat unterbrochen wurde? Lächerliche Vorstellung.
Zu spät nur ertasten die Finger, dass diese Vorstellung Realität geworden ist, die Tür hat schon Fahrt aufgenommen, dank freundlicher Unterstützung durch einen Zugluftwindstoß. Die Balkontür ist schließlich, im Gegensatz zur Wohnungstür, noch offen. Während sich das Gesicht in den Händen vergräbt – da ist es nett, da passieren solche Sachen nicht – flitzt der Gedanke durchs Hirn, dass Gesten, die im Fernsehen nach too much aussehen, im echten Leben mitunter durchaus angebracht sein können. Sehr hilfreich ...
Der Problemlösungsmodus, der unsere Spezies so weit gebracht hat, springt an: Einen Kredit für den Schlüsseldienst aufzunehmen ist sicher die letzte Option. Aber vielleicht kann der Hausmeister helfen, der hat sicher einen Ersatzschlüssel, einen Dietrich oder einen Vorschlaghammer. Also nach unten, genau unter der eigenen Wohnung befindet sich die seine, zumindest war es vor der Renovierung so, vielleicht immer noch.
Als die Tür ins Wohngebäude zufällt, kommt die Erinnerung: Er ist nur etwa einmal die Woche da. Eine neue Routine ist etabliert, Gesicht, Hände, graben.
Noch ein Einfall: Die offenstehende Balkontür, die die Falle gestellt hat, wird jetzt vielleicht zum Ausweg. Wenn nur die nette, alte Dame von nebenan da ist! Nach dem Einbruch damals hat sie auch Unterschlupf gewährt – auch wenn sie am Ende beruhigt werden musste, dass das jetzt sicher nicht bedeutet, dass das Gebäude unsicher ist.
Einmal klingeln. Keine Antwort. Sie ist sonst immer da, vielleicht hat sei es nur nicht gehört. Noch einmal. „Ja?“, kracht es aus der Gegensprechanlage. Räuspern, na ja, also, ausgesperrt. „Alles klar.“ Kein Türsummen klang je süßer.
Amüsiert wartet die Engelin in Weiß vor ihrer Wohnungstür. „Und jetzt?“ Sie ist skeptisch, ob es trotz des ersten Stocks so eine kluge Idee ist, über ihren Balkon zum angrenzenden zu klettern. Der Schlüssel zu einer guten Lüge ist Selbstbewusstsein: ist sicher kein Problem. Gut, dass noch kein Mittagessen im Magen ist, sonst würde die Höhenangst hochkommen.
Zwei Schritte sind es am Ende, alles tatsächlich kein Problem, aber es ist nicht klar, wer mehr Erleichterung verspürt. Erste Amtshandlungen, Notiz machen für Danke-schon-wieder-für-die-Rettung-Schokoladeneinkauf, Zweitschlüssel deponieren und neue Routine etablieren: Hosentasche checken, bevor die Tür zu ist.