Süddeutsche Zeitung

"Gloria Dei":Dem Schöpfer auf der Spur

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Gerhild Wächter, Künstlerin aus Weißenburg, stellt ihre Scherenschnitte im Ebersberger Rathaus aus. Die Bilder beschäftigen sich mit christlichen Themen und sollen die Besucher zur Kontemplation anregen

Von Anja Blum

Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name, dein Wille geschehe..." Die wenigsten Menschen haben wohl, wenn sie mit diesen Worten beten, Bilder im Kopf. Auch für Gerhild Wächter war es, wie sie sagt, eine große Herausforderung, die oftmals abstrakten Begrifflichkeiten des Glaubens in eine sichtbare Form zu gießen. Doch es ist ihr gelungen, und zwar auf eine wunderschöne, so anrührende wie begeisternde Weise. Unter dem Titel "Gloria Dei" - Ehre sei Gott - zeigt die Künstlerin aus Weißenburg nun eine Auswahl religiöser Arbeiten im Ebersberger Rathaus.

Das Besondere an der Ausstellung sind aber nicht nur die christlichen Motive, sondern vor allem auch deren Darreichungsform: Wächter malt nicht, sie schneidet - und erhebt damit den nicht gerade gut beleumdeten Scherenschnitt in die hehre Sphäre der Kunst. Sie nämlich macht aus diesem Handwerk, das vor allem bekannt ist für filigrane Profile aus Papier, einen schöpferischen Akt, Wächter bildet nicht ab, sie erfindet. "Ich habe so viele Bilder in mir, die einfach herausfließen müssen", sagt die Künstlerin. "Deswegen arbeite ich eigentlich immer an irgendwelchen Projekten". Sei es mit der Schere, mit der Kamera oder anderen Materialien.

Wächter bedient sich klassischer religiöser Motive - vom Kreuz über Fisch und Weinrebe bis zum Auge Gottes.

Wächters Werke entstehen nach eigener Auskunft ganz ohne Vorlage.

Die Ästhetik ihrer Arbeiten liegt in ihrer Schlichtheit.

In ihren Arbeiten spiegelt sich die tiefe Gläubigkeit der Weißenburger Künstlerin.

Zum Scherenschnitt habe sie der Zufall geführt, erzählt Wächter: Geboren in Kronstadt, Siebenbürgen, kam sie 1990 nach Bayern, völlig mittellos. Um sich bei den Menschen, die ihr durch diese schwierige Zeit halfen, zu bedanken, fertigte sie Karten mit floralen Motiven an: "Mit einer Nagelschere und Papierschnipseln, denn mehr hatte ich nicht." Doch das Denken in Schwarz-Weiß lag ihr als ausgebildeter Fotografin sehr nahe, so dass sie immer mehr Gefallen fand an dieser Form des Ausdrucks. Ihr Vorgehen dabei war intuitiv - und ist es bis heute. Wächter zeichnet selbst bei großformatigen Arbeiten nichts vor, sondern folgt ihren inneren Bildern, sie schneidet "wie besessen einfach drauflos". So jedenfalls hat es Galeristin Antje Berberich im Ebersberger Rathaus beobachtet, als Wächter extra für die Galerie ein paar Engel aus Papier zauberte. Deswegen sind ihre Arbeiten stets Unikate - zwei gänzlich gleiche Engel wird es bei Wächter nie geben. "Wenn ich mit dem Ergebnis unzufrieden bin, fertige ich mehrere Varianten eines Motivs an", erklärt die Künstlerin. "Doch dass ich mich so richtig verschneide - das passiert eigentlich nur, wenn jemand zusieht."

Dass die Scherenschnitte von Wächter rasch und ohne Vorlage entstehen, ist kaum zu glauben, so kunstvoll, anmutig und absolut wohlkomponiert sind sie. Man kann sogar behaupten: Diese Künstlerin hat einen schwungvollen und wiedererkennbaren "Strich" - obwohl sie ja gar nicht zeichnet oder malt, sondern eben schneidet. Manche ihrer Werke weisen einen eher erzählerischen Duktus auf - etwa die Darstellungen der Weihnachtsgeschichte - andere sind von statisch-grafischem Charakter wie viele Teile des "Vater unsers". Dieses Gebet nämlich hat die Künstlerin komplett umgesetzt, neun Bilder hat sie dazu geschaffen - eine von vier Serien, die nun in Ebersberg zu sehen sind. Die anderen Reihen sind dem "Glaubensbekenntnis", dem österlichen Geschehen sowie dem "Sola scriptura" Martin Luthers gewidmet.

Wächters Scherenschnitte sind aussagekräftige Werke, die nicht nur biblische Texte, sondern das gesamte Spektrum spirituellen Fühlens widerspiegeln: Freude, Dankbarkeit, Hoffnung, Verehrung, Versenkung und vor allem Demut. Das Göttliche erscheint stets mächtig, überirdisch strahlend, die Menschen sind ihm freudig-flehentlich zugewandt. Wächter bedient sich dabei klassischer religiöser Motive - vom Kreuz über Fisch und Weinrebe bis zum Auge Gottes - und entwickelt diese in ihren Kompositionen weiter. Die Schlange verschmilzt mit dem Kreuz, der Fisch mit dem Schild, das Jüngste Gericht aus dem "Glaubensbekenntnis" kommt gar ganz ohne Symbole aus: Ein stilisierter Jesus schwebt in den Wolken über ihn verehrenden Menschen, die Arme weit geöffnet. Obwohl der Text einigermaßen martialisch ist - "Von dort wird er kommen zu richten die Lebenden und die Toten" - verströmt dieses Bild nichts als Liebe und Hoffnung. Denn den strafenden Gott hat Wächter nicht im Repertoire. Allenfalls machtvoll zeigt sie ihn, zum Beispiel auf dem Bild zu "dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden". Hier symbolisiert ein dicker, spitzer Pfeil das Wirken des Herrn. So schafft Wächter Bilder, die den Betrachter mit ihrer Botschaft unmittelbar ansprechen und trotzdem einladen zur Kontemplation. So einfach - so stark!

Die meisten der in Ebersberg gezeigten Arbeiten sind 2017, im Luther-Jahr also, entstanden. Aber Spiritualität sei ihr generell wichtig, sagt Wächter, christliche Normen hätten sie geprägt. Mit ihren Werken wolle sie daher - "in Zeiten des subjektiven Wertewettstreits - Integration statt Stigmata initiieren, Solidarität statt Einsamkeit". In diesem Sinne findet Wächter es auch sehr spannend, ihre eigenen religiösen Vorstellungen mit den Interpretationen anderer Menschen in Beziehung zu setzen, insofern sei die Ausstellung in Ebersberg auch eine Aufforderung zum Dialog. Galeristin Berberich verspricht sich von "Gloria Dei" ebenfalls interessante Auseinandersetzungen - und möchte dies auch fördern: Sie plant Führungen mit den Ebersberger Pfarrern.

"Gloria Dei": Ausstellung von Gerhild Wächter in der Galerie des Ebersberger Rathauses, zu sehen bis 27. Juli, montags bis donnerstags von 8 bis 16.30 Uhr, freitags von 8 bis 12 Uhr oder nach Vereinbarung unter (08092) 206 17. Die Künstlerin ist erreichbar per Mail an gerhild.w@gmx.net

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Quelle:
SZ vom 24.05.2018
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