Eng ist es hier. Und zugig. Der Lärm des Feierabendverkehrs, der vom Glonner Ortszentrum aufsteigt, dringt ebenso durch die halb offenen Jalousien wie der Wind, der hier in 30 Metern Höhe stärker zu spüren ist als unten am Marktplatz. Ganz ungefährlich ist es auch nicht im Glockenturm. Zumindest dann, wenn man nicht genau weiß, wann die zwölf Zentner Bronze in Bewegung geraten, die da direkt vor der eigenen Nase an einem eisernen Gerüst hängen. Die ein, zwei Quadratmeter, die der Besucher hier oben Platz zum Stehen hat, liegen genau im Schwingungsbereich der großen Amt- und Wetterglocke. Kein Ort für Kompromisse.
Wenn die Mechanik erst einmal ins Laufen kommt und oben an der Glockenkrone den Hebel ansetzt, dann wird abgeräumt, was der massive Glockenwalm erreichen kann. Und das ist auf der Nord- und der Südseite des mächtigen Klangkörpers, in der Schwingrichtung also, jedes Hindernis, das ihm im Wege steht. Schon die Lautstärke der Viertelstundenschläge, von zwei Schlegeln an der Außenseite zweier weiterer Glocken im Turm erzeugt, ist eine Herausforderung für das Trommelfell. Zum Glück kündigt sich jeder Hieb mit einem leichten Schnarren des Motors an. Wer die Hände frei hat, schafft es gerade noch, sich schnell die Finger in die Ohren zu stecken.

Normalerweise ist der Zugang zum Turm der Pfarrkirche gesperrt, nur mit dem Mesner oder in Begleitung von Stephan Ametsbichler, BR-Journalist und ausgewiesener Kenner der Glonner Glocken, kommt man hier herauf. Über steile Eisentreppen, mindestens 70 Stufen von der unteren Kirchenempore aus gerechnet. Das mit dem Zählen ist ein bisschen schwierig, weil die Steighilfen immer wieder aufhören, um an einer anderen der vier Turmwände weiterzulaufen.

Ametsbichler, der an den kommenden zwei Freitagen seinem Publikum die Geschichte der Glonner Glocken erzählen wird, hat gewarnt im Vorfeld der Verabredung in lichter Höhe: Zierliche Schuhe seien nicht angeraten, ebenso wenig wie feine Kleidung. Zurecht. Hände greifen in Kalkbrösel auf den Stufen, die gekalkten Tuffsteinwände hinterlassen weiße Spuren auf dunklen Hosen. Oben, kurz vor der Glockenstube, muss man über die im Viereck über den Boden gespannte Steuerung der Kirchenuhr klettern, und am Schluss heißt es Kopf einziehen und bücken, um durch einen niedrigen Durchlass auf die letzten Stufen zu gelangen.

Die mächtige Amt- und Wetterglocke, die hier direkt am Treppenabsatz den Besucher mit ihrer wuchtigen Optik empfängt, ist eine von vier Glocken, die den Turm der Glonner Kirche schmücken, zum Gebet oder zur Stunde läuten, in früheren Zeiten auch vor Feinden warnten oder vor aufziehenden Stürmen. So kann man sich gut vorstellen, dass ihre kleine Schwester, die im Gebälk schräg darüber hängt, heftig gebimmelt hat, als im Jahre 1632 die Schweden über Glonn gekommen sind und den Ort in Schutt und Asche gelegt haben.

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1521 schon war sie gegossen worden, vor genau 500 Jahren also, und ihr Geburtstag ist der Anlass für Ametsbichlers Vortrag. Als wahrscheinlich eine von nur noch fünf in Bayern existierenden Glocken, die ein reines b als Schlagton haben, sei sie wohl so etwas wie eine Besonderheit, berichtet er. Davon abgesehen, dass es ohnehin an ein Wunder grenze, dass sich hier drei Originalglocken über Jahrhunderte hinweg erhalten konnten. Zwischendurch hatte das nämlich gar nicht so ausgesehen, wie Ametsbichler erzählt, hatten doch das Geburtstagskind - heute als Sterbeglocke eingesetzt - und auch die zwölf Zentner schwere Wetterglocke im Zweiten Weltkrieg ausgebaut werden müssen, so wie viele andere Glocken auch, um zu Patronen und Granaten umgearbeitet zu werden.
Viele von ihnen, darunter auch die beiden Glocken aus Glonn, wurden im so genannten Hamburger Glockenfriedhof gelagert, und von jenen, die nicht eingeschmolzen wurden - 70 000 sollen es gewesen sein - sei ein Großteil schließlich in den Bombardements der Alliierten oder schlicht durch unsachgemäße Lagerung zerstört worden. "Unsere beiden aber sind 1947 heil wieder zurückgekommen." Sie ergänzten die verbliebene Glocke, gegossen vom Münchner Glockengießer Anton Benedikt Ernst 1730, die im Kirchturm belassen worden war.
Sie ist heute die drittgrößte im durchaus eindrucksvollen und seit 1949 vierstimmigen Ensemble. "Regina Pacis", die Königin des Friedens, fast 1500 Kilo schwer, hat es in jenem Jahr vervollständigt, und sie ist ebenso wie ihre Zwölfzentnerschwester von hohem symbolischen Wert. Beide sind sie nach einem verheerenden Krieg gegossen worden, nach dem Dreißigjährigen die eine, nach dem Zweiten Weltkrieg die andere.
Tief und dunkel klingt sie, "erinnert jeden Freitagnachmittag an die Todesstunde Christi, und lässt uns aufhorchen, wenn sie an den Hochfesten des Kirchenjahres beim Zusammenläuten das sonst nur dreistimmige Geläut voller und festlicher erklingen lässt", so Ametsbichler in seiner Einladung zum Vortrag, in dem er noch vieles andere über jene Jahrhunderte erzählen wird, die die Glonner Glocken gesehen haben. Zeiten, in denen Martin Luther seine Thesen vor dem Reichstag in Worms verteidigen musste, oder in denen der spanische Erbfolgekrieg tobte, zu Beginn des 18. Jahrhunderts.
Erzählen kann er auch von den Glockengießerfamilien, in denen die Ehefrauen meist älter wurden als ihre Männer, dann aber fast immer wieder einen Glockengießer heirateten, um den Familienbetrieb nicht zu gefährden. Und wer weiß schon, dass es eigentlich die Chinesen waren, welche die Glocke erfunden haben, und dass Glocken in der Frühkirche des ersten Jahrhunderts nach Christi als heidnisch abgelehnt wurden?
Wer über ein gutes musikalisches Gehör verfügt, wird bei Ametsbichlers Toneinspielungen vielleicht auch heraushören, dass die 1492 Kilo von Regina Pacis nicht ganz astrein klingen. Statt des bestellten cis, das gemäß dem Quintenzirkel das fis, das gis und das ais der anderen drei Glocken harmonisch hätte ergänzen sollen, klingt sie nach einem d. "Sie ist einen Halbton zu hoch geraten, vielleicht hat das Material nicht gereicht", vermutet Ametsbichler. Damals, ein paar Jahre nach dem Krieg, war das sogenanntes Euphon-Glockenmetall anerkannter Ersatz für die wegen ihres warmen Klangs bevorzugte Bronze.
Doch präge nicht nur jener falsche Halbton das Glonner Glockengeläut, sondern auch die Einstellung der Mechanik, die längst die 30 Meter langen Seile ersetzt, die früher vom Mesner bedient werden mussten, um das Läuten in Gang zu setzen. Mit dem Einbau der Friedenskönigin war auch ein neuer Glockenstuhl aus Eisen verbunden, eine mechanische Zeitschaltung steuert heute die großen Schwungräder, über die lange Ketten zu den Glockenkronen laufen und sie zum festgesetzten Zeitpunkt in Bewegung setzen.
Nun sollte eigentlich die große Friedensglocke beim Vollgeläut an Hochfesten der Kirche vor den anderen dreien erklingen, "sie braucht aber zehn Sekunden Anlaufzeit. Und die zweite setzt dann schon nach sechs Sekunden ein und läutet vor der großen Glocke", berichtet Ametsbichler. Schließlich läute auch noch die vierte, die Totenglocke, vor der dritten - eine interessante Kakofonie, könnte man also meinen. Aber "die Glonner haben sich seit 70 Jahren daran gewöhnt", scherzt er.
Die alte Friedensglocke mit ihren 1200 Kilogramm übrigens schwingt dreimal am Tag, immer zum Angelusgebet. Aber auch 15 Minuten vor Gottesdienstbeginn setzt sie sich in Bewegung. Das sollte man wissen - und zu diesem Zeitpunkt den Glockenturm längst verlassen haben.
Die beiden Vorträge von Stephan Ametsbichler unter dem Titel: "Die Heiligen preis' ich, die Wetter vertreib ich, die Toten geleit ich" über die Glonner Kirchenglocken sind am Freitag, 1. Oktober, und 8. Oktober, jeweils von 19.30 bis 21.00 Uhr im katholischen Pfarrsaal Glonn zu hören. Der Eintritt ist frei, Anmeldung unter Angabe der üblichen Kontaktdaten im Pfarrbüro St. Johannes der Täufer unter (08093) 5 7 7 5 50, oder per Mail an pv-glonn@ebmuc.de