Süddeutsche Zeitung

Glonn:Rock, Schrott und Revolte

Lesezeit: 3 min

In Glonn spielt die Band "Kupfer" das Auftaktkonzert ihrer Tournee. Ihr neues Album soll alles nur kein Mainstream sein

Von Dorian Baganz, Glonn

"Kommt jetzt das Christkind?", fragt jemand im Publikum, kurz nachdem eine Glocke ertönt. Anscheinend sind die Gedanken einiger an diesem Samstagabend noch bei Weihnachten, als die Band Kupfer das Auftaktkonzert ihrer Tournee in der Glonner "Schrottgalerie Friedel" spielt. Die Glocke soll zwar nur auf den Beginn des Gigs hinweisen, aber auf christliche Nächstenliebe müssen die Gäste trotzdem nicht verzichten: "Es ist viel effektiver, Probleme ohne Arschlöchrigkeit zu lösen", sagt Gitarrist und Sänger Stefan Weyerer in einer "kleinen Predigt", bevor er den Titelsong ihres neuen Albums schmettert. Begleitet wird er dabei auf dem Keyboard von seinem Mitmusiker Nick Flade.

Es ist klassischer Pop-Rock, der hier die nächsten zwei Stunden zu hören sein wird. Gepaart mit Humor, politischen Statements und, ja, auch ein bisschen Vulgarismus. Das Duo "Kupfer" gibt es seit "vier oder fünf Jahren", ganz genau weiß Weyerer das auch nicht, "das hat viele schöne Sachen freigesetzt", sagt er nach dem Auftritt bei einer Zigarette. Flade lernte er kennen, als er mit seinem vorherigen Projekt "Kapelle Weyerer" die Sängerin und Schauspielerin Jasmin Tabatabai auf ihrer Tour begleitete. "Das lief so magisch, da wollten wir eine Band gründen, in der wir beide wichtig sind." In der Schrottgalerie Friedel präsentieren sie heute ihr zweites Album mit dem Titel: "World Let's Hug The A**holes". Dessen Lyrics stammen direkt aus dem Alltagsleben der zwei Musiker.

Eines Tages wurde Weyerer von einer Freundin angesprochen, die Seminare für Menschen organisiert, die von "Arschlochbossen gedisst wurden", wie er sagt. "Hey, ich brauche für meine Website einen Song", habe sie ihm erklärt. Er fing an, darüber nachzudenken: Wie geht man mit solchen Typen am besten um? Seine Antwort flüstert der Sänger, begleitet von sanften Klaviertönen, leise ins Mikrofon: "World let's hug the assholes". Der Münchner ist überzeugt, dass man die Trumps, Erdoğans und Putins dieser Welt nicht besiegt, indem man sich mit ihnen gemein macht. Die "Entarschlochisierung dieser Erde", so hatte er zuvor einer lachenden Menge erklärt - und sich zugleich für die vielen "unflätigen Wörter" entschuldigt - könne nur mit Freundlichkeit gelingen und verweist auf den Dalai Lama. Gegen Ende des Liedes, welches der Titelsong des neuen Album ist, steigt das Publikum spontan ein und singt die zweite Zeile des Refrains im Chor: "And they will disappear, they will disappear..." Es ist ein Phänomen, das sich durch den gesamten Abend zieht: Die Show, die vor allem von Weyerers Auftritt lebt, ist das Hauptspektakel des Abends. Den Zuschauern gefällt es, wenn er zwischen den Nummern seine Zoten reißt und von dem Termin mit seinem Rentenberater vor einiger Zeit erzählt, nach dem er "nicht so gut geschlafen" habe. Mittlerweile kann der gebürtige Münchner von der Musik immerhin leben, "ich hab ja auch nix anderes gelernt!" Und so setzt sich das Duo auch bei ernsten Themen auf ihren eigenwilligen Humor, wenn sie beispielsweise in dem Song "Zug nach Donezk" eine "bessere Durchblutung für Nazi-Gehirne" fordern und es im Titelsong des neuen Albums heißt, Liebe sei "viel sexier als Hass."

Nur über eine Sache könnten sich die Zuschauer wundern: Der Mann, der mit seinem Rauschebart und der Cap auf dem Kopf wie der klassische Berliner Hipster aussieht, singt davon, dass der "Mainstream heute über die Ufer getreten" und es sein Geschenk an die Welt sei, "dass wir anders sind." Ist der seichte Pop-Rock mit den melodischen Klängen im Hintergrund etwa nicht Teil des "Mainstreams"?

Dass die Texte tatsächlich persönliche Geschichten erzählen, wird deutlich, als Stefan Weyerer den ersten Song nach der Pause seinem Neffen in der ersten Reihe widmet, einem Jugendlichen mit langen Haaren, die er sich ab und zu mit einer lässigen Bewegung aus dem Gesicht streift. Es brauche "moderne Hippies", singt er, außerdem "Herzgold" und eine "Revolte". Den knapp 50 Anwesenden, die so gar nicht nach linksliberaler Zielgruppe aussehen, gefällt es trotzdem. Als Weyerer nach dem Konzert ein paar Zigaretten raucht, stehen sie Schlange. "Es war mir eine Ehre", antwortet er einigen von ihnen.

Der Abend ist ein voller Erfolg für die beiden. Das liegt zwar auch an den Beats und Klängen aus dem Keyboard, aber vor allem ist es Weyerers Performance zu verdanken. Seine voluminöse Stimme füllt den Raum, auch wenn er künstlerisch mit den Abständen des Mikros zu seinem Mund herumspielt. Die Schlussakkorde des letzten Songs, die er auf seiner Gitarre greift, spielt er im Stehen - auf seinem Stuhl. In anderen Ländern sei es völlig normal, dass Mainstream-Songwriter "krassere Texte" machen, beklagt er am Ende des Konzerts hierzulande sei man vor allem mit "leichter Muse" in den Charts. Mark Forster sei so ein Fall. Weyerer hingegen will mit schroffen und persönlichen Texten zum Erfolg: "Dann wäre ich ein glücklicher Mann."

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Quelle:
SZ vom 27.01.2020
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