Süddeutsche Zeitung

Das ganze Leben ein Abenteuer:Und: Action!

Vom Zuckerbäcker zum Hollywood-Stuntman bis zum Inkasso-Detektiv: Die Biografie des Glonners Marc Kassan verläuft unberechenbarer als jedes Drehbuch.

Von Katrin Kastenmeier, Glonn

"Mein ganzes Leben war ein Abenteuer", sagt Marc Kassan und blättert in einem Ordner voller Schwarz-Weiß- Aufnahmen, Urkunden und signierten Filmplakaten. Daneben liegen weitere dicke Mappen mit Fotos, die sein halbes Leben dokumentieren. Kassan fällt ein Bild des ehemaligen Schauspielers und American-Football-Profis O. J. Simpson in die Hände. Zu seiner Rechten er selbst. Das war noch, bevor Simpson für den Mord an seiner Frau angeklagt wurde.

Dass das normale Leben so gar nichts Glamouröses an sich hat, begreift der gebürtige Münchner Kassan bereits in seiner Kindheit. Aus einem strengen Elternhaus drängt ihn seine Mutter mit 14 Jahren in eine ungewollte Konditoren-Lehre. "Drei Jahre lang war ich hier der Sklave", erinnert sich der heute 78-Jährige, der inzwischen in Glonn wohnt. Darauf folgen vier Jahre bei einer Fallschirmspringereinheit der Bundeswehr, der Besuch eines Abendgymnasiums und eine Meisterprüfung im Konditorenhandwerk. Am Ende seiner Ausbildung stellt er fest, dass er nicht nur ein echter Streber war, sondern dass ihm diese harte Zeit auch etwas Gutes eingebracht hat: "Das was vor mir lag, konnte nicht schlimmer sein, als das was ich bereits hinter mir hatte und ich wollte einfach nur raus aus diesem erbärmlichen Leben."

Kassan beginnt, in einem Bodybuildingstudio in der Münchner Schillerstraße seinen Körper zu stählen. Weil hier zeitgleich Arnold Schwarzenegger als Trainer arbeitet, kommt es schon einmal vor, dass Kassan zwischen dem später siebenfachen "Mister Olympia" und seinem besten Freund Franco Columbo Gewichte stemmt. "Der Arnold war ein Guter", sagt Kassan und weiß zum damaligen Zeitpunkt noch nicht, dass dies nicht seine letzte Begegnung mit "Arny" bleiben soll.

Trotz diesen Bekanntschaften ist Kassan gelangweilt von seinem banalem Alltag als Filialleiter eines Perlacher Supermarktes. Daher beschließt der damals 28-Jährige sein altes Leben nun endgültig hinter sich zu lassen. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion macht er sich mit wenigen Habseligkeiten im Kofferraum auf den Weg Richtung Süden. Ziel: das italienische Triest. "Im Hafen checkte ich auf der Europa ein, mein Ford Capri mit Münchner Nummernschild mit an Board." Und so geht es Anfang der Siebziger erst einmal die afrikanische Westküste entlang, am Kap der Guten Hoffnung vorbei bis zur Küstenstadt Durban. Kassan hat Glück: "Meine komplette Ausreise zahlte die südafrikanische Regierung, die brauchten Arbeitskräfte und als Deutscher hatte ich dort sofort einen guten Ruf."

Er bekommt einen Arbeitsvertrag im damaligen Fünf-Sterne Carlton Hotel in Johannesburg und arbeitet als Patissier und Süßspeisenchef. "Gelegentlich mussten wir für große jüdische Feiern riesige Mengen Salzburger Nockerl herstellen. Natürlich in einem koscheren Raum und stets unter Aufsicht eines Rabbiners."

Kassan findet Freude an dieser abwechslungsreichen Arbeit, und das Hotelleben, mit seinen zahlreichen prominenten Gästen, fasziniert ihn. Es ist 1973 als er eines Morgens in der örtlichen Zeitung auf eine ungewöhnliche Anzeige stößt. Gesucht wird: "Stuntman für Action-Thriller, der unverletzt von einem fahrenden Jeep springt." Es handelt sich um den Film "Die Söldner", unter anderem mit Christopher Lee und Peter Fonda in den Hauptrollen. Kassan muss nicht lange überlegen und als er sich meldet, wird er prompt engagiert. In diesem Augenblick habe er begriffen, was das Geheimnis von Erfolg sei: "Einfach tun!"

Während der Dreharbeiten bricht er sich mehrmals die Nase, holt sich ein Dutzend blaue Flecke und verstaucht sich das Handgelenk. Gleichzeitig verdient der Zuckerbäcker aber auch so viel Geld, dass er ein Jahr lang davon leben kann. Über Nacht ist er in einer anderen Liga angekommen. "Ich erinnere mich an eine Bar-Szene am Set. Da ließen Mütter ihren Kinderwagen draußen stehen, nur um für den Bruchteil einer Sekunde ein Foto von den Filmstars machen zu können. Das ist natürlich eine Verlockung in so eine ganz andere Welt reinzugucken." Die Filmbranche sei damals außerdem wie eine Großfamilie gewesen. Wenn man gut und zuverlässig war, sei man über Kontakte automatisch weiterempfohlen worden.

So modelt Kassan zwischen den Filmangeboten auch für teueren Schmuck, massiert die reiche Oberschicht und feiert private Partys in Millionärsvillen auf denen auch Formel 1 Rennfahrer Graham Hill und Arnold Schwarzenegger Gäste sind. Kassan schmunzelt: "Ich war Ende Zwanzig, an allem interessiert, bekannt wie ein bunter Hund und als verlässlicher Deutscher sehr beliebt." Insgesamt vier Jahre lang doubelt er Hollywood-Größen wie Anthony Quinn, Roger Moore und Richard Burton und wirkte an den Filmsets von "Die Wildgänse" und "Tigers don't cry" mit. "Ich war mit Richard Burton in der Mittagspause mal unter einem Lkw weils so heiß war, fast 40 Grad. Und da hab ich ihn gefragt, warum er so ein Frauenheld ist und er meinte: ,I don't know, either they like my fame, my look or my money'". An solche prägnanten Aussagen erinnert sich Kassan auch heute, fast fünfzig Jahre später noch.

1977 kippt die politische Lage in Südafrika und nach Ausschreitungen gegen Weiße verlassen viele Einwanderer das Land und flüchteten in die USA. Schweren Herzens beschließt auch Kassan in die Staaten zu gehen, doch die Ausreise ist riskant: "Mein ganzes Geld hatte ich durch gute Beziehungen in Krügergoldmünzen umgetauscht, mit Klebestreifen an meinem Bein befestigt und einen Gipsverband drüber gemacht." So mogelt er sich ins Flugzeug. "Ich hatte die ganze Zeit im Kopf, dass ich ins Gefängnis gehe, wenn ich erwischt werde."

Dass er über mehre Jahre Teil von Actionfilmen gewesen ist, geht nicht spurlos an Kassan vorbei. In Chicago lässt er sich schließlich zum Inkassospezialisten ausbilden um Betrüger seither auch im echten Leben zu jagen. Da ihm die Mentalität der "Amis" aber zu oberflächlich ist, kehrt er nach fast zehn Jahren wieder in seine Heimatstadt zurück und gründet Anfang der Achtziger eine eigene Detektei für Wirtschaftsdelikte in München. "Ich nannte das immer legale Erpressung und weil die Deutschen seit Jahren diese Headhunter-Filme geschaut haben, ist mir dann auch so ein Image vorausgeeilt", sagt Kassan und streicht sich über die Knöchel seiner Finger.

Seine vielen Reisen und Erlebnisse mit internationalen Stars, aber auch die oft desillusionierten Ermittlungen gegen Anlagebetrüger bringen Kassan schließlich zum Schreiben. Seit fast 16 Jahren verarbeitet er sein Leben nun in Thrillern oder Liebesromanen. Auch mit seinen ehemaligen Schauspielkollegen sei er lange Zeit noch in Kontakt geblieben. "Aber ich bin mittlerweile ja auch ein Überbleibseln von diesen Jungs, die meisten sind leider alle schon gestorben." Nichts desto trotz lautet Kassans Devise aber auch heute noch: "Einfach machen!" Deshalb habe er sich auch noch mit 60 Jahren für Philosophie an der LMU eingeschrieben und aktuell in Glonn sei ihm nicht langweilig. Die Pandemie habe zwar gezeigt, dass wir alle "enorm verletzlich" seien. Die Füße will er so schnell aber noch nicht still halten, nur von einem fahrenden Jeep würde er heute nicht mehr unbedingt springen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5353793
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 17.07.2021
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.