Glonn:Kompositorisches Phänomen

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Günter Bialas in seinem Todesjahr 1995 bei einem Spaziergang in der Nähe von Glonn. (Foto: Regnault)

Zum 20. Todestag des Glonners Günter Bialas

Von Claus Regnault, Glonn

An diesem Mittwoch, 8. Juli, jährt sich der Todestag von Günter Bialas zum genau zwanzigsten Mal. Er wurde am 17. Juli 1907 in Bielschowitz in Oberschlesien geboren und verstarb am 8. Juli 1995 in Glonn. Bialas war ein Herr von einer natürlichen Würde und Bescheidenheit. Und er war ein großer Komponist, dessen vor allem späte Werke der Zukunft gehören.

Nach dem Krieg und einer kurz dauernden Gefangenschaft verschlägt es ihn 1945 in seine neue Heimat im Landkreis, zu Fuß den Weg von Trudering nach Glonn zurücklegend. Dort wird Bialas aufgenommen von Freunden, die ein Haus besitzen, und zu denen vorher schon seine Frau Gerda aus Breslau geflohen war, im Rucksack eine einzige gerettete Partitur. Der Neuanfang jedoch ist nicht leicht für den Komponisten, denn er findet sich in den Nachkriegsjahren zwischen den Generationen der Musikentwicklung wider: zwischen Tonalität und der Zwölftonmusik Schönbergs einerseits und der jungen Generation, die sich in der seriellen Reihentechnik nach Anton von Webern antiromantisch und pathosfrei zu verwirklichen versucht, andererseits. Rückgriffe auf bereits etablierte Vorbilder und eine radikale Neuordnung der Musiksprache machen es dem Glonner zunächst schwer, den eigenen Weg, die eigene Stimme zu finden.

Doch Bialas entfaltet - beginnend 1947 zunächst an der Nordwestdeutschen Musikakademie Detmold und von 1959 bis 1972 als Professor an der Hochschule für Musik in München - eine reiche Lehrtätigkeit, die sich dadurch auszeichnet, dass er jungen Komponisten zur selbständigen Entwicklung ihrer je eigenen Sprache verhilft. So renommierte Musikpersönlichkeiten wie Ulrich Stranz, Nicolaus Huber, Heinz Winbeck, Peter Hamel, Peter Kiesewetter, Wilfried Hiller, um nur einige zu nennen, sind aus seiner Schule hervorgegangen. Auch komponiert Bialas bereits durchaus beachtliche Werke, so vor allem die Kantate über die sibyllinischen Weissagungen "Oraculum" von 1952 und die Schöpfungsgeschichte in der Verdeutschung von Martin Buber "Im Anfang" von 1961. In den Werken dieser Zeit kündigt sich seine persönliche Musiksprache bereits an.

Zur vollen Entfaltung - und das ist ein erstaunliches Entwicklungsphänomen - kommt sie jedoch erst im reifen bis ins hohe Alter, beginnend vor allem mit den Liedern für Gesangsstimmen und Klavier, den "Haiku-Folgen I und II" von 1972. Hier gelingt es Bialas, ein musikalisches Äquivalent für die auf 17 Silben beschränkte konzentrierte Aussage japanischer Haiku-Dichtungen zu finden. Und keinem der späten Werke von Bialas ist altersbedingte Resignation und schwindende Gestaltungskraft anzumerken - ganz im Gegenteil, er scheint einen bis zum Tod nicht versiegenden Inspirationsquell zu besitzen. Seinen Höhepunkt findet er im Orchesterwerk "Introitus - Exitus" von 1976 und im "Lamento di Orlando" von 1984. Letzteres Werk hat Sergiu Cellibidache, ein Freund aus gemeinsamen Berliner Studientagen, 1986 mit den Münchnern Philharmonikern uraufgeführt, sicher der Höhepunkt in Bialas' auch ansonsten von Preisen und Ehrungen reich bestückten Musikerleben.

Seit 1945 lebte er in Glonn, baute sich ein Domizil im späten Bauhausstil (Architekt Werner Wirsing), umsorgt von seiner schönen Frau Gerda, geborene Specht, die selbst Sängerin war und fast alle seiner späteren Partituren in druckreifer Schönschrift notierte. Gerda starb am 16. April 1995, Günter Bialas folgte ihr wenig später. Heute kann man das Paar am Glonner Friedhof besuchen.

© SZ vom 08.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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