Süddeutsche Zeitung

Literatur aus Glonn:Geheimnisvolle Superkraft

Indiana Jones meets Mary Poppins: Im Kinderbuch von Uta Schemm öffnen begehbare Zeichnungen die Tür zu magischen Welten voller Abenteuer.

Von Michaela Pelz

Als Held die eigenen Freunde im Kampf gegen Riesenameisen zu beschützen - wer hätte nicht schon einmal davon geträumt?! Zumindest wenn er oder sie sich im besten Kindergarten- oder Grundschulalter befindet. Wie gut, wenn man da eine Mutter wie Uta Schemm hat, die auf Zuruf aus einzelnen Stichworten eine Gute-Nacht-Geschichte zaubert, in der es von Fabelwesen nur so wimmelt. Doch die 36-jährige Glonnerin erfreut mit ihrer Fabulierkunst mittlerweile nicht nur den eigenen Nachwuchs, sondern hat mit ihrem unlängst erschienenen Roman "Das Geheimnis der magischen Bilder" einen wunderbaren Fantasyroman für alle Menschen ab zehn Jahren erschaffen.

Die Initialzündung dazu stammte tatsächlich von ihren eigenen Söhnen, drei, sechs und acht Jahre alt, die alle sehr gern malen. Eines Tages habe der Älteste ein Bild gezeichnet, und dieses im Lauf der Zeit um immer neue Details ergänzt. "So wurde es zu etwas Lebendigem, das sich entwickelte. Gemeinsam haben wir dann weitergesponnen, was wohl in der Zwischenzeit alles passiert sein könnte", erzählt Mama Schemm. Glücklicherweise hätten Kinder diesbezüglich ja keinerlei Barrieren im Kopf.

Mit der Grundidee aus diesem Zeitvertreib im Hinterkopf, setzt sich die Glonnerin, die schon als Kind ein Faible fürs Fabulieren hatte, eines Abends im Jahr 2020 an den Computer und legt los. Die Handlung, die sie zu Beginn ihres etwa dreimonatigen Schreibprozesses auf einigen Seiten skizziert, ist ebenso faszinierend wie abenteuerlich: Es geht um den 14-jährigen Ben, einen begabten Zeichner, der per Zufall in den Besitz von magischen Utensilien gerät. Dank neuem Block und Stift kann er sich und Freundin Toni nun in die unglaublichsten Situationen hineinbefördern. Und ihre Erlebnisse dort sind äußerst real, das gilt sogar für Gefahren wie Angriffe von unheimlichen Dschungelkreaturen. Da wird Ben plötzlich bewusst, dass er mit seinen überbordenden Ideen zuweilen sogar Unheil über seine Fantasiewelten bringt...

Wie der Achtklässler doch noch einen Ausweg findet, sogar die Vergangenheit verändert und in letzter Sekunde aus Lebensgefahr gerettet wird, erzählt Selfpublisherin Schemm so stilistisch gekonnt wie inhaltlich raffiniert und spannend, dass sich ihr Produkt qualitativ nicht vor den Veröffentlichungen etablierter Kinder- und Jugendbuchverlage verstecken muss. Zweifelsohne liegt das unter anderem auch daran, dass die Autorin für Lektorat und Layout bewusst Profis engagiert und auch bei der Grafik nicht gespart hat: Das Cover und die ausdrucksstarken Schwarz-Weiß-Illustrationen stammen von Nicole Waldow, ebenfalls aus Glonn. "Eine Nachbarin hat uns zusammengebracht", erzählt Schemm, "wir kannten uns vorher nicht, dabei wohnen wir in der selben Straße."

Doch auch die hochwertige Anmutung des Hardcovers (es gibt den Roman auch als günstigeres Taschenbuch) ändert nichts an der Tatsache, dass das Werk in einem Book-on-Demand-Verlag erschienen ist. "Weil es heute enorm einfach ist, ein Buch zu veröffentlichen, gibt es so viele Selfpublisher und die werden leider oft alle in einen Topf geworfen", beklagt Schemm. Dabei bestünden da gewaltige Unterschiede, in längst nicht jedes Buch auf dem Markt hätten die Urheber ähnlich viel investiert wie sie. Diese Kosten müssten sich über die Buchverkäufe aber erst einmal amortisieren: "An jedem Exemplar verdiene ich weniger als einen Euro." Das ist auch der Grund, warum die Autorentätigkeit für die in Elternzeit befindliche Industriekauffrau mit Bachelor in Business Administration aktuell keine Option für ein weiteres berufliches Standbein darstellt.

An Inspiration mangelt es der ausgewiesenen Naturliebhaberin, die schon in den kanadischen Rocky Mountains, den französischen Alpen und der Toskana gewandert ist, sicher nicht. Zwar schätzt sie sich selbst, im Unterschied zu ihren Buchhelden als wenig risikobereit ein - "Tiefseetauchen und Fallschirmspringen sind nichts für mich" -, doch kennt sie, dank ihres Ehemanns, einem ausgewiesenen "Marvel"-Fan, alle einschlägigen Filme. Auch hat die Liebhaberin der "Dark-Tower"-Saga von Stephen King mit Begeisterung Streifen wie "Indiana Jones" und "Jumanji" gesehen und dabei "sicher Eindrücke abgespeichert, die ungewollt mit hineinspielen." Und wenn doch einmal ein Hänger beim Plotten kommt, hilft garantiert ein Gassigang mit Luna und Sunny, den beiden Labradorhunden der Familie. Meist bringt diese "kreative Auszeit" sogar neue Ideen, die gleich per Sprachnotiz auf dem Handy festgehalten werden. Auch die Impulse, die ihr die eigene Mutter - "Deutschlehrerin und durchaus kritisch" - gibt, schätzt die gebürtige Querfurterin, die seit 2013 in Glonn lebt, sehr.

Konkrete neue Buchprojekte hat Schemm allerdings nicht. "Ich sehe jetzt erst mal, wie es läuft." In der Zwischenzeit beteiligt sie sich fleißig an Wettbewerben, etwa dem "Kindle Storyteller Award", dessen Finalisten Ende September bekanntgegeben werden. Bei diesem hat sie das Buch "Vivaria" eingereicht, ursprünglich nur für die eigenen Kinder geschrieben, allerdings mit fast schon prophetischer Weitsicht: Es geht um Dürre, Fluten und Erdrutsche, die ein Reich voller Elfen, Feen und Geister heimsuchen. Schwierige Themen, die die Autorin aber bewusst nicht aussparen will. "Es passiert so viel, das den Kindern Angst macht, es bringt nichts, sie komplett abzuschotten. Besser ist es, gemeinsam darüber zu sprechen." Am Ende von "Vivaria" wird aber, so viel darf man verraten, alles wieder gut. Außerdem reiten die Helden auf Wölfen und Adlern - "ein Bild, von dem ich mir sicher war, dass es meinem mittleren Sohn gefällt, der Tiere über alles liebt. Im Wildpark Poing können wir immer erst weitergehen, wenn auch wirklich jedes Reh gefüttert wurde."

Man darf also wohl vermuten, dass Uta Schemm, die für sich selbst eine Welt ausdenken würde, durch die sie als Drache fliegen kann, das Schreiben so schnell nicht sein lassen wird. Bestimmt kann man sie also auch künftig mit Laptop am Spielplatzrand antreffen und dann als Mensch im besten Kindergarten- und Grundschulalter vielleicht sogar eigene Wünsche und Vorschläge loswerden: An einem Mammutzahn turnen, einem Wal das Sprechen beibringen, per Schneeleopard den Himalaja durchqueren. Fest steht: Uta Schemm hat etwas zu erzählen - und sie tut es gut.

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Quelle:
SZ vom 04.08.2021
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