Süddeutsche Zeitung

Bis Sonntag in Glonn zu sehen:Gut gegen Lagerkoller

Johannes Gottwalds Ausstellung "Vom Lager leben" in der Glonner Klosterschule bietet mit ihren filigranen und dekorativen Holzskulpturen viel Raum für Gedanken und Assoziationen rund um das vielschichtige Thema

Von Alexandra Leuthner, Glonn

Nein. Lagerkoller wird sich hier keiner einstellen. Ganz gewiss nicht. Denn hier wird nicht gelagert, sondern gezeigt. Ausgestellt. Vorgeführt. Das ist kein Lager, sondern eine kleine Welt, bevölkert mit filigranen und tanzenden Wesen aus Holz. "Vom Lager leben" ist die Ausstellung des Herrmannsdorfer Holzbildhauers Johannes Gottwald überschrieben. Und da steht der Besucher nun mitten drin, in Gottwalds Lagerleben, dem der Künstler eine so vielschichtige Bedeutung zu geben vermag, dass einem schwindlig werden könnte ob all der Doppeldeutigkeiten, Konnotationen und Querverweise. Zeltlager, Basislager, Krankenlager, Umerziehungslager, all seine Assoziationen hat er gesammelt und in ein Regal hinein geschrieben, eines von der Art, in der Akten gestapelt werden, ausgediente Spielsachen oder Waren.

Im Warenlager k ennt sich aus: der Lagerist. Hier wird verdichtet, gestapelt, geschichtet - so wie die Teppiche, die der Künstler gleich im Eingangsbereich der Klostergalerie übereinander gepackt hat. Sie könnten zum Lagern animieren, sind aber in all der Vorläufigkeit, in der sie abgelegt wurden, ebenso unvollendet wie das Dach des daneben aufgebauten Pavillons. Er teilt den Raum. Das Dach, gefertigt aus verschiedenfarbigen, im selben Rhythmus geschwungenen und parallel zueinander angeordneten, aber nicht miteinander verbundenen bunten Holzbrettern, gaukelt eine heimelige Wirkung nur vor. Es bietet keinen Schutz, Abstände klaffen zwischen den Holzflächen, durch die der Regen fallen würde und die Sonnenstrahlen, stünde es draußen. Da brauchen die Gedanken wenig Zeit, um beim Flüchtlingslager anzukommen, auch hier ist der Schutz durch Zeltdächer ein scheinbarer. Oben auf dem undichten Dach balanciert eine Holzstatue, auf unsicherem Terrain. Lagerinsasse, Auffanglager, Lagerkoller mitgedacht.

Gottwald ist dem letzteren jedenfalls entgangen, selbst in Coronazeiten, die seiner zwei Jahre alten Idee einen zusätzlichen Push gegeben haben, einmal eine Ausstellung mit dem zu bestreiten, was die Jahre eines Bildhauerlebens aufgehäuft haben. Und so hat er ausgemistet, im Atelier und in den Tennen, die seiner vielfach ausladenden und platzbrauchenden Kunst ein Lager waren, wo sie verschlummerte.

Wenn unsereins der Rappel packt, alles hinaus zu befördern, was im Rumpelkeller vor sich hin gammelt, dann steht die Kellertreppe voll mit Sinnlosigkeiten, meist abgelebtem Gerümpel: vieles alt, manches verstaubt, einiges zwar noch brauchbar. Aber längst ungeliebt. Mit der Zukunft, auf die wir, wie Gottwald sagt, "spekulieren", wenn wir unsere Dinge lagern, auch wenn wir nicht wissen, was sie bringt", mit dieser Zukunft hat das Gerümpel in diesem traurigen Moment nicht mehr viel zu tun. Ganz anders bei den Lagerbeständen eines Kreativen, wo noch aus Restholz Neues entsteht, und immer wieder Neues, Zweidimensionales, Dreidimensionales. Der federleichte Korpus eines barocken Instruments etwa, einer Laute ähnelnd, aufgehängt an einem improvisierten Ständer aus grobem und gebrauchtem Gartengerät. Ein lang geschwungener fantastischer Körper, an den Drachen Fuchur aus der Unendlichen Geschichte erinnernd in seiner Form, die jede gerade Kante vermissen lässt, doch nicht aus Fleisch und Blut, sondern aus feinen Holzplatten zusammen gesetzt. "Vorne und hinten blind" hat es der Künstler genannt und den Körper an den Enden verschlossen, überraschendes Ergebnis eines experimentellen Prozesses.

Gottwald leimt Holz zu Blöcken zusammen und sägt es wieder auseinander. Im Bausteinsystem entstehen so immer neue Musterungen durch die Kombination von Maserungen, Einschüssen im Holz, Jahresringen. Manche ähneln Bilderfolgen, manche Patchworkdecken. Zarte Lamellen schafft er, wellig wie Papier, das im Wasser gelegen und getrocknet ist, oder wie überdimensionale Kartoffelchips.

Gottwalds Skulpturen machen aus der Klostergalerie ein Lager von der besten Sorte, eines, das der Fantasie Beine macht, in dem es sich verweilen lässt, weil es Raum bietet für Gedanken und Objekte. Da kann der Besucher sich durch eine Versammlung von Skulpturen bewegen, mannshoch, mal geschnitzt und massiv, solche, die den Raum verdrängen, andere filigran und zusammen gesetzt aus Einzelteilen, die Räume einschließen, die ein Inneres haben, in das man hinein sehen kann. Nägel gibt es hier keine, alles ist gebunden und geknüpft, nichts stört den Eindruck des Fließenden, Veränderlichen. Der hohe Respekt vor der Natur - unlängst hat Gottwald mit Installationen zum ökologischen Fußabdruck mit dem Aktionskreis Energiewende Glonn zusammengearbeitet - spiegelt sich in seiner Kunst. So macht er Eschenstämme zu Bänken, indem er deren natürliche Wuchsform bewahrt, schnitzt runde Formen aus ihnen heraus oder in sie hinein - sitzen wie im Wald. Alles ist Ausdruck einer tiefen Sehnsucht nach dem Lagerleben in der freien Natur, wo wir "dem Kaiser keinen Zins geben müssen", zitiert Gottwald aus einem Volkslied - eine Sehnsucht, die wir Normalsterblichen mit Feuerschalen und Freisitzen aus dem Baumarkt bedienen müssen.

Die Ausstellung in der Glonner Klosterschule läuft bis Sonntag, 4. Oktober, täglich geöffnet von 9 bis 13 und 15 bis 19 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 30.09.2020
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