Glonn:Elementarteilchen der Fantasie

In der Galerie der Klosterschule Glonn sind am kommenden Wochenende Arbeiten von vier sehr unterschiedlichen Künstlerpersönlichkeiten zu sehen. Die Ölbilder und Radierungen von Arthur Schneid verdienen besondere Aufmerksamkeit

Von Rita Baedeker, Glonn

Das menschliche Gehirn liebt die Illusion. In Wolken, einem Gebräu aus Wassermolekülen, Eiskristallen und vielen anderen Partikeln, erkennt es Drachenköpfe, Hunde und Pferde. In den Formen zerklüfteter Berggipfel verbergen sich Riesen, verschneite Bäume und Büsche werden bei der Suche nach vertrauten Bildern zu Gnomen und Feen. Je ausgeprägter die Fantasie, desto vielgestaltiger die Spukgestalten, in welche sich bevorzugt in der Dämmerung normale Naturphänomene verwandeln.

Der Augsburger Künstler Arthur Schneid, Absolvent der Blocherer Kunstschule und der Münchner Kunstakademie, kreiert auf der Grundlage solcher Metamorphosen im Kopf ebenso schöne wie albtraumhafte Radierungen. Zusammen mit den Künstlerinnen Monika Arndt, Anne Mainz und Karin Nahr stellt Schneid seine Arbeiten - Radierungen, Aquarelle und Ölbilder - noch bis kommenden Sonntag in der Galerie Klosterschule in Glonn aus. Die drei Werkgruppen von Arthur Schneid lassen sich, abgesehen von ihrer überragenden künstlerischen und handwerklichen Qualität, kaum miteinander vergleichen. Für die Radierungen nimmt der Künstler Fotoarbeiten von Dietrich Kunze als Vorlage, etwa eine Wolkenformation, und überträgt die visuellen Fantasien, welche die Wolkenbilder bei ihm auslösen, mit Radiernadel und Lupe akribisch auf eine Kupferblechplatte. Dabei entstehen teils surreale, teil komische, teils bedrohlich wirkende Motive: "Über allen Gipfeln ist Kuh" hat Schneid wortspielerisch eine seiner Arbeiten betitelt, bei der sich die Tiergestalt aus der Wolke herauskristallisiert. Unheimlich wirken dagegen Radierungen wie "Entdeckungsreise" und "Verwandlung". In den haarfeinen Linien zwischen Fell und Flechten, zwischen Pflanze und Gewürm wohnt das Grauen, lauert auf dem dämmrigen Bildgrund ein gigantischer Nachtfalter, werden aus Pferdeköpfen Geschöpfe eines Albtraums wie von Johann Heinrich Füssli, einem englisch-schweizerischen Maler der "schwarzen Romantik".

Aus der Sphäre der organische Welt ragt eine zweite Gruppe von Arbeiten heraus. "Big Data" nennt Schneid eine Reihe von großformatigen Ölbildern, die er dem Innenleben der Großforschungseinrichtung CERN bei Genf gewidmet hat. Mithilfe der wundersamen Weltmaschine suchen Forscher nach den fundamentalen Gesetzen des Universums. Kernstück der Anlage ist der riesige Teilchenbeschleuniger mit Magnetspule. Mit all den Armen, Röhren und kaleidoskopartigen Kammern scheint die Maschine selbst ein Wesen aus einer anderen Welt zu sein. Das Bild dieses Monstrums sei ihm wie ein Symbol fürs Universum erschienen, sagt Schneid: "Hardware-Elemente wie zum Beispiel Platinen habe ich dann mit physikalischen Zeichen verbunden oder besser: damit gespielt."

Aus den Elementarteilchen seiner Fantasie konstruierte der Künstler symmetrische Mandalas, Altäre für den Computergott, der umgeben von kleinteiligen Kreisen, Vielecken, Zahlen, Mustern, Bändern und einer Menge geheimnisvoller Zeichen und geometrischer Formen Hof hält. Die nicht-materielle virtuelle Welt verbindet der Künstler mit der sinnlich-haptischen Wirkung leuchtender, pastos aufgetragener Farben. Der Weg vom Wolkenbild zur Wissenschaft scheint kurz. Und die mit leichter Hand gemalten Blumenaquarelle beweisen zumindest eines schlüssig: Woraus immer die kleinsten Teilchen der Materie bestehen mögen, sie tragen in sich den Samen der Schönheit.

Karin Nahr aus Glonn hat sich für die Ausstellung auf Venedig und Figurenporträts konzentriert. "Mir gefällt Venedig in der Weise, dass es mich zum Malen reizt", sagt sie, um dem Missverständnis vorzubeugen, sie wolle, so wie Tausende andere, Markusplatz und Rialtobrücke abmalen. "Mich reizt das Dunkle, Theatermäßige der Stadt, das grelle Licht vom Meer, das ins geheimnisvolle Zwielicht dringt." Karin Nahr hat eine Ausbildung als grafische Zeichnerin absolviert. Sie hat als Lehrerin für Werken, Technisches Zeichnen und Kunsterziehung gearbeitet und ist seit einiger Zeit freischaffend tätig. Betrachtet man, wie sie Figuren in Bewegung versetzt, den Gondoliere, die Tänzer der Bairer Musi, sogar den Mann am Zugfenster, dann wird ihr grafisches und kompositorisches Können offenbar. Auch bei der Architektur setzt sie gekonnt Farbakzente und Schwerpunkte, etwa bei der Darstellung einer Häuserfront. Ein paar Umrisse, die Farben von Muranoglas - und schon glaubt man sich inmitten der Lagunenstadt. Nahrs Technik, das Motiv in eine Wachsschicht hinein zu kratzen und mit Farbe zu füllen, oder mit Tintenstift zu zeichnen, verstärkt den filigranen, auf wesentliche Formen reduzierten Charakter der Bilder.

Im Gegensatz zu den drei Kollegen arbeitet Anne Mainz abstrakt. Sie hat Landschaftsarchitektur studiert und arbeitet in der Denkmalpflege. Die Idee zu ihren Bildern sei bei der Arbeit mit morbiden Gebäuden und Wänden voller Graffiti entstanden, sagt sie. Mainz malt mit Pinsel, Spachtel und Rolle, mit Schwämmen und Händen oder schüttet Acrylfarbe auf die Leinwand. "Meine Bilder entstehen schnell", sagt sie. In ihre großflächigen Kompositionen mischt sie verblassende Schriften. Jede Farbschicht versinnbildlicht Spuren des Vergangenen oder - im Falle eines kräftigen Weiß - vielleicht einen Neubeginn.

Glonn: Auch beim Rotieren der Teilchen im Kernforschungszentrum Cern, abgebildet in diesem Werk, geht es um Drehmomente.

Auch beim Rotieren der Teilchen im Kernforschungszentrum Cern, abgebildet in diesem Werk, geht es um Drehmomente.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Auch Monika Arndt aus Großhöhenrain kommt als Tiefdruck-Retuscheurin aus dem grafischen Gewerbe. Sie macht sich bei ihren Blumen- und Landschaftsbildern eine von Emil Nolde und anderen Expressionisten geprägte Formensprache zu eigen, pflegt aber auch die flächige, vereinfachende Malweise von Hinterglasbildern. Sehr ausdrucksstark sind ihre Frauenporträts, auch die aus Keramik. Besondere Aufmerksamkeit verdient die Serie der "Weibsbilder". Auf schreiend farbigem Malgrund - lila, blau, orange - hat sie comicartig und karikaturhaft überzeichnet Mädchen und Frauen bei typischen Beschäftigungen wie Schminken und Shoppen dargestellt. Die Porträts erzählen kleine Geschichten. Mal vom schlechten Gewissen beim Genuss einer Eiswaffel - die Kalorien! - , mal von der gestylten und eitlen Schönheit, die diskret und ein wenig arrogant zur Seite blickt (ob er wohl gerade guckt?), und mal sind es zwei Grazien, die miteinander ablästern - eine Komödie, in der frau sich trotz aller Ironie jederzeit wiedererkennt.

Geöffnet ist die Ausstellung "Glonn4art" in der Galerie Klosterschule noch Samstag und Sonntag, 3. und 4. Oktober, jeweils von 10 bis 18 Uhr.

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