Glonn:Afrika im Herzen

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Herbert Siemandel-Feldmann porträtiert Tiere, die er auf seinen Reisen nach Namibia fotografiert hat. In der Klostergalerie sind seine Zeichnungen zusammen mit Skizzen seines Lehrmeisters Helmut von Arz zu sehen

Von Alexandra Leuthner, Glonn

Carlos war ein schräger Typ. Tagsüber wieselflink unterwegs, in typischer Erdmännchenmanier, eben noch da und schon wieder weg. Aber wenn er müde war, konnte er sich in eine Armbeuge kuscheln, guckte dann von seiner geschützten Warte aus in die Welt hinaus und rührte sich nicht mehr. Nur deshalb konnte dieses Bild überhaupt entstehen, denn nur so konnte Herbert Siemandel-Feldmann das possierliche Wesen so fotografieren und dann zeichnen, wie er es getan hat. "In freier Wildbahn hält ein Erdmännchen nie lange genug still."

Die Ausstellung in der Klostergalerie ist durch Vermittlung eines Glonners zustande gekommen, der den Zeichner bei einer Ausstellung in Berlin kennen gelernt hat. Deshalb hängt Carlos' Abbild nun in Über-, Überlebensgröße an einer Wand im Treppenhaus. Gespitzte Öhrchen, jede Granne des Fells meint man mit dem Finger nachfahren zu können. "Ich hab mir genau überlegt, wie groß ich ihn machen kann, damit die Schnurrbarthaare nicht wie Schläuche aussehen", sagt der Zeichner. Tun sie nicht. Wie lebendig ragen sie aus dem weichen Fell der Schnauze, man glaubt zu sehen, wie sie bei jedem Atemzug ein wenig zittern.

Siemandel-Feldmann hat Carlos auf einer Farm in Namibia entdeckt, wo das Tier mit der Flasche groß gezogen worden war. In den Naturreservaten Namibias findet der Essener Künstler fast alle seine Motive. Mit dem Fotoapparat spürt er ihnen nach, stundenlang; sitzt an Wasserlöchern und wartet auf Elefanten, Zebras oder Antilopen, um den Augenblick festzuhalten, wenn sie erscheinen, wenn sie vorsichtig zum erquickenden Nass wandern, um den ersehnten Schluck zu tun. "Wenn Elefanten trinken, dann sieht das aus, als würden sie es genießen", schwärmt der Zeichner und findet einen Vergleich: "So wie man beim ersten Schluck Wein die Augen zumacht, um dem Aroma nachzuspüren."

Für Herbert Siemandel-Feldmann (links) sind Tiere mehr als Vorlage für den Zeichenstift. Sie sind Spiegel des Geschehens. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Assoziation findet ihren Weg auf seine Leinwand: Er gibt dem Elefanten, eingekleidet in einen Überwurf aus grauen Hautfalten, ein leichtes Lächeln, lässt eine Gazelle die Nase rümpfen und verpasst einem alt gewordenen Geparden ein leicht schielendes Auge. Der Kopf des Tieres sitzt schwer und hager auf dem schmal gewordenen Hals, mit dem Gesichtsausdruck eines alten Mannes, der seine Brille verlegt hat.

Immer wieder packen Siemandel-Feldmann und seine Frau das Reisegepäck in ihrem Essener Zuhause zusammen und machen sich auf nach Afrika. "So alle drei Jahre", erzählen sie, mehr gebe die Reisekasse nicht her. Jedes Mal aber kommen sie zurück mit Tausenden von Fotos, die sich der Zeichner in seinem Atelier vornimmt. Fünf, sechs Stunden sitzt er dort und macht mit seinem Kohlestift winzige Striche auf seine großen Leinwände. "Solche Flächen muss man erst einmal zu kriegen", sagt er und lächelt, "das hat auch seine langweiligen Phasen." Die er in völliger Stille zubringt, allein mit sich selbst, "ich höre keine Musik beim Arbeiten, genieße den Blick aus meinem Fenster." Da ist Langeweile vielleicht nicht das richtige Wort.

In allem der völlige Gegensatz zu Siemandel-Feldmanns Bildern sind die Skizzen und Illustrationen von Helmut von Arz. Und doch war der 2014 gestorbene Künstler aus Siebenbürgen der Lehrmeister des Essener Tierzeichners. Groß geworden in der Heimat Draculas, hatte sich von Arz dem real existierenden Sozialismus und seinen einengenden Vorstellungen von Kunst entzogen, indem er sich der Illustration von Märchenbüchern widmete. Gouachen und Tuschezeichnungen fertigte er. Immer wieder Pferde. "Wenn er ein Tier ein paar mal gezeichnet hatte, dann konnte er damit machen, was er wollte", erzählt Siemandel-Feldmann, der den Nachlass von Arz' verwaltet und noch zu dessen Lebzeiten sein Galerist wurde.

1965 kam von Arz nach Deutschland, lehrte an der Essener Universität, wo er seine Studenten immer wieder in den Zoo führte. Er selbst brauchte das lebende Vorbild kaum für seine Kunst. Er hatte es im Kopf, veränderte es immer wieder. Aus Pferden wurden Zentauren. Zentauren als Polospieler, einer, der sich selbst am Schweif aus dem Sumpf zieht, ein Gespann vor einer Kutsche, dessen menschliche Oberkörper wild gestikulierend offenbar miteinander diskutieren.

Tausende von Arz'schen Skizzen, Zeichnungen, Zetteln hat Siemandel-Feldmann zu Hause. "Er konnte nirgends hingehen, ohne zu zeichnen, immer mit einem Block unterwegs." Davon erzählen die postkartengroßen Tuscheskizzen, die in Glonn zu sehen sind. Von der Schnelligkeit des Zeichners, der in wenigen Strichen festhält, was ihm einfällt, oder was er gerade gesehen haben könnte: den Zentauren am Dönerstand, den Yeti, eine seiner Lieblingsfiguren, in trauter Zweisamkeit mit Reinhold Messner oder mit seinem Freund, dem Schneeleoparden.

Von der schnellen Gangart hat sein Schüler nichts übernommen. Siemandel-Feldmann wählt den Ausschnitt des Fotos, den er zeichnen will, am Computer aus, so viel Hilfsmittel darf sein, wenn einer "20 Stunden und 40 Jahre" in ein Bild investiert. "Eine lange Phase des Bildaufbaus" geht der Grundierung, den Radierungen, den Überlegungen voraus, wie sich eine Fellstruktur am besten darstellen lässt. Er zeigt auf eine kleine, weiße Ecke, oben links auf einer großen Leinwand, "wär doch blöd, wenn am Ende die Ecke nicht passt." Den Rest des Bildes nimmt das Gesicht eines Orang-Utans ein, die Melancholie eines ganzen Lebens in seinem Blick. "Das ist dann das, was Freude macht", sagt der Zeichner: Der Ausdruck der Augen, gezielt gesetzte Reflexionen, die können auch mal jedem Lehrbuch widersprechen, als käme das Licht aus unterschiedlichen Richtungen. Ein bisschen schräg, so wie bei Carlos, dem Erdmännchen.

© SZ vom 01.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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