Süddeutsche Zeitung

Kultur im Landkreis:Therapie trifft Splatter

Im echten Leben ist Gerry Lächnfinga Sozialpädagoge. Privat betreibt der Markt Schwabener den Podcast "Cigarrencouch" und hat nun einen Western-Krimi namens "Transwaggon" geschrieben.

Von Michaela Pelz, Markt Schwaben

"Gerry Lächnfinga" - was für ein Name! Kein echter, so viel steht fest. Sondern, wie sich nach einem so amüsanten wie interessanten Treffen herausstellt, ein Synonym für kreative Vielseitigkeit. In erster Linie aber hat der Mann aus Markt Schwaben ein schützendes Pseudonym gewählt, weil er im echten Leben als Sozialpädagoge und Gestalttherapeut mit Menschen in schwierigen Lebenssituationen arbeitet.

Darüber hinaus ist Lächnfinga Hobby-Schlagzeuger, Mentaltrainer einer Sportmannschaft, hat ein Buch geschrieben, dazu später mehr, und betreibt den Podcast "Die Cigarrencouch - im Rauchkanal der Lebensfragen". In diesem "klassischen Lockdown-Projekt" geht es neben Zigarren und einem passenden Getränk um alles mögliche: von Fußball über Filme, Musik, Bücher und Sport bis hin zu Sex.

In diesem Audioprojekt liegt auch der Ursprung des Künstlernamens, zu dem ihn Podcast-Partnerin und Kollegin Maria inspirierte: Das "eiskalte Händchen", das sie ihm eines Tages auf den Arm legte, fühlte sich an wie "Leichenfinger - und mir war sofort klar, dass ich daraus etwas machen muss". Das Ergebnis, nach einer Transformation ins Österreichische, hört sich als "Lächnfinga" sogar richtig elegant an. Der Vorname "Gerry" ist übrigens eine Hommage an Robert Palfrader als Gerhard "Gerri" Tschach in der Serie "Braunschlag" - ein Faible, das schon viel aussagt über den Sozialpädagogen.

Lächnfinga klingt in seinem Podcast wie ein leiwander Österreicher. "Ich könnte auch sprechen wie Willi von der Biene Maja oder sogar wie Gerhard Schröder", lacht der 41-Jährige. Unter der Dusche habe er geübt, was er am längsten durchhalten könne. Vom Ergebnis war schließlich sogar eine Wienerin geblendet, die zu Gast war in einer der mittlerweile 70 Folgen. Sie wunderte sich nur, dass er beim telefonischen Vorgespräch so anders klang als im Podcast.

Sprechende Namen sind der Auslöser für den Roman

Vielleicht ist der "multikulturelle" Werdegang des gebürtigen Niederbayern für diese sprachliche Anpassungsfähigkeit verantwortlich: Im Allgäu aufgewachsen, zog er nach dem Studium in der Oberpfalz mit seiner fränkischen Frau nach Oberbayern. Möglicherweise handelt es sich dabei aber auch um einen Wesenszug dieses Mannes mit einem ganz speziellen Sinn für Komik. Letzterer war auf jeden Fall Auslöser für die Entstehung von "Transwaggon", einem höchst ungewöhnlichen Western-Krimi mit Therapie- und Splatter-Elementen, veröffentlicht Ende 2022.

Dessen Anfänge gehen zurück auf das Jahr 2018 damals nämlich fielen dem USA-Fan einige sprechende Namen ein. Könnte man nicht aus "Handcuffs" (Handschellen) wunderbar einen weiblichen Deputy ("Handy Cuffs") machen? Es folgten "Trench Coat" (DEA-Agent) und "Father Morgana" (der im Knast zu Gott gefunden hat). Daraus entstand die Idee, jeder der schließlich zwölf Figuren eine Biografie zu verpassen und sie im Ort Transwaggon aufeinandertreffen zu lassen, wo sich dann ihr Schicksal auf schreckliche Weise vollendet...

Am Ende eines Tags und einer Nacht, deren Grundton das Trommeln der Indigenen ist, finden im Nordosten New Mexicos einige den Tod, andere Läuterung, Erlösung oder alles zusammen. Doch welche der Figuren ist nun dem Autor am nächsten? Man tippt auf Sozialarbeiter "Joss Tisse", dessen Lebensleitlinien zunächst Empathie und Gerechtigkeit (Justice) sind. Nach fünf Jahren in Transwaggon, als Streitschlichter für die "Dirt Mover", hat er zwar mit allen denkbaren Lastern Bekanntschaft gemacht, die Loyalität gegenüber seinen Klienten hat er sich aber dennoch bewahrt.

Der Tätowierer "Flash Tunnel" ist die Lächnfingas Lieblingsfigur

Doch der ist es nicht. "Ich mag die alle. Trench Coat besitzt zum Beispiel eine Geduld und Coolness, die ich nicht habe", antwortet der Schöpfer dieser Personen, die alle ihre eigene Entwicklung durchgemacht haben. Am liebsten sei ihm aber "Flash Tunnel": Der Tätowierer hat dank seiner "Apachen-Träne" nicht nur eine ganz spezielle Verbindung zu den Ureinwohnern, er ist auch praktisch der einzige, dessen Verhältnis zu den eigenen Eltern ungetrübt ist. Noch ein Zeichen dafür, was den Krimi so individuell macht: Intensiv beschäftigt sich jede Figur mit ihren Dämonen - zuweilen unterstützt von den Ratschlägen eines Fachmanns.

Ist dieser Aspekt einem Sendungsbewusstsein geschuldet, wie es Therapeuten und Sozialarbeitern gerne zugeschrieben wird? Zumal auch die Herangehensweise an den Podcast - "mit einer gewissen Leichtigkeit wollen wir uns Zeit für gute Gespräche nehmen, bei denen gewissermaßen der Therapeut ganz ungezwungen danebensitzt" - zeigt, dass der Markt Schwabener bis zu einem gewissen Grad nicht aus seiner (beruflichen) Haut herauskann.

Aber nein, missionarischer Eifer ist nicht zu erkennen bei dem Autor, zu dessen Lebenserfahrungen die Arbeit im Schichtbetrieb in der Metallverarbeitung genauso zählt wie die Suchtberatung. Was der 41-Jährige aber zweifelsohne besitzt: eine Antenne für Probleme, ein Gespür für Zwischentöne, und keinerlei Scheu, den Finger in eine Wunde zu legen.

Was wohl nicht ausbleibt, wenn man tagtäglich mit Menschen in Krisensituationen zu tun hat. Doch gerade da kommt ihm auch sein Sinn für Humor zugute, der jedoch nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass der Markt Schwabener in seinem Job stets seriös agiert. "Als Sozialarbeiter sitzt du nicht da mit einem Entweder-Oder, sondern willst den Graubereich erfahrbar machen. Das ist auch den Betroffenen gegenüber ehrlicher", sagt er. Zudem habe er als Gestalttherapeut gelernt, auch das "Gute im Schlechten" zu erkennen.

Für Ausgleich sorgen Hobbys, die auch in die schriftstellerische Arbeit einfließen. So weiß er als Schlagzeuger, wie man mit nur einem Beat in Trance gelangen kann, und mit seinen Figuren verbindet ihn die Vorliebe für Stoner Rock. "Auf dem Weg zur Arbeit läuft allerdings Jazz, Blues oder BR-Klassik im Radio. Das beruhigt am besten bei Auto-Tourette."

Lächnfingas Bar "Copper Coin", die natürlich so heißt wie der Saloon im Buch, hat er selbst geplant und gebaut. Die Wände des Wohnzimmers zieren 420 goldene Schwertlilien, eigenhändig auf die rote Wand getupft, um den Eindruck einer viktorianischen Tapete zu erwecken. In der Ecke neben dem tabakfarbenen Sofa steht ein Humidor. Dem Faible für Rauchwaren verdankt der Roman des Zigarrenexperten übrigens eine wichtige Episode.

"Ich saß auf dem Balkon und leicht lächelnd lag da dieses Messer ... dann war alles klar," erzählt der Tarantino-Fan mit Schalk in den Augen. Tatsächlich liefert gerade diese Folterszene, über die Menschen mit schwachen Nerven schnell hinweglesen sollten, einen Beweis dafür, dass in diesem Buch Gewalt nicht um ihrer selbst willen geschildert wird. Und dass die Fantasie beim Lesen oft blutigere Bilder malt als jede Beschreibung.

Verschnaufpausen gibt es aber auch immer wieder, wirklich komische Stellen, zum Beispiel, wenn der Saloon zum Treffpunkt des ortsansässigen Frauenvereins für "traditionelles Westernsticken" wird, oder wenn es um Schrödingers Katze geht - noch ein Beleg für die Bandbreite des Werks: hier Splatter, da Philosophie.

Bleibt eine letzte Frage: Wie verhält sich dieser Mann im echten Leben so? "Er ist auf jeden Fall jemand, dem viel einfällt," erwidert die Ehefrau und lacht. Sie kenne ihn nicht anders, immer schon sei er an vielen Dingen interessiert gewesen, habe sich überall reingefuchst. Man darf also gespannt sein, was diesem, so die Gattin, "kreativen, aber auch tiefgründigen Menschen" als nächstes einfällt.

Beim Podcast sollen die hundert Folgen auf jeden Fall noch voll werden. Und selbst wenn es keine Fortsetzung von "Transwaggon" geben sollte, beteuert der kreative Markt Schwabener: Fad werde ihm bestimmt nicht. "Ich finde was. Und wenn es traditionelles Westernsticken ist."

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