Amtsgericht Ebersberg:Sozialstaat um 200.000 Euro betrogen - dennoch Haftentlassung

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Eine Reinigungskraft (Symbolfoto). (Foto: Daniel Reinhardt/dpa)

Mit seinen Firmen - etwa einem Reinigungsbetrieb - prellt ein Mann die Sozialkassen. Nun gibt es ein Urteil.

Aus dem Gericht von Andreas Junkmann, Ebersberg

Noch bevor der Prozess vor dem Ebersberger Amtsgericht so wirklich begonnen hatte, zog Verteidiger Thomas Pfister bereits ein Bündel Geldscheine aus seiner Tasche. Die 30 000 Euro, die der Münchner Jurist da in seiner Hand hielt, sollten das Ticket in die Freiheit für seinen Mandanten sein. Dieser nämlich saß zuvor bereits mehrere Monate in Untersuchungshaft, wegen des Vorwurfs, die Sozialkassen um insgesamt knapp 200 000 Euro geprellt zu haben. Über mehrere Monate hinweg hatte er für die Mitarbeiter seiner Reinigungsfirmen in Grafing und München keine Sozialbeiträge abgeführt und zudem das Ebersberger Jobcenter um rund 10 000 Euro betrogen. Das Geld, das Rechtsanwalt Pfister nun vor Gericht dabei hatte, war bereits als ein erster Teil der Schadenswiedergutmachung gedacht.

Denn dass er für die zahlreichen Verstöße aus der Anklageschrift verantwortlich war, gab der 39-Jährige gleich zu Prozessbeginn über seinen Anwalt zu. "Kurz und bündig: Der Sachverhalt ist ohne jedes Wenn und Aber richtig", sagte Pfister. Um diesen vorzutragen, brauchte der Staatsanwalt fast eine Viertelstunde, war das Geschäftskonstrukt des Mannes mit mehreren Firmen und einer nicht näher bekannten Zahl an Mitarbeitern doch mehr als undurchsichtig. Am Ende jedenfalls stand ein Fehlbetrag von eben jenen 200 000 Euro, die der Angeklagte in den Jahren 2014 und 2015 der Sozialkasse vorenthalten hatte.

Das jedoch sei keineswegs aus böser Absicht geschehen, wie der Mann schließlich auf Nachfrage von Richter Markus Nikol beteuerte. Als sein Sohn 18 Jahre alt geworden sei, habe die Familie im Jahr 2014 gemeinsam versucht, Geld zu verdienen und dazu bei einer Reinigungsfirma angeheuert. Als 2015 die Flüchtlingskrise über Deutschland hereinbrach, hätten sie sich vor Aufträgen kaum mehr retten können. Erschwerend kam hinzu, dass die Firmenstruktur durch viele Subunternehmen immer komplizierter wurde. "Das ist alles viel zu schnell passiert", sagte der Angeklagte nun vor Gericht. Fast täglich hätten er und seine Familie neue Gebäude - vor allem Flüchtlingsunterkünfte - zugewiesen bekommen.

Als die Arbeit nicht mehr zu stemmen war, hat der Angeklagte immer neue Kräfte angeheuert, teilweise kurzerhand direkt am Münchner Hauptbahnhof. "Die Papiere wurden halt eher weniger gemacht", so der 39-Jährige, dem damals schon bewusst gewesen sei, dass das nicht lange gut gehen kann. Um die Aufträge nicht zu verlieren, habe er seine Geschäftsmodell aber eben durchgezogen. "Wir waren wie verloren, das war keine schöne Zeit."

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Dass sein Mandant keineswegs ein Faulenzer sei, der den Staat zum eigenen Vorteil geprellt hat, machte auch Verteidiger Pfister deutlich. Die Reinigungsbranche sei ein knallhartes Geschäft, bei dem erheblicher Konkurrenzkampf herrsche. Viele Firmen würden deshalb immer wieder auf Schwarzarbeiter zurückgreifen. Als Entschuldigung solle das aber freilich nicht gelten.

Zwielichtige Geschäftspraktiken

Zumal der Angeklagte auch seine eigene Familie mit in die zwielichtigen Geschäftspraktiken eingebunden hatte. Sein Sohn war zwar auf dem Papier Geschäftsführer einer der Firmen, ohne jedoch tatsächlich die Geschicke zu leiten. Auch seine Stiefschwester setzte der Angeklagte als Chefin eines Unternehmens ein. Beide mussten sich bereits im Januar vergangenen Jahres vor Gericht verantworten und wurden zu 120 beziehungsweise 150 Sozialstunden verurteilt. "Über das Geschäft weiß ich gar nichts, ich habe nur meinen Namen hergegeben", sagte der 22-jährige Sohn damals. Das sei der größte Fehler gewesen, den er je gemacht habe.

Eigentlich hätte auch der jetzige Angeklagte damals schon vor Gericht aussagen sollen. Er und seine Lebensgefährtin hatten sich aber aus dem Staub gemacht und wurden per Haftbefehl gesucht. Inzwischen wohnt die Familie in Österreich. Diese hatte nun eben jene 30 000 Euro zusammengekratzt, die den Vater aus dem Gefängnis holen sollten - und tatsächlich ließen sich Staatsanwaltschaft und Gericht von diesem Zeichen des guten Willens überzeugen. In einem Rechtsgespräch einigten sich alle Parteien darauf, dass man den Mann zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilen könne. Der Haftbefehl wurde aufgehoben.

Das allerdings sei alles andere als selbstverständlich, wie der Staatsanwalt in seinem Plädoyer sagte. Das Verhalten des Angeklagten sei von "hoher krimineller Energie" geprägt und der entstandene Schaden gehe letztendlich zu Lasten der Allgemeinheit. Auch sein Verteidiger räumte ein, dass gerade die Sozialkassen das Geld dringend brauchen würden. Die Bewährung sei deshalb durchaus großzügig. "Wenn Sie nochmal vor Gericht auftauchen, wird's mächtig im Gebälk krachen", sagte er deshalb zu seinem Mandanten.

Der gelobte Besserung und wolle künftig auch nicht mehr in der Reinigungsbranche arbeiten. Einen Job wird der 39-Jährige wohl aber schnellstmöglich brauchen, denn den Rest der Schadenssumme muss der Mann nun nach und nach zurückzahlen.

© SZ vom 13.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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