Süddeutsche Zeitung

Nachhaltigkeit:Das Ochsenherz und sein Charakter

Anna Fritzsche lebte vier Sommer lang als Sennerin auf einer Alm. Nun hat sie ihren Hof in Oberbayern zum Biobetrieb umgebaut und experimentiert mit Gemüsesorten. Sie sagt: "Man kann mit so wenig Anbaufläche so viele Leute ernähren."

Von Korbinian Eisenberger, Oberpframmern

Vom Biegungsgrad kommt diese Gurke nahe an eine Banane heran, allerdings sieht sie dafür zu grün und zu schrumplig aus. Man könnte auch sagen, dass es sich hierbei um eine eher hässliche Gurke handelt, doch falls Pflanzen Gefühle haben, wäre das verletzend, und überhaupt. Anna Fritzsche hat für solche Gebilde ihr ganz eigenes Vokabular. Sie steht in ihrem Gewächshaus, die Hände voll mit Erde. Sie streichelt dem schiefen Gemüse über den Rücken und sagt: "Diese Gurke ist eine Charakter-Gurke."

Wer das Reich von Anna Fritzsche betritt, findet sich an einem Ort wieder, wo striktes Wegwerfverbot gilt. Hinter einem Bauernhaus in Oberpframmern hat die 29-Jährige ein kleines Imperium der Vielfalt angelegt. In ihrem Gewächshaus baut sie seit April sieben Gurkensorten und 16 verschiedene Tomatenarten an, Black Cherry, Yellow Manolo, Berner Rose. Oder die Yellow Submarine, eine gelbe Tomatenart, die viel Platz braucht und deswegen bei Großbetrieben eher unbeliebt ist. Alles ohne Dünger und ohne Pflanzenschutz. "Hier im Ort haben schon manche bezweifelt, ob auf Pframmerner Boden überhaupt was wächst", sagt sie. Fritzsche ging trotzdem den Weg des Risikos. Heute sagt sie: "Man kann mit so wenig Anbaufläche so viele Leute ernähren."

Ein Sommertag auf dem Oberpframmerner Kainzenhof, Anna Fritzsche kniet in Jeans und Hemd vor einer Tomatenstaude und zieht ein Messer aus der Tasche. Es sind die Wochen der Ernte auf ihrem 1000 Quadratmeter großen Areal. Gurken, Schnittlauch, Kopfsalat, Wassermelonen. Zwei mal in der Woche öffnet sie ihren Laden zum Verkauf. Ihr Geschäftsmodell: Abo-Kunden, die sich dann eine alte Weinkiste mit frischem Gemüse abholen. Entscheidend dabei: Was in die Kiste kommt, bestimmt die Bäuerin selbst. "Ich richte mich nach der Ernte", sagt sie. Wenn der Salat eine schlechte Woche hat, dann gibt es eben eine Doppelfuhre Tomaten. Und meistens zwei Gurken, "eine gerade und eine Charaktergurke".

Natürlich geht es hier um's Geschäft, aber nicht nur. Fritzsche ist mit ihrer Herangehensweise eine Art Querdenkerin in der Branche. Die Fördertöpfe des Freistaats und der EU für Landwirte sind flächengebunden - je größer desto lukrativer - darin sieht Fritzsche ein Hauptproblem dieser Zeit. Einen Grund, warum Bauern aufgeben oder zu Massenproduzenten werden. Ihre Überzeugung: "Viele Betriebe wären froh, wenn es das Fördersystem nicht mehr geben würde."

Weg von der Masse, weg von Massenviehhaltung, hin zum Gemüse, von dem alles erdenkliche verwertet wird. Statt Bekämpfungsmittel setzt sie gezielt Nützlings-Insekten ein, die etwa die schädliche Wolllaus vertilgen. Darum geht es ihr, deswegen hat sie Land- und Hauswirtschaft gelernt und sich zur Agrartechnikerin ausbilden lassen. Sie hält Vorträge, damit andere ihre Sicht verstehen. Was, wenn etwas übrig bleibt? Diese Frage kommt dann bisweilen. Fritzsches Lösung ist der Kochtopf: Eingekochte Zucchini-Süßsauer im Glas, als Aufstrich zur Brotzeit. Oder Tomatensoße für Pasta Asciutta. Blattgemüse wird zu Kompost. "Den kriegt der Boden dann wieder zurück."

Es geht vorbei an Kürbissen, Mangold und Bohnen, lila, weiß und grün, hinaus aus dem Gewächshaus. Dort steht ein Anhänger mit einem verrosteten Odelfass. Bis vor kurzem gehörte der Hof noch ihren Eltern, früher hielt die Familie hier Kühe. Ein Milchvieh- und Ackerbaubetrieb, der irgendwann nur noch ein Ackerbaubetrieb war, so wie in so vielen Bauernfamilien im Großraum München. Manche schmeißen hin, andere eröffnen Pensionen, und finanzieren so den Erhalt des Hofbetriebs. Anna Fritzsche geht ihren eigenen Weg.

Es dürfte hierzulande nicht allzu viele junge Frauen geben, die sich noch an eine Hofübernahme wagen. Doch Fritzsche war schon immer eine, die sich wenig für Konventionen interessierte. Fünf Jahre lang hat sie als Agrartechnikerin in einem Labor gearbeitet, unter sterilen Bedingungen. Wahrscheinlich hätte man sie hochkant rausgeworfen, wäre sie dort mit ihren erdigen Händen aufgetaucht. Fast wie nach einem erfolglosen Entzug stürzte sie sich nun umso mehr in die Natur: Vom Labor ging es in die Berge, vier Sommer arbeitete sie als Sennerin auf einer Alm. Mit der Hofaufgabe der Eltern wartete nun eine neue Aufgabe, "die sich ähnlich anfühlt wie am Berg", sagt sie: Hoch droben bimmelten die Kuhglocken, in Oberpframmern läutet nun der Kirchturm.

Immer am Donnerstag und Samstag ist zu sehen, wie das Konzept ankommt. Gerade erst in Betrieb gegangen, hat Fritzsche bereits 20 Familien, die sich jede Woche eine Kiste für 17 Euro abholen. "Mein Platz zum Anbauen würde für maximal 50 Kisten pro Woche reichen", sagt sie, dann bräuchte sie mindestens einen Mitarbeiter. Eine Kiste ist für Virginie Kober und ihre Tochter reserviert, sie wohnen ein Hauseck weiter. Das Biosiegel ist ihr wichtig, sagt die 40-Jährige, und dass dem Gemüse die Wege erspart werden. Eine Herausforderung: Die Kiste ist jede Woche aufs Neue eine Wundertüte. Neulich war Topinambur drin, "da musste ich googeln", sagt Kober: Eine Wurzel, die geschmacklich der Artischocke ähnelt. "Man muss halt ein bisschen kreativ sein", sagt sie.

Auf engen Pfaden geht es zurück ins Gewächshaus, wo immer noch die Charakter-Gurke hängt. An einer Tomatenstaude der Gattung Ochsenherz bleibt sie stehen. Bei genauem Hinsehen ist zu erkennen, dass Ochsenherzen auch sehr charakterstarke Pflanzen sind. Dennoch lässt die Staude sich von Anna Fritzsche an einer Schnur nach oben binden. Fritzsche öffnet eine der Halteklammern mit der Schaumstoffeinfüllung, die das Seil und die Pflanze verbinden, und hängt es 30 Zentimeter weiter oben wieder ein, da fällt eine Tomate in ihre Richtung. Als würden ihr die Ochsenherzen zufliegen.

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Quelle:
SZ vom 10.08.2019
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