Gemeindebücherei Vaterstetten:Ein Heim für 38 000 Medien

Gemeindebücherei Vaterstetten: Zum Geburtstag in Feierlaune (von links): Bettina Scharnagl, Patrizia Schukowski, Jennifer Csanyi und Monika Peters.

Zum Geburtstag in Feierlaune (von links): Bettina Scharnagl, Patrizia Schukowski, Jennifer Csanyi und Monika Peters.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Informationsvermittlung, Leseförderung und lebendiger Kommunikationsort - all das findet seit 50 Jahren in der Gemeindebücherei Vaterstetten statt. Im August steht dort außerdem ein Glücksbaum.

Von Michaela Pelz, Vaterstetten

Als 1994 die Mayersche Buchhandlung bei der ersten Auflage ihrer Kampagne "Schock deine Eltern, lies ein Buch!" Jugendliche zum Konsum von Lesefutter verleiten wollten, hatte die Gemeindebücherei Vaterstetten schon mehr als zwanzig Jahre lang passende Grundlagen für ein solches Unterfangen geschaffen.

Denn schon direkt nach ihrer Gründung 1972 seien "Kinder und Erwachsene, und hier vor allem junge Familien, in Scharen herbeigeströmt", um sich einen der damals noch kostenlosen Büchereiausweise zu holen, erzählt Christl Rohrbach. Die seinerzeit in München ansässige Buchhändlerin hatte sich auf die Leitung jener Einrichtung beworben, die in einer Ausgabe der Süddeutschen Zeitung aus demselben Jahr als mit 400 Quadratmetern "größte öffentliche Bücherei Oberbayerns" gepriesen wird.

An die genaue Anzahl der verfügbaren Medien erinnert sich Rohrbach zwar nicht, aber sehr gut daran, dass es sich bei den Titeln aus den Bereichen Belletristik, Sachbuch und vor allem Kinderbuch ausschließlich um gedruckte Exemplare handelte - "selbst Zeitschriften hatte ich zu dem Zeitpunkt nicht."

Gemeindebücherei Vaterstetten: So sah es in den Räumlichkeiten der Bücherei in den Siebzigerjahren aus.

So sah es in den Räumlichkeiten der Bücherei in den Siebzigerjahren aus.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Zwar sei der Betrieb überschaubar gewesen, die Öffnungszeiten begrenzt. Wenige Stunden pro Tag und längst nicht die ganze Woche sei sie im Einsatz gewesen. Dennoch habe sie schon bald Hilfe gebraucht, war die Bibliothek doch schnell auch zum Magnet für Lesehungrige aus umliegenden Ortsteilen wie Neufarn und Purfing geworden.

Die kommen heute immer noch, wie Patrizia Schukowski weiß, die seit vier Jahren der Gemeindebücherei Vaterstetten vorsteht und dort schon seit mehr als zehn Jahren tätig ist. Auch der vorhandene Platz hat sich leider nicht wesentlich verändert, was schon 2005 die damalige Leiterin Christa Fargel bemängelte. Heute bringe der mittlerweile auf rund 38 000 Medien angestiegene Bestand "unsere Räumlichkeiten an ihre Grenzen" bedauert Schukowski.

Gemeindebücherei Vaterstetten: Rund 38 000 Medien befinden sich auf den 400 Quadratmetern der Bücherei.

Rund 38 000 Medien befinden sich auf den 400 Quadratmetern der Bücherei.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Bücherei sei für den damaligen Bedarf errichtet worden, Vaterstetten aber mittlerweile sehr gewachsen. In Zahlen heißt das: Verglichen mit den 11 500 Personen von Anfang der Siebzigerjahre waren es schon Ende 2020 mit 24 789 laut offizieller Statistikangaben mehr als doppelt so viele Bürgerinnen und Bürger.

Um die 3000 Personen haben einen Leseausweis, den es für Neubürger ein Jahr lang kostenlos gibt. Einige Menschen sind gar seit 50 Jahren dabei. So wie Sigrid Bertram, die 1971 mit ihrer Familie von Trudering nach Baldham zog und sich ungemein freute, als sie ein Jahr später wohnortnah Astrid Lindgren und Otfried Preußler für die drei Kinder, Simone de Beauvoir für sich oder Biografien für ihren Mann ausleihen konnte.

Auch ihre neun Enkelkinder kennen mittlerweile die Bücherei

"Ich war dafür berühmt, dass ich körbeweise Bücher nach Hause schleppte," sagt die Apothekerin im Ruhestand und lacht. Auch heute noch holt sich die 83-Jährige gern Lesefutter von Jean-Luc Bannalec, Donna Leon oder Isabel Allende. Ebenso trifft man sie oft in der Kinderbuchabteilung, hat sie doch mittlerweile neun Enkelkinder, "denen die Gemeindebücherei Vaterstetten gleichfalls gut bekannt ist, obwohl sie zu Hause in Markt Schwaben ebenfalls eine gute Bücherei haben."

Gemeindebücherei Vaterstetten: Nach langer Coronapause gibt es im Sommer 2022 endlich wieder Drittklasslesungen: Hier präsentiert Autor Jörg Steinleitner seine "Barfußbande".

Nach langer Coronapause gibt es im Sommer 2022 endlich wieder Drittklasslesungen: Hier präsentiert Autor Jörg Steinleitner seine "Barfußbande".

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die große Auswahl an Kinder- und Jugendbüchern mit allein um die 12 000 gedruckten Büchern ist kein Zufall, hat sich die Gemeindebücherei doch die Leseförderung und die Zusammenarbeit mit den Schulen besonders auf die Fahnen geschrieben. Schon Vorschulkinder dürfen einen "Büchereiführerschein" machen, zur Einschulung gibt es "Abc-Taschen" mit Buch und Büchereiausweis, es folgen Autorenlesungen in der dritten Klasse und verschiedene Angebote zur Recherche-Kompetenz in den weiterführenden Schulen.

Das ist auch insofern gut und wichtig, brechen doch laut Schukowski wie überall auch in Vaterstetten irgendwann die Jugendlichen als Zielgruppe weg. Das passt zu den Ergebnissen der alle zwei Jahre durchgeführten KIM-Studie aus dem Jahr 2020, die eine Nutzung des Mediums Buch (fast) täglich oder mehrmals pro Woche durch die 6- bis 11-Jährigen von recht konstant fast 60 Prozent ausweist, die dann abrupt um rund 15 Prozent fällt. "Sie kommen erst dann wieder, wenn sie selbst Kinder haben."

Insgesamt finden im Lauf eines Jahres um die 160 000 Ausleihen statt - von Büchern, Hörbüchern, Zeitschriften, Spielen, Filmen, Tonies (spezielle Hörspielfiguren für Kinder) und E-Books. Die oft geäußerte Befürchtung, Letztere könnten die Ausleihe von "echten" Büchern verdrängen, hat sich in Vaterstetten nicht bestätigt. "Es gibt immer noch viele Kunden, die den Wunsch nach dem haptischen Erlebnis haben und massenweise Bücher nach Hause schleppen."

Gemeindebücherei Vaterstetten: Es ist an alles gedacht, damit die Büchereikundschaft nicht im Regen steht.

Es ist an alles gedacht, damit die Büchereikundschaft nicht im Regen steht.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Ganz ohne rückenschädigende Gewichtsübungen kommen hingegen jene aus, die sich via Onleihe mit neuem Stoff verproviantieren. Von manchen haben die insgesamt sechs Büchereimitarbeiterinnen im Rahmen der Bildeinsendeaktion im Januar zwar vielleicht den Lieblingsleseplatz, sie selbst aber tatsächlich noch nie gesehen.

Andere wiederum sucht das Team zusätzlich zu den 30 Öffnungsstunden pro Woche sogar privat auf. Zu verdanken ist dies dem aus der Corona-Not geborenen Lieferdienst für nicht mobile Kunden, denen die gewünschten Titel, sofern jemand im Gemeindegebiet wohnt, nach Hause gebracht werden. Diesen Service möchte man auch nach einem eventuellen Ende der Pandemie unbedingt aufrechterhalten. Gerade für Senioren, die in einem höheren Stockwerk wohnten und mit dem Treppensteigen Schwierigkeiten hätten, sei dies ein Segen.

Gemeindebücherei Vaterstetten: Von außen hat sich seit den Siebzigerjahren nicht allzu viel verändert...

Von außen hat sich seit den Siebzigerjahren nicht allzu viel verändert...

(Foto: Peter Hinz-Rosin)
Gemeindebücherei Vaterstetten: ... im Inneren und beim Angebot umso mehr.

... im Inneren und beim Angebot umso mehr.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

So wird Alt und Jung seit Jahren von einer Institution versorgt, die laut einer Branchenkennerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, die am meisten unterschätzten, außerschulischen kulturellen Orte sind, an denen zudem Bildungsgerechtigkeit unterstützt wird. "Dennoch nimmt die Öffentlichkeit sie viel zu wenig wahr. Warum? Weil man dort vor allem Frauen antrifft. Die sind nun mal eher leise." Und das, obwohl in den seit den Fünfzigern etablierten "Blättern zur Berufskunde" eine der wenigen weiblichen Bezeichnungen "Bibliothekarin" lautete.

Für Patrizia Schukowski und ihre Mitarbeiterinnen, zu denen sich ab September eine Auszubildende gesellt, trifft das "Leise sein" glücklicherweise nicht zu. Das im Rahmen des 50-jährigen Jubiläums auf die Beine gestellte kreative Veranstaltungsprogramm hat ihnen den "Bayerischen Bibliothekspreis 2022" beschert. Die Jury begründet dies damit, dass es "im monatlichen Wechsel die vielen Facetten öffentlicher Bibliotheken besonders gut zum Ausdruck bringt und alle Altersgruppen berücksichtigt."

Gemeindebücherei Vaterstetten: Der Glücksbaum hält den gesamten August aufmunternde Sprüche für die Kundinnen und Kunden bereit.

Der Glücksbaum hält den gesamten August aufmunternde Sprüche für die Kundinnen und Kunden bereit.

(Foto: Veranstalter/oh)

Noch den kompletten restlichen August darf man sich dabei beispielsweise ermunternde Sprüche vom "Glücksbaum" pflücken, zusammengestellt von Bettina Scharnagl und Monika Peters. Ende September wartet die große Jubiläumsfeier mit Thomas Maria Peters und auch im Rest des Jahres gibt es jeden Monat eine andere Sonderaktion.

Christl Rohrbach, die nun seit vielen Jahren die kleine Bücherei in ihrem jetzigen Wohnort Hohenlinden leitet, hatte in Vaterstetten schon bald Vorlesestunden für Kinder eingerichtet - besonders beliebt war dabei "Wo die wilden Kerle wohnen" von Maurice Sendak.

Gemeindebücherei Vaterstetten: Was Patrizia Schukowski im Arm hält, ist nur die Stoff-Frieda. Die echte dürfen die jungen Buchfans von September an erleben.

Was Patrizia Schukowski im Arm hält, ist nur die Stoff-Frieda. Die echte dürfen die jungen Buchfans von September an erleben.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Auch wenn die Titel heute andere sein mögen, ist doch die Begeisterung fürs Vorlesen ungebrochen und alle freuen sich schon, dass es im "Roten Salon" ab September wieder mit den unterschiedlichen Angeboten losgeht. Dann wartet dort neben dem Bilderbuchkino und dem Vorlesen für alle ab 4 Jahren nämlich auch die französische Bulldogge "Frieda" auf kleine Buchfans. Um in ihrer Gesellschaft ein Buch zur Hand zu nehmen oder sich vorlesen zu lassen, muss man garantiert niemand per Plakat-Aktion animieren.

Welche anderen regulären und Jubiläumsjahr-Highlights sonst noch geboten werden, findet man direkt auf der Internetseite der Gemeindebücherei Vaterstetten: https://opac.winbiap.net/vaterstetten/

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