Absage in Grafing:Gekonnt in Szene gesetzt

Statt an echten Wagen und Rössern kann man sich heuer an einer von Sabine Roidl gemalten Leonardifahrt in einem passend dekorierten Schaufenster erfreuen

Von Michaela Pelz

Normalerweise wäre dies eine Zeit höchster Betriebsamkeit für eine Menge Menschen in und um Grafing gewesen: Bei Maximiliane Prantner, Vorsitzende des Leonardi-Ausschusses der Stadt, hätten die Telefonleitungen für letzte Absprachen mit den Pferde- und Fuhrwerksbesitzern geglüht und die Damen des Vereins "Grafinger Bürgerinnen" noch einmal ihre historischen Trachten auf Vollständigkeit überprüft, während sowohl Pfarrer Anicet Mutonkole-Muyombi als auch Bürgermeister Christian Bauer wahrscheinlich mehrmals täglich die Wettervorhersage für den 25. Oktober aktualisiert hätten. Ein strahlend blauer Himmel als Krönung für das seit 1708 vielleicht wichtigste Ereignis der Stadt: die jährliche Leonardifahrt. Bis zu 10 000 Schaulustige hätte der Festgottesdienst mit Pferdesegnung und anschließendem verkaufsoffenem Sonntag wahrscheinlich angelockt. Doch heuer ist alles anders. Die gute Nachricht: Eine Messe wird es auf jeden Fall geben, auch die Geschäfte werden wohl offen sein. Auf den Anblick allerdings, wie die Reiter und Gespanne mit etwa 50 Wagen und gut 150 Rössern dreimal die Kirche umrunden, wird man dieses Jahr verzichten müssen.

Damit das für die Veranstaltung typische Lebensgefühl, die besondere Atmosphäre aber auch 2020 die Menschen erreicht, hat sich Malerin Sabine Roidl etwas ganz Besonderes einfallen lassen: Sie hat die Leonardifahrt in einem Gemälde eingefangen. Zu sehen ist es, umgeben von passender Literatur, in der Auslage der Buchhandlung Breuer am Marktplatz. Was dort ebenfalls ins Auge sticht, ist die von der Besitzerin des Geschäfts ausgesuchte Dekoration: ein Mieder, eine Riegelhaube, ein "Kranerl" mit Haarpfeil und ein wunderschönes Paisley-Tuch. Alles stammt aus dem Privatbesitz von Catrin Braeuer-Achatz vom Verein Grafinger Bürgerinnen, dessen Mitglieder normalerweise in ihren Original-Biedermeier-Trachten als einer der Publikumsmagneten im Festzug mitgefahren wären.

Grafing Leonhardifahrt Sabine Roidl

Sabine Roidl malte die eigentlich jährlich stattfindende Leonardifahrt. Dieses Jahr fallen die Feierlichkeiten aus.

(Foto: Christian Endt)

Doch nicht nur deswegen kommt der Buchhändlerin eine ganz besondere Rolle zu - hat sie doch gemeinsam mit Freundin Sabine Roidl vor einem Jahr auch die Idee für Postkarten mit Grafinger Ansichten entwickelt. Schnell ist klar, dass die Leonardifahrt da nicht fehlen darf. Immer wieder sitzen die beiden Frauen daraufhin bei selbstgebackener Apfeltarte im kleinen Hinterzimmer des Ladens: Während die Brauchtumsexpertin erklärt, formt sich im Kopf der Malerin langsam ein Bild. "Als Catrin dann mit Bezug auf die zeitliche Nähe zu Allerheiligen sagte: "Woast, bei Leonhardi dodelts scho immer a weng", hatte ich die Assoziation eines allegorischen Landschaftsbildes in der Art von Bruegel", erinnert sich die Malerin. Auch bäuerliche Votivtafeln kommen ihr in den Sinn.

So will sie die Sache dann anlegen: Im Mittelpunkt die Kapelle, rundherum eine Menschenmenge. Dabei soll jede der etwa 150 Figuren ihre eigene Biografie und ein Gesicht haben - egal, ob es hinterher zu sehen sein wird oder nicht. Außerdem will sie eine weibliche Person in Tracht zeigen, am liebsten auf einem Wagen. Doch, ach, schnell wird klar, dass dann die Proportionen nicht passen. Was nun? Die Lösung ist eine schöne, große Frau im Halbprofil, um auch die goldene Riegelhaube zur Geltung zu bringen. Die Kopfbedeckung darf Roidl ausleihen und im Atelier abzeichnen, Kapelle und Kirche müssen vor Ort aufs Papier gebannt werden. Das ist gar nicht so leicht: "Es kostet mich eine Menge Mut, vor Zuschauern zu zeichnen, ich zeige meine Werke lieber erst her, wenn sie fertig sind." Um ungestört zu sein, bezieht Sabine Roidl daher samt Skizzenblock sonntagmorgens um fünf Position an der Leonhardstraße und hält alles fest, was ihr wichtig erscheint.

Absage in Grafing: Wollen die Stimmung der traditionellen Wallfahrt einfangen: Malerin Sabine Roidl und Buchhändlerin Catrin Braeuer-Achatz.

Wollen die Stimmung der traditionellen Wallfahrt einfangen: Malerin Sabine Roidl und Buchhändlerin Catrin Braeuer-Achatz.

(Foto: Christian Endt)

Das Ergebnis findet Rathauschef Bauer, bei dem das Gemälde einmal landen soll, ausgesprochen gelungen - "so schön mit den Bergen im Hintergrund!", die Anordnung der Gotteshäuser schreibt er der "künstlerischen Freiheit" zu. Darauf angesprochen, erscheint ein schelmisches Lächeln auf dem Gesicht der Malerin. "Es ist nicht die Kirche, nicht die Kapelle, was man sieht, sondern ein Bild davon! Darum rate ich dringend davon ab, von meinen Zeichnungen Baupläne zu erstellen." Auch eine weitere Abweichung von der Realität, die Organisatorin Prantner natürlich auf den ersten Blick aufgefallen ist, kann Roidl erklären: "Dass alle in die falsche Richtung reiten ist Absicht! Sonst hätte das ganze Bild nur aus Pferdeärschen bestanden."

Die heiteren Worte mögen darüber hinwegtäuschen, ein schweres Stück Arbeit war es garantiert doch, was nach hundert Stunden mit 23-karätigem Blattgold auf der Haube seinen Abschluss findet - nicht ohne eine allerletzte Komplikation: Leider reflektiert das Gold zu stark, so dass es mit Skalpell, Lupe und Sonnenbrille an einigen Stellen wieder abgekratzt werden muss. Doch das alles ist jetzt vergessen, nun überwiegt der Stolz, dieses "besondere, erdige Fest", laut Prantner "eigentlich eine Wallfahrt", ins richtige Bild gesetzt zu haben. Auch Braeuer-Achatz ist beeindruckt, wie Licht und Stimmung so gut eingefangen wurden und "jede Lederhose etwas über den Träger aussagt".

Leonhardifahrt Grafing, Bild von Sabine Roidl

Die Kapelle bildet auf Roidls Gemälde den Mittelpunkt um den herum sich die Zeremonie abspielt.

(Foto: Veranstalter)

Was die Absage der "echten" Leonardifahrt anbetrifft, so halten es alle Befragten mit Pfarrer Mutonkole: "Es ist bedauerlich, dass ein Ereignis von so großer Bedeutung für Grafing entfällt, aber die Gesundheit der Menschen ist am wichtigsten!" Wer Sehnsucht nach dem Anblick von Wagen und Pferden hat, kann sich ja einstweilen mit dem Gemälde im Schaufenster trösten. Oder mit einer Postkarte davon.

Festgottesdienst am Sonntag, 25. Oktober, um 10 Uhr. Öffnungszeiten der Geschäfte: 11 bis 16 Uhr. Details zum Entstehungsprozess des Bildes: https://sabineroidl.de/leonhardifahrt-grafing

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