Geglückter Neustart:Crescendo im Gemeindehaus

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Vor einem Jahr wurde die Musikinitiative in eine öffentliche Musikschule umgewandelt. Für die Verantwortlichen bedeutet das viel Umdenken, aber auch Rückenwind

Von Alexandra Leuthner, Anzing

Hier sollte man tanzen. Der schöne Raum im ersten Stock des Gemeindehauses ist groß und hell, hat hohe Fenster, und wandert der Blick nach draußen, bleibt er auf der gegenüber liegenden Straßenseite am hübschen Anzinger Rathaus hängen. 2010 wurde es komplett saniert - was letztlich eine Erfolgsgeschichte war, aber eine der vielen Klippen darstellte, welche die Anzinger Musikinitiave im Lauf ihrer jetzt 15-jährigen Geschichte zu umschiffen hatte. 2010 nämlich mussten Lehrer, Schüler und Instrumente aus ihren Übungsräumen im Erdgeschoss des Rathauses ausziehen, die Initiative stand vorübergehend vor dem Aus.

Doch das ist Vergangenheit. Vor einem Jahr ist aus der privaten Musikinitiative mit Unterstützung durch die Gemeinde eine öffentliche Musikschule geworden. Sie ist seither auch Mitglied im Musikschulverband, hat damit gewissermaßen den Ritterschlag für ihr langjähriges Wirken bekommen. Den schönen Saal übrigens nützt die Musikschule neben weiteren Räumen im Gemeindehaus jetzt für ihren Unterricht.

An die 200 Mitglieder, die meisten Kinder im Grundschulalter und jüngere Jugendliche, hat die Anzinger Einrichtung, die trotz der Umwandlung in eine staatlich und kommunal geförderte Musikschule ihre Vereinsstruktur erhalten hat. "Das war uns wichtig", erklärt Maria Brummer, stellvertretende Vorstandsvorsitzende. "Musik ist einfach etwas sehr Persönliches, und so wollen wir uns auch darstellen." Jeder Musikschüler ist also nicht nur Dienstleistungsnehmer, sondern auch Vereinsmitglied, hat somit - im Fall von Minderjährigen der gesetzliche Vertreter - Mitspracherechte, etwa was Beiträge und auch die Wahl des Vorstands angeht. Auch wenn das für manche Eltern erst einmal etwas ungewohnt gewesen sei, erzählt Brummer, weil das ja eine gewisse Verpflichtung mit sich bringt, trügen die meisten das Modell doch längst gerne mit. Ihre Vereinsstruktur und die recht überschaubare Größe heben die Anzinger Musikschule damit von anderen Einrichtungen in der Region ab. "Bei uns weiß jeder Schüler, der sich für ein Instrument anmeldet, genau, welchen Lehrer er erwarten darf."

Was nicht heißt, dass Wachstum nicht gewünscht sei. Unter einer bestimmten Größe rechnet sich eine Musikschule nicht. Mit dem Stundenkontingent, das die Musikschule mit der Gemeinde aktuell vereinbart hat, liegt sie in der so genannten Förderstufe 2, nach der sich die Zuschüsse durch den Verband der staatlichen Musikschulen berechnen. Ausgeschöpft ist das Stundenkontingent bisher nicht. Die Musikschule laufe aber gut, wenn man von einem Aufnahmestopp aber noch weit entfernt sei, "das wär mal schön", sagt Brummer.

Für die fünffache Mutter, die gemeinsam mit Geigenlehrer Andrei Artemenko von den ersten Tagen der Musikinitiative mit dabei war, ist die Umstrukturierung aber so oder so eine Erfolgsgeschichte, schon weil sie auch ein Mehr an Anerkennung in der öffentlichen Wahrnehmung mit sich bringt. Sie selbst sei ja dazu gekommen wie die Jungfrau zum Kind, erzählt Brummer mit einem Lachen. Sie ist eigentlich Biologin, pflegte das Geigenspiel zum Vergnügen - was nicht heißt, dass sie nicht eine umfangreiche musikalische Vita als Mitglied verschiedener Ensembles und Jugendorchester aufweisen kann. Am Landeskonservatorium Tirol hat sie Violine studiert und gehört seit 2014 zum festen Kreis der Anzinger Lehrkräfte. Die Arbeit für die Musikinitiative, zu deren Gründern neben Maria Brummer Rosemarie Finauer, Peter Oswald, Petra Arnold und Daniel Herrmann gehörten, habe sie im Lauf der Jahre aber immer mehr in Anspruch genommen, von den ersten Gehversuchen 2004 über die Gründung eines eigenen Vereins 2009 bis heute. Mit der Vereinsgründung übernahm Andrei Artemenko die Verantwortung für die musikalische Ausrichtung, Markus Kraus prägte als Schriftführer und später als zweiter Vorsitzender den neuen Verein. Seit 2016 ist Oksana Storcheva Erste Vorsitzende, Brummer die Zweite.

Die Neuorganisation 2018 schließlich verlangte den Aktiven einiges ab, sie sei nicht ohne Schulungen und etliche Beratungsstunden seitens des Musikschulverbands vonstatten gegangen, erzählt Brummer. "Die Beratung haben wir dringend gebraucht", berichtet sie, so eine Satzung sei eine ziemlich komplizierte Sache.

Der Verein Neuer Chor Anzing, dem Brummer angehörte, war es, der Anfang der 2000er Jahre die Musikförderung für Kinder in der Gemeinde auf die Beine stellte, damals vereinsmäßig noch direkt über den Chor organisiert. Die Gemeinde Anzing war zuvor aus dem Verband der Musikschule Vaterstetten ausgestiegen. Und so sei Anzing damals für Kinder die ein Instrument lernen wollten "ein weißer Fleck" in der Landschaft gewesen, erzählt Brummer. Privatunterricht oder teure Stunden in auswärtigen Musikschulen fanden die Chormitglieder auf Dauer wenig befriedigend, sie beschlossen, sich zu organisieren. Die ersten Schüler saßen mit ihren Instrumenten in der Grundschule, später stellte die Gemeinde dann Räume im Erdgeschoss des Rathauses zur Verfügung. Bis mit der Sanierung des Baus der nächste Umzug fällig wurde.

Nach einigen Verhandlungen mit dem Erzbistum München und Freising konnten die Kinder mit Flöte, Geige, Gitarre und anderen Instrumenten in das ehemalige Benefiziatenhaus - einem früheren Ruhesitz für Pfarrer - umziehen, "wo wir uns sehr wohl gefühlt haben". Die Gemeinde übernahm die Miete von 200 Euro im Monat. 2016 kündigte das Erzbistum dann den Mietvertrag. Der vorgeschlagene Erbpachtvertrag war dem Verein zu kostspielig - "das Haus hätte auch saniert werden müssen", erzählt Brummer. Einem von der Gemeinde vorgeschlagenen Grundstückstausch wollte das Bistum nicht zustimmen, man wollte der Gemeinde nur das Gebäude verkaufen. Was diese ihrerseits ablehnte. Im August 2017 hieß es also einmal mehr: Umziehen. Die Initiative sollte zunächst übergangsweise das Gemeindehaus nutzen, war zeitweise auch im Jugendzentrum zugange, in dem jetzt der Kindergarten Arche Noah untergebracht ist. Die Musiklehrer unterrichten aber auch im Pfarrsaal und im Sitzungssaal des Rathauses. Dort steht der Essex-Flügel, ein Ausstellungsstück aus dem Steinway-Haus, das Maria Brummer und die beiden Musikschullehrer Olga Kigel und Andrei Artemenko vor acht Jahren gekauft haben, unterstützt durch Spenden von Privatleuten, der Gemeinde und des Neuen Chors. Im Rathaus ist auch die Geschäftsstelle der Musikschule untergebracht.

Neun Lehrer haben die Anzinger derzeit in ihren Reihen, für Geige, Blockflöte, Cello, Gitarre, Hackbrett, Klavier, Schlagzeug/Drumset und Kontrabass. Auch sie mussten sich im Zuge der Neuorganisation umstellen, aus Honorarkräften wurden Festangestellte - ein Schritt, den nicht alle mitgegangen seien, wie Brummer erzählt. Zwei Lehrer seien ausgeschieden, was vorübergehend die Zahl der Stunden deutlich minderte, "aber die Talsohle ist durchschritten". In der Grundschule übernimmt der Verein die musikalische Früherziehung, im Kindergarten St. Michael kümmert sich Blockflötenlehrer Georg Schießl einmal die Woche um die "Musikkinder". Mehrmals im Jahr organisiert die Musikschule ein Vorspielen für ihre Schüler. Man hoffe auch, so Brummer, das Ensemblespiel wie bisher kostenfrei anbieten zu können, weil das Zusammenspielen den Kindern so viel bringe. "Ein Gitarrenensemble hätten wir auch gern, oder eine Volksmusikgruppe", das wäre schon noch etwas, das Anzing brauchen könnte.

Ein eigenes Haus, das ist herauszuhören, würde die Musikschule nach dem vielen Hin und Her der vergangenen Jahre zwar nicht ablehnen - bisher kommt der Vorstand zu seinen monatlichen Treffen im Café im Gemeindehaus zusammen. Dafür aber müsse man sich nicht um Hausmeistertätigkeiten und ähnliches kümmern, und könne sich ausschließlich auf die Musik konzentrieren, sagt Brummer. "So lange die politische und kirchliche Gemeinde und die Grundschule dem Musikunterricht so unkompliziert Räume zur Verfügung stellen, sind wir völlig zufrieden." Laut Bürgermeister Franz Finauer, der viel Wert auf die Unterstützung der Musikerziehung in der Gemeinde legt, ist an ein eigenes Musikschulgebäude auch derzeit nicht zu denken. Die Gemeinde, sagt er, "kann sich einfach ein extra Gebäude oder Räume für die Musikschule nicht leisten".

© SZ vom 23.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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