Gegen Südumfahrung formiert sich Widerstand:Mitten durchs Getreidefeld

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Sollte eine Umgehungsstraße südlich von Kirchseeon zwischen Ilching und Buch gebaut werden, dann zerschneidet sie Äcker und frisst Anbaufläche.

Inga Rahmsdorf

Elisabeth Reis weiß, was in ihrem Viehfutter steckt. Alles, was die Tiere fressen, bauen die Landwirtin und ihr Mann auf Ackerflächen selbst an. Sie brauchen kein importiertes Soja kaufen - und Futtermittelskandale, die betreffen sie nicht, sagt sie. Aber ob die Kirchseeoner Bauern auch in Zukunft noch ausreichend Getreide und Mais für ihre Kühe anbauen können, da ist die Biobäuerin sich nicht mehr sicher.

Helmut Scherer ist schon in den 80er Jahren gegen die Südumfahrung auf die Straße gegangen, um zu verhindern, dass eine Bundesstraße die landwirtschaftlichen Flächen zwischen Ilching und Buch zerstört. (Foto: EBE)

Wenn die Umgehungsstraße südlich von Kirchseeon zwischen den Ortsteilen Ilching und Buch gebaut wird, dann wird die Trasse nicht nur Wiesen und Äcker zerschneiden, sondern auch einige Hektar Land fressen, auf denen Bauern heute Getreide, Grünland oder Mais anbauen. Die Familie Reis wäre davon auch betroffen. "Die Flächen brauchen wir unbedingt", sagt Elisabeth Reis. "Wenn sie wegfallen, dann müssten wir uns wieder verkleinern." Denn Ausgleichsflächen gebe es keine mehr in der Gegend.

Die Diskussion über die Umgehungsstraße ist in Kirchseeon wieder neu entbrannt. Das Bauamt Rosenheim hatte vor kurzem eine Studie veröffentlicht, in der die verschiedenen Varianten für eine Umgehungsstraße untersucht werden. Auch wenn die Behörde sich darin nicht ausdrücklich für eine der Trassen ausspricht, so räumt sie doch einer nördlichen Ortsumfahrung durch den Ebersberger Forst am wenigsten Chancen ein. Die Variante würde durch Naturschutzgebiete führen, in denen die Fauna-Flora-Habitatrichtlinie (FFH-Gebiete) gilt. Außerdem soll die nördliche Trasse mehr als doppelt so viel kosten wie eine südliche Umfahrung - Berechnungen, die jedoch von vielen Kirchseeonern angezweifelt werden.

Der ökologische Milchviehhof von Familie Reis liegt in dem südlichen Ortsteil Buch. Es ist ein Familienbetrieb, der älteste Sohn will den Hof einmal übernehmen. Elisabeth Reis ist wütend über die Pläne, die Trasse hier durch den Süden zu legen, weil im Norden von Kirchseeon der Ebersberger Forst geschützt werden soll, der als "ein Heiligtum" angesehen werde, so die Landwirtin. Es geht ihr dabei nicht um den Verkehrslärm, sondern vielmehr darum, dass es immer weniger Fläche für die Landwirtschaft gebe. "Es ist eine Sünde, wenn man uns die Existenzgrundlage entzieht", sagt die 47-Jährige. "Wir ernähren die Bevölkerung."

Bei der Entscheidung, ob die Ortsumfahrung in Kirchseeon gebaut wird und wo sie entlang führt, geht es auch um einen Kampf um Land. Darum, dass täglich immer mehr Fläche in Deutschland asphaltiert und versiegelt wird und immer weniger Land für Naturschutz und Landwirtschaft zur Verfügung steht. Für die weiträumige Südumfahrung, die Variante, der das Bauamt derzeit die besten Chancen einräumt, wurde ein Flächenbedarf von 45,3 Hektar berechnet. Davon wären laut Bauamt knapp sieben Hektar landwirtschaftliche Fläche sowie zwölf Hektar Waldfläche betroffen.

Der Grund wird immer knapper", sagt Josef Oberhauser, der ebenfalls in Buch lebt. 25 Milchkühe hält der Landwirt, und er bewirtschaftet 24 Hektar Land. Wenn die Umgehungsstraße zwischen Ilching und Buch gebaut würde, dann wären etwa vier Hektar seiner Ackerfläche betroffen, schätzt der Bauer, und dann würde das Futter nicht mehr für seine Tiere reichen. Oberhauser hat erst im vergangenen Jahr seinen Hof auf ökologische Landwirtschaft umgestellt und den Kuhstall ausgebaut.

Etwas nördlich von Buch ist ein Stück Wald eingezäunt, die Bäume sind noch recht niedrig, sie sind erst vor wenigen Jahren gepflanzt worden. Kommt die weiträumige Südumfahrung wie sie in der Studie vorgesehen ist, so müssten auch die Bäume hier wieder verschwinden. Das kleine Waldstück wurde als Ausgleichsfläche für den Bau des Gymnasiums in Kirchseeon angelegt. Werden Flächen versiegelt, müssten die Kommunen an anderer Stelle Ausgleichsflächen ausweisen - eine ökologisch sinnvolle Regelung, um den zerstörten Lebensraum für Tiere und Pflanzen zu ersetzen. Für die Bauern bedeutet damit der Bau einer Straße jedoch ein doppelter Flächenverlust: zum einen durch die Bebauung, zum anderen durch die Umwandlung von Ackerflächen in Naturschutzflächen. Für den Bau der südlichen Ortsumfahrung bedürfe es laut Bauamt Rosenheim etwa 27 Hektar Ausgleichsfläche.

Die CSU und die SPD plädieren dafür, die Bürger über die Umgehungsstraße abstimmen zu lassen. Das sieht Landwirt Josef Oberhauser anders. "Wenn es einen Bürgerentscheid gibt, dann haben wir schlechte Karten", sagt Oberhauser. Die Sorgen der zahlenmäßig wenigen Anwohner von Ilching und Buch werden wohl wenig ins Gewicht fallen, wenn es zu einer Abstimmung kommen sollte. Daher haben sich Bewohner auch zu der Bürgerinitiative "Aktionsbündnis Nein zur Südtrasse" zusammengeschlossen, sie haben sich mit dem Bürgermeister getroffen, planen Aktionen und sammeln Unterschriften.

Fast alle Grundstückseigentümer, die von der Strecke betroffen wären, haben schon unterschrieben", sagt Andrea Oberhauser, Bucherin und Sprecherin des Aktionsbündnisses. "Erst war jeder für die Nordumfahrung und plötzlich gibt es einen Umschwung und alle sind für die Südumfahrung - das finden wir merkwürdig", sagt sie. Außerdem sei die Natur im Süden mindestens genauso erhaltenswert wie im Ebersberger Forst, "mit seiner Fichtenmonokultur".

Für Helmut Scherer ist die Diskussion über die Umgehungsstraße nicht neu. Der 64-jährige hat einen Hof in Ilching, er arbeitet zwar nicht mehr als Landwirt, verpachtet aber noch Felder und hält selbst Schafe und Hühner. Scherer ist schon Anfang der 80er Jahre gegen die Südumfahrung auf die Straße gegangen, um zu verhindern, dass eine Bundesstraße die landwirtschaftlichen Flächen zwischen Ilching und Buch zerstört. Damals hätten sie sich auch mit den Bauern aus Zorneding verbündet, erzählt er. "Und wir haben uns erfolgreich wehren können." Irgendwann sei das Thema damals dann vertagt worden und in den Hintergrund geraten. Nun sei es sein Sohn, der gegen die Südumfahrung protestiert.

© SZ vom 04.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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