Gegen die Barbarei:Moralgerüst und Dilemma

Ein Gläubiger und ein Pädagoge loten das Thema "Menschenwürde" aus

Von Viktoria Spinrad, Grafing

Darf ein Polizist einem Kidnapper mit Folter drohen, um das Opfer vor dem Tod zu bewahren? Ist auch die Würde eines kaltblütigen Killers unantastbar? Oder kann man seine Würde auch verspielen? Und was geht in Menschen vor, die hetzend durch die Straßen ziehen? Das Thema "Menschenwürde" wirft komplexe Fragen auf - und die Antworten sind nicht selten eine Glaubensfrage.

Von seinem Glauben abgekommen ist Olivier Ndjimbi-Tshiende nicht, trotz allem. Sein Dialog mit dem Historiker, Schriftsteller und Leiter der Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, Harald Parigger zum Thema ist der erste Auftritt des ehemaligen Zornedinger Pfarrers im Landkreis. Eigentlich wollte er Abstand haben, zu dem Ort, an dem ihm einige seine Menschenwürde vor zweieinhalb Jahren mit rassistischen Beleidigungen und Morddrohungen aberkannten und ihn aus dem Ort vertrieben. Aber Zornedings Zweite Bürgermeisterin Bianka Poschenrieder (SPD) hatte am Mittwochabend in das Grafinger Gartencenter geladen. Ndjimbi-Tshiende hat sie in guter Erinnerung als diejenige, die half, 3000 Demonstranten auf die Straße zu bringen - "da kann ich ja nicht nein sagen." Zumal er ein Buch zu vermarkten hat: "Und wenn Gott schwarz wäre. . . : Mein Glaube ist bunt!" ist eine Abrechnung Ndjimbi-Tshiendes mit der Kirche und seine Vision von einem bunten, toleranten Glauben. Eine Abhandlung, deren Schlussforderungen die knapp 40 Besucher zwischen Obstbäumen und Palmen nicht nur mucksmäuschenstill lauschen, sondern auch schmunzeln ließen. Zum Beispiel: "Gott ist eine Frau. Und sie ist schwarz!"

Am Anfang aber steht die Frage: Was ist das überhaupt, diese Menschenwürde, dieser moralische Eckpfeiler unseres Grundgesetzes und unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens? Ndjimbi-Tshiende hat ein Synonym für den ersten Artikel der Verfassung ausgemacht. "Man könnte auch sagen: Das Leben des Menschen ist unantastbar." Den Ursprung für bedingungslose Menschenwürde leitet er zum einen aus der Schöpfungsgeschichte ab, nach der die Menschen als Abbild Gottes erschaffen wurden. Zum andern - und für einen Pfarrer nicht gerade selbstverständlich - aus der Evolutionsgeschichte: "Rassismus ist eine emotionale, irrationale Verhaltensweise". Denn: Männer und Frauen aller Ethnien können gemeinsam Kinder kriegen. "Also kann die Trennung der Menschengruppen nur sehr kurz zurückliegen."

Gegen die Barbarei: Der ehemalige Zornedinger Pfarrer Olivier Ndjimbi-Tshiende.

Der ehemalige Zornedinger Pfarrer Olivier Ndjimbi-Tshiende.

(Foto: Christian Endt)

Auf dem Tischchen zwischen ihm, dem Gläubigen, und Harald Parigger, dem Agnostiker, liegen drei rote SPD-Würfel. Wie die Flyer am Eingang erinnern sie daran, dass das gemeinsame Sinnieren über Menschenwürde auch eine Wahlkampfveranstaltung ist: Poschenrieder möchte in den Bezirkstag einziehen, ihre ebenfalls hinzugekommene Parteikollegin Doris Rauscher wieder in den Landtag.

Ein Detail, das dem zweiten Protagonisten der Diskussion eigentlich gegen den Strich geht: "Ich habe mir vor fünf Jahren geschworen, überparteilich zu sein", sagt Parigger schmunzelnd. Aber auch der ehemalige Schuldirektor Poschenrieders wollte der Diskussion über das Thema nicht widerstehen - und zeigte sogleich dessen Paradoxon auf: "Wenn die Würde unantastbar ist, bräuchten wir sie ja nicht schützen." Und trotzdem sieht er den Staat in genau dieser Pflicht - im Zweifelsfall auch gegenüber "dem abscheulichsten Mörder, dem brutalsten Hooligan." Parigger deutet mit dem Finger auf einzelne Gäste: "Wenn wir einzelne davon ausnehmen, ist das der Anfang der Barbarei."

Warum haben Menschen immer wieder die Tendenz, andere als ungleich zu behandeln? Ndjimbi-Tshiende sieht die Gründe in "fehlendem Kulturbewusstsein, fehlendem Glauben, einer Entwurzelung in Zeiten der Globalisierung." Und: "Wir sind zu zerstreut und zu bequem." Der Pädagoge Parigger hat derweil Lösungen vor Augen: "Wir müssen in der Erziehung ansetzen." Die Kinder nicht indoktrinieren, sie aber "im Sinne dieses Satzes einschwören." Kann ein Mensch seine Würde auch verspielen? Gibt es also auch eine Art bedingte Würde, die sich Menschen wie der kürzlich von seiner Rolle als Verfassungschef wegbeförderte Hans-Georg Maaßen nur durch einen Rücktritt wieder verdienen können? Ndjimbi-Tshiende und Parigger schweigen zu Poschenrieders Vorlage. Ein Besucher denkt an den syrischen Diktator Assad, der Giftgas gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt hat: "Da fehlt es mir schwer, ihm Würde zuzugestehen." Parigger widerspricht: Ja, Assad gehöre vor ein Gericht. Essen, Trinken stehe ihm trotzdem zu, seine grundsätzliche Würde "kann er sich nicht einmal selber nehmen."

Gegen die Barbarei: Der Agnostiker Harald Parigger und der gläubige Katholik Olivier Ndjimbi-Tshiende sind sich einig: Menschenwürde gilt bedingungslos.

Der Agnostiker Harald Parigger und der gläubige Katholik Olivier Ndjimbi-Tshiende sind sich einig: Menschenwürde gilt bedingungslos.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Ndjimbi-Tshiende nickt - und erinnert mit den Verbrechen der Nationalsozialisten an die mahnende Rolle des Grundgesetzes, das "schließlich nicht vom Himmel hergekommen ist". Sondern, wie Parigger später erklärt, seine Ursprünge in der Aufklärung hat. Und mit dem Aufstreben rechtspopulistischer Parteien immer wieder mit Füßen getreten wird. Und wieder: Wieso? Ndjimbi-Tshiende, der nicht nur Theologie, sondern auch Psychologie studiert hat, spricht von der "Urangst des Menschen vor dem Fremden". Auch Parigger sinniert über eine "German Angst", einem kollektiven Ur-Trauma mit Ursprüngen im 30-Jährigen Krieg. Um die komplizierte Thematik etwas griffiger zu machen, schlägt er eine Eselsbrücke vor: "Was du nicht willst, was man dir tu, das füg auch keinem andern zu."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: