Jugendliche Geflüchtete im Landkreis:Ein Unterschied wie Tag und Nacht

Jugendliche Geflüchtete im Landkreis: Sami Aktar lebt seit vier Jahren in Deutschland. Anfangs konnte er kein Wort Deutsch, heute ist er Landkreisschülersprecher.

Sami Aktar lebt seit vier Jahren in Deutschland. Anfangs konnte er kein Wort Deutsch, heute ist er Landkreisschülersprecher.

(Foto: Christian Endt)

Von der Millionenstadt Dhaka ins beschauliche Emmering: Um mit seinem Vater zusammenleben zu können, musste der 16-jährige Sami aus Bangladesch einen großen Schritt wagen. Ein Protokoll über eine Jugend im Zeichen der Flucht.

Protokoll von Franziska Langhammer, Fotos/Video von Christian Endt, Grafing

Mein Papa kommt aus Myanmar, meine Mama aus Bangladesch. Als ich geboren wurde, war das ein Problem. Mein Papa ist Rohingya, er musste fliehen, als ich drei war. Ich bin in Dhaka aufgewachsen, der Hauptstadt von Bangladesch; mein kleiner Bruder ist zwei Jahre jünger als ich. Meine Mutter hat viel gearbeitet, sie hat in einer Fabrik genäht. In jeder zweiten Straße von Dhaka gibt es eine Fabrik. Wenn ich wissen wollte: "Wo ist Papa?", dann hat sie gesagt: Im Ausland. Wir haben ab und zu mal telefoniert. Ich hab gesehen, wie meine Mutter geweint hat und traurig war. Sie war allein mit zwei Kindern.

In Dhaka leben sehr viele Menschen, es gibt viele Gebäude, jeden Tag sind die Leute unterwegs. Jeder muss arbeiten, ohne arbeiten geht dort gar nichts. Die Arbeit ist sehr schlecht bezahlt und es ist ein schwieriges Leben. Ich war dort in einer Art Schule: in einem Raum, in dem ein Mann vielen Kindern lesen und schreiben beigebracht hat. Ich war etwa fünf, sechs Jahre alt.

Mit zwölf Jahren ist Sami nach Deutschland gekommen

Warum mein Papa 2010 nach Deutschland geflüchtet ist, darüber rede ich nicht viel mit ihm. Das macht ihn traurig, und mich auch. Das war eine sehr schwere Zeit für uns alle. Wir haben uns sehr lange nicht gesehen. Mein Papa hat uns 2018 nach Deutschland geholt, da war ich zwölf.

Als ich mich von meinen Freunden und Verwandten in Dhaka verabschiedet habe, hat mir das sehr weh getan. Ich war damals noch sehr klein, ich habe angefangen zu weinen. Ich hatte das Gefühl, ich würde die Menschen dort nie wieder sehen. Und ich hatte Angst: Was passiert denn jetzt? Ich bin ganz allein. Keine Freunde, nichts.

Andererseits habe ich mich gefreut, dass ich jetzt ein besseres Leben habe: In Bangladesch finden selbst Leute, die studiert haben, keine Arbeit. Ich habe auch meine Mutter gesehen, die den ganzen Tag gearbeitet hat - und trotzdem so wenig Geld hatte. Mir war schon klar: Wenn ich nach Deutschland fliege, ist das gut für meine Zukunft, für meine Eltern, für meinen kleinen Bruder.

Das Wiedersehen mit meinem Papa am Flughafen München war ein sehr schöner Moment. Wir haben angefangen zu reden, und es war schön, die Liebe zwischen Sohn und Vater zu spüren. Handy ist Handy, aber die Realität ist halt anders. Ich wusste vorher null von Deutschland, wirklich null. Meine Muttersprache ist Bengalisch, ich konnte kein Wort Deutsch.

Zuerst haben wir in Emmering gewohnt. Ich hab am Anfang die Leute aus Bangladesch, diese Unruhe, die dort herrscht, vermisst. Aus der Großstadt ins Dorf, das war ein sehr großer Schritt für mich. Das ist ein Unterschied wie zwischen Tag und Nacht. Anfangs haben mein Bruder und ich immer zu zweit Fußball gespielt. Es gab in Emmering fast keine Jugendliche in meinem Alter. Wir haben erstmal die Leute angeschaut, die da unterwegs waren. Die meisten haben nicht so gut Englisch gesprochen, und wir konnten noch kein Deutsch.

Die deutschen Fußballspieler kannte er schon

Alles war so ruhig, eine völlig andere Stimmung. In Dhaka sind die ganze Zeit Autos unterwegs, auf kleinem Raum wohnen Hunderte Menschen. Ich hatte schon einen Kulturschock. Wie die Menschen in Deutschland aussehen, das wusste ich schon aus Filmen. Aber die Sprache hatte ich noch nie gehört. Ich kannte Fußballspieler, von der Nationalmannschaft. Klose, Özil, Müller, Kahn.

In Bangladesch macht jeder sein Ding, nur wenn man sich sehr gut kennt, begrüßt man sich. Als wir ankamen, sagte mein Papa zu mir: Egal, wen du auf der Straße siehst - ob du ihn kennst oder nicht kennst - du musst ihn immer anlächeln, "Hallo" sagen und nett sein. Es hat ein bisschen gedauert, bis ich mich daran gewöhnt habe.

In Deutschland ging es meiner Mutter schnell besser, aber die Sprache ist immer noch schwierig für sie. In der Schule hatte ich zuerst eine schwere Zeit. Ich war mit vielen anderen Kindern in der Klasse, die auch nicht Deutsch konnten. Ich hab nicht oft Deutsch gehört, außer von der Lehrerin. Zu Hause haben wir wieder Bengalisch gesprochen.

Jugendliche Geflüchtete im Landkreis: Eine ganz normale Jugend in Grafing: Sami liebt Sneaker und seine Playstation.

Eine ganz normale Jugend in Grafing: Sami liebt Sneaker und seine Playstation.

(Foto: Christian Endt)

An meiner ersten Schule hier wurde ich zuerst gemobbt, wegen meiner Hautfarbe und meiner Aussprache. Wenn mir zum Beispiel die Jacke runtergefallen ist, gab es Kinder, die sie mit zwei Fingern aufgehoben haben, als ob es was Ekliges wäre. Sie haben hinter meinem Rücken schlecht über mich geredet. Oft habe ich Sätze gehört wie "Was willst du überhaupt hier? Kannst gleich wieder nach Hause gehen".

"Heute ist mir egal, was die Leute reden"

Die ersten paar Wochen und Monate habe ich mich nach Hause gewünscht, zu meinen alten Freunden. Ich dachte mir: Tut mir leid für meine Hautfarbe, die kann ich auch nicht ändern. In Bangladesch ist die Hautfarbe, die Sprache egal. Warum man das in Deutschland macht, war sehr überraschend für mich. Ich habe mich selbst erst einmal runter gemacht.

Heute habe ich dazugelernt: Es ist mir egal, was die Leute reden. Ich komme heute gut mit mir klar. Das war auch ein Grund, warum ich angefangen habe zu rappen. Um zu sagen: Hautfarbe ist nicht alles. Was bei dir drin ist, das sagt viel darüber aus, was du bist.

Musik hat mich schon in Bangladesch interessiert, vor allem Rap. Als ich klein war, hat meine Mama gesungen. Mein Papa hat Gedichte geschrieben, ich habe seine Aufzeichnungen gelesen. Ich mache Rap und Poetry, beides. Mit meinen Freunden habe ich in Bangladesch Musik gehört. Da war das aber nicht so wie in Deutschland, es gab nur wenige Handys. Von zehn Leuten hatte vielleicht nur einer ein Handy, ich hatte keines, aber ich habe mit meinen Freunden Musik gehört.

Nach einem Jahr an meiner alten Schule wechselte ich nach Grafing. Dort waren die Leute offener. Ich bin viel mit dem Rad herumgefahren, hab mir Grafing angeschaut. Und ich bin dem Fußballverein beigetreten und habe Freunde kennen gelernt. Mit ihnen hab ich die Sprache gelernt, plötzlich ging es wie von selbst.

Jugendliche Geflüchtete im Landkreis: Sami und Dennis kennen sich aus dem Fußballverein. Dennis sagt über seinen Freund Sami: "Auf ihn kann man immer zählen."

Sami und Dennis kennen sich aus dem Fußballverein. Dennis sagt über seinen Freund Sami: "Auf ihn kann man immer zählen."

(Foto: Christian Endt)

All die Jahre habe ich Kontakt gehalten zu meinen Freunden aus Bangladesch. Nach ein paar Monaten in Deutschland habe ich ein Handy bekommen. Ich habe ein Facebook-Profil erstellt; die meisten Menschen aus Bangladesch sind auf Facebook. Ich hab ihre Namen eingegeben und gesucht und fast alle gefunden.

In den Weihnachtsferien war ich zum ersten Mal nach vier Jahren wieder in Bangladesch. Vieles hat sich verändert. Ich hab die Leute gesehen, mit denen ich früher unterwegs war. Den meisten geht es nicht so gut, alles ist teurer geworden. Die Leute arbeiten sechsmal in der Woche, 40 oder 50 Stunden, und bekommen im Monat nur umgerechnet 80 Euro, also sehr wenig - ein Kilo Reis kostet etwa einen Euro. Was man verdient, gibt man sofort wieder aus.

Jugendliche Geflüchtete im Landkreis: Wiedersehen nach vier Jahren in Dhaka: Mit den meisten seiner alten Freunde hält Sami (Zweiter von rechts) über Facebook Kontakt.

Wiedersehen nach vier Jahren in Dhaka: Mit den meisten seiner alten Freunde hält Sami (Zweiter von rechts) über Facebook Kontakt.

(Foto: privat)

Für Jugendliche in Bangladesch ist es sehr schwierig. Wer kein Geld hat, kann nicht zur Schule gehen, denn die kostet was. Viele Jugendliche müssen arbeiten gehen, mit 13, 14 Jahren. Ich kenne einen Elfjährigen, der verkauft auf dem Markt. Ich hab mir ein T-Shirt von ihm gekauft. Er tut mir leid. Dabei ist das noch eine von den leichteren Arbeiten. Manche Kinder müssen Türen reparieren, Wände bemalen, auf der Baustelle mithelfen.

In Deutschland hat man viel mehr Möglichkeiten, man kann vieles machen. Dafür bin ich sehr dankbar. Man hat Meinungsfreiheit; das kann man in Bangladesch auch vergessen. Dort darf man sich nicht gegen die Politik äußern, die Polizei schreitet schnell ein. Und die Jugendlichen in Bangladesch geraten schnell in Schlägereien untereinander, das ist hier nicht so.

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