Obwohl es Offerten zusätzlicher Unterbringungsmöglichkeiten für Geflüchtete aus der Grafinger Bürgerschaft gibt, bleibt Wohnraum ungenutzt. Gleiches gilt für eine unkonventionelle Idee, leerstehende städtische Wohnungen zu Notunterkünften aufzuwerten. Oder im Winter freie Wohnungen in einem Gebäude anzumieten, das die Stadt ohnehin bald erwirbt. Scheitern die Initiativen an mangelndem lokalpolitischem Willen - oder den bundespolitischen Umständen?
Lena Huppertz, die neue Grafinger Linke-Stadträtin, ist frustriert. Man müsse sich das einmal vor Augen führen, sagt die 28-Jährige: "Auf dem Balkan leben Familien mit kleinen Kindern im Zeltlager. Es ist Winter, es ist kalt, es ist nass, es gehen Krankheiten um." Dann sind da diese beiden Grafinger, die sich bei ihr gemeldet hätten. Einer könnte der Stadt problemlos Räumlichkeiten vermieten. "Woanders ist bis Anfang März ist ein WG-Zimmer frei und die Leute könnten sich ein Zusammenwohnen mit Menschen mit Fluchterfahrungen durchaus vorstellen." Aber die Grafinger Zimmer bleiben erstmal leer.
In Grafing Bahnhof steht ein großes Haus aus dem Bundeseisenbahnvermögen. In seiner November-Sitzung hatte der Stadtrat für den Kauf votiert. Vier der Wohnungen sind Huppertz zufolge unbewohnt. "Warum werden die nicht wenigsten vorübergehend angemietet?"
Schräg gegenüber liegt das Grundstück der Hauptstraße 20. Darauf ist ein Haus mit städtischen Wohnungen gebaut. Auch dort stehen einige Wohnungen leer. In einer der jüngsten Bürgerfragestunden meldete sich Herbert Hof aus der SPD zu Wort. Warum die Stadt sie denn nicht halbwegs herrichte? "Jedes Dach über dem Kopf ist doch besser als ein Zelt, in dem der Boden aus Schlamm besteht."
Dass sich die Lage ausgerechnet in Grafing so darstellt, entbehrt einer gewissen Fallhöhe nicht: Als erste Ebersberger Landkreisgemeinde überhaupt war die Stadt schon im Sommer 2019 dem deutschlandweiten Bündnis "Städte Sicherer Häfen" beigetreten. Erst im Oktober hatte der Stadtrat für ein konkretes Angebot ans Bayerische Innenministerium votiert: Über den üblichen Verteilungsmechanismus hinaus wolle Grafing eine Familie, zum Beispiel aus dem abgebrannten Lager Moria, aufnehmen.
Bürgermeister Christian Bauer (CSU) betont, dass die Angelegenheit sich so einfach nicht zuspitzen lasse. Selbstverständlich würde die Stadt ihrer Offerte auch konkrete Taten folgen lassen, versichert er. "Doch solange wir aber über den Verteilungsschlüssel hinaus keine Zuweisungen bekommen, können wir auch niemanden zusätzlich unterbringen." Aber: Die für Asylbewerber vorgesehenen Unterkünfte seien im Landkreis noch nicht komplett belegt. "Der Platz ist also nicht das Problem."
Selbst wenn die Stadt weitere Geflüchtete aufnehmen dürfte, stellt Bauer klar: Die leerstehenden Grafing Bahnhofer Wohnungen seien so einfach nicht verfügbar. "Einige gelten zum Beispiel nur deshalb als frei, weil wir sie wegen Schimmelproblemen nicht belegen können." Hof, der Mann aus der Bürgerfragestunde, stellt dem entgegen: "Dann muss man die Wohnungen eben herrichten. Die Leute aus den Lagern brauchen keine Luxussanierung, sondern ein Dach über dem Kopf."
Das dem Bürgermeister die Hände gebunden sind, daran hat Hof keinen Zweifel. Umso wichtiger sei es, dass die Kommunen die Groteske von freiem Wohnraum einerseits und überfüllten Lagern andererseits viel vehementer auf die höheren politischen Ebenen eskalieren.
Wie erfolgreich solche Interventionen wären, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Auf das Schreiben, erzählt Bauer auf Nachfrage, das er im Anschluss an die Oktober-Sitzung ans Bayerische Innenministerium schickte, habe die Stadt vom Ministerium noch nicht einmal eine Antwort erhalten.
Derweil gibt es von Stadträtin Huppertz einen politischen Vorstoß zu dem Haus aus dem Bundeseisenbahnvermögen. Das Rathaus möge prüfen, dessen vier leerstehenden Wohnungen "wenigstens vorübergehend" für Familien mit Fluchterfahrung anzumieten, schickte sie eine aktuelle Anfrage an den Bürgermeister. Den Einwand, dass der Winter bis zur Klärung des möglichen Mietverhältnisses vorbei ist, lässt die Stadträtin nicht gelten. "Ich glaube leider nicht, dass die Situation in den Lagern im nächsten Winter eine andere ist."