Süddeutsche Zeitung

Künstler aus Ebersberg:Kochen und Labern für gute Laune

Schauspielerin Nirit Sommerfeld und Zauberkünstler Gaston erfinden sich in Online-Formaten neu

Von Franziska Langhammer, Grafing

Hach, wäre bloß die uralte Idee von Aldous Huxley schon Wirklichkeit: einen "Super-Stereo-Ton-Farben- und Fühlfilm mit synchronisierter Duftorgel-Begleitung" fabulierte er 1932 in seinem literarischen Klassiker "Schöne neue Welt". Beim Filmchenschauen auch die Gerüche und Düfte des Gesehenen einatmen zu können, das wünscht man sich nämlich sehnlichst, wenn man auf Nirit Sommerfelds Kochvideos klickt. Spritzig-erfrischend würde der pikante Orangensalat wohl duften, den sie in einem der Videos mit Olivenöl und dunklen Oliven versetzt. Die Grafinger Sängerin und Schauspielerin hat es sich auf die Schürze geschrieben, der derzeitigen Verunsicherung bei den Menschen etwas entgegenzusetzen: gutes Essen und gute Laune.

"Ich koche wahnsinnig viel und wahnsinnig oft, und am liebsten für viele Leute", sagt Sommerfeld, die aus einer Familie europäischer und orientalischer Juden stammt. Unter anderem durch Reality Check, ein politisches Musikkabarett, in dem sie mit der Münchnerin Linda Benedikt auftritt, ist Nirit Sommerfeld bekannt. Die Idee zu den Kochvideos hatte sie schon vor langer Zeit, erzählt sie, aber sie sei noch auf der Suche gewesen nach einem schlüssigen Konzept. Auslöser war schließlich ein Gespräch mit einem befreundeten Schriftsteller, der normalerweise immer auswärts isst. "Er sagte zu mir, dass er nun ernsthaft überlegt, selber zu kochen", so Sommerfeld. "Und er fragte mich: Was empfiehlst du mir?" Daraufhin habe sie alle langwierigen Planungen über den Haufen geschmissen und sich an die Kochvideos gemacht. "Ich habe technisch nichts vorbereitet, dementsprechend chaotisch ist es", warnt Sommerfeld. Und dementsprechend gute Laune macht das Gucken der Filmchen auch: Sommerfeld wirbelt durch die Küche, begleitet von Klezmer-Musik, tanzt, lacht, präsentiert farbenfrohe Zutaten, schnibbelt und erzählt.

Erstes Feedback hat Sommerfeld auch schon auf ihre Filme erhalten, die auf ihrem Youtube-Kanal abrufbar sind. "Es macht gute Laune", und "Das ist genau das, was wir jetzt brauchen" bekommt Sommerfeld von ihren Zuschauern zu lesen. In Planung hat sie jede Menge weiterer leckerer Gerichte: Kaiserschmarrn, Pasta Puttanesca, orientalisch-marokkanisches Gebäck mit Sesam oder Wirsing mit roter Bete. Viele der Rezepte hat sie von der marokkanisch-stämmigen Familie ihrer Mutter, die italienischen Ideen kommen von Sommerfelds ehemaliger Nachbarin Floriane, als sie einige Zeit in Rom lebte. "Die Nachrichten derzeitig sind beängstigend", so Sommerfeld. Ihr Rezept gegen die Angst: leckeres Essen. "Nahrung ist nicht nur für den Körper, sondern auch für die Seele wichtig", sagt sie. "Das fängt schon beim Zubereiten an." Auch Mut, etwas Neues auszuprobieren, möchte Nirit Sommerfeld mit ihren Kochclips vermitteln. Auch ein "Cook-Along" hat sie sich angedacht: Via Livestream sollen Interessierte ein ganzes Menü mitkochen können. Was man dazu braucht? "Eine einfach Küche ist genug, ein Schneidebrett, zwei gute Messer, ein paar Schüsseln, Töpfe und ein Sieb", so Sommerfeld. Die Zutaten für das Menü gibt sie rechtzeitig auf ihrer Homepage bekannt.

Zwangsweise sein Programm ebenfalls ins Internet verlegt hat derzeit der Brucker Zauberkünstler Florian Reinhold alias Gaston. Von 19 Uhr an geht er auf Facebook online, macht nach eigenen Angaben ein bisschen Improtheater, verkörpert Figuren. "Ein Betthupferl für Erwachsene", nennt Reinhold das und bringt gleich einen kürzlich erlernten Fachbegriff dazu an: "einen Laber-Podcast, drei Minuten lang."

Ob der Charly in Mukkibuden-Ganzkörper-Anzug oder ein in Bayern aufgewachsener Franzose, der Croissants liebt: Reinhold spielt sich in eindrücklicher Präsenz in diverse Charaktere ein, immer auf Du und Du mit dem Publikum, das ja virtuell nicht so unmittelbar reagieren kann wie in einer Zeit fernab von Corona. "Ein skurriles Gefühl, daran muss man sich noch gewöhnen", so Reinhold. Die große Herausforderung sei, auch ohne das direkte Feedback mitzubekommen: Wie spüre ich, dass ich auf dem richtigen Weg bin? Das, was oft als Energie zwischen dem Publikum und dem Künstler auf der Bühne geschehe, ist sich Reinhold sicher, sei auch auf andere Weise im Internet zu spüren, etwa durch Interaktionen im Chat. Sich in diese Mechanismen einzudenken, damit beschäftigt er sich gerade auf verschiedenen Ebenen. Auch mit anderen Impro-Kollegen trifft er sich gerade online, sie probieren gemeinsam herum, wie man virtuelle Räume für das Theater nutzen kann.

Einerseits wählt Florian Reinhold natürlich diesen digitalen Weg, um trotzdem seine Kunst weiterzuführen und in Kontakt zu seinen Fans, seinen Zuschauern zu bleiben. Die Beschäftigung mit neuen Medien sei jedoch auch eine perspektivische, so der Brucker: "Ich glaube, was wir erleben, ist eine große Zäsur." Auch wenn irgendwann wieder Normalität einkehre, würde diese eine andere sein. "Die Menschen haben zwar ein großes Bedürfnis, sich mit anderen Leuten zu treffen", sagt Reinhold. Weil sich jedoch gerade zeige, dass auch Home-Office und Online-Meetings ziemlich gut funktionierten, werde sich dies in vielen Bereichen auch weiterhin halten, glaubt er. Auch den Theaterbereich könne diese Zäsur nachhaltig verändern, so Reinhold. "Daraus könnten sich Formate oder auch hybride Formen in der Kleinkunstproduktion entwickeln", sagt er. Die momentane Zäsur, da ist er sich sicher, wird Spuren hinterlassen; negative wie positive.

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Quelle:
SZ vom 04.04.2020
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