Für zwei weitere Jahre:Mister Feuerwehr

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Kreisbrandrat Gerhard Bullinger ist wieder gewählt und kann weiter gegen Katastrophen kämpfen

Alexandra Leuthner

Ebersberg- Und würde man Gerhard Bullinger mitten in der Nacht aus dem Tiefschlaf reißen, er könnte loslegen ohne nur einmal Atem zu holen und einen Vortrag halten über Brandschutz und Brandverhinderung, über die Luft, die ein Feuer zum Leben braucht, und das Holz, das es verschlingt, über trockene Adventskränze, die in Flammen aufgehen, über Kerzen, die in Bücherregalen standen, und Hausfrauen, die über den Ratsch mit der Nachbarin das Fett in der Pfanne auf dem Herd vergaßen. Das alles würde er untermauern mit DIN-Normen und Vorschriften, mit Details über die Durchbrenndauer von Beton und Ziegeln, die von Holzbalken und Pappstellwänden. Würzen würde er das Ganze mit Ermahnungen. Er kann nicht anders. Er ist seit 48 Jahren bei der Feuerwehr.

Er sei "der personifizierte Brandschutz", witzelt Bullinger und kann herzlich lachen über seine eigene Formulierung. Tatsächlich ist der 61-Jährige, der am Donnerstagabend zum letzten Mal in seiner Funktion als Kreisbrandrat wiedergewählt wurde, der "Mister Feuerwehr" des Landkreises. Seit 1989 ist er ehrenamtlicher Kreisbrandrat, 37 Jahren war er, als er das Amt von seinem Vorgänger und Förderer Andreas Schiller übernahm. Als Feuerwehrkamerad in Glonn hatte er 1974 angefangen, nachdem er mit seinen Eltern von München in die Gemeinde gezogen war. Schon bald begann der junge Mann, sich um den Feuerwehrnachwuchs in seinem Heimatort zu bemühen - sehr zum Missfallen der "Alteingesessenen", wie er sich erinnert. "Was wollen wir denn mit Kindern in der Wehr?", habe so mancher gefragt. Heute könne der Landkreis auf 26 Gruppen mit 303 Jugendlichen in seinen 48 Feuerwehren verweisen, auch ein Verdienst Bullingers, der 1982 Kreisjugendwart geworden war. Und doch: "Dass wir genug junge Leute finden", gehört weiterhin zu seinen Wünschen für die Zukunft. Seine Tochter Christine, mit 31 das Älteste seiner fünf Kinder, macht es vor.

Als Jugendwartin tritt sie in die Fußstapfen des Vaters und wird, wie er hofft, ein wenig von dem Wissen weitergeben, dass er sich in Jahrzehnten erarbeitet hat. Das Wissen um die Gefahr, das ihn niemals loslässt. "Wenn ich mit meiner Frau zum Einkaufen gehe, dann schaut sie nach unten in die Auslagen und ich schaue nach oben, nach Sprinkleranlagen und Brandmeldern." Die Prävention, das Verhindern, dass überhaupt erst etwas passiert, sei für ihn, der als Angestellter im Bauamt des Landkreises für den Gebäude-Brandschutz zuständig ist, fast noch wichtiger als die Brandbekämpfung. 1999 hatte er, nach zwölf Jahren bei der Luftwaffe in Neubiberg, in der elektronischen Flugsicherung, und weiteren Jahren als Produktmanager für Brandmeldeanlagen am Landratsamt, hier angefangen. Seither sei es für ihn leichter, seinen Aufgaben als Kreisbrandrat nachzukommen. Ein großer Teil bestehe in der Beratung der Feuerwehren, etwa bei der Planung von Gerätehäusern, der Anschaffung von Fahrzeugen, in der Gefährdungsbeurteilung des Einsatzgebiets - gibt es Kindergärten oder Hochhäuser, sind Landwirtschaften in der Nähe oder Industrieanlagen. Wenn Bullinger im Landkreis unterwegs ist, sind das die Aspekte, unter denen er die Umgebung betrachtet, und oft genug sei er bei solcher Gelegenheit als erster an einem Einsatzort gewesen. Zu schweren Unfällen, wie dem Frontalzusammenstoß einer Autofahrerin mit einem Lastwagen dieser Tage, werde er als Kreisbrandrat ohnehin gerufen. Situationen, mit denen er umzugehen gelernt habe, für die er "Tools entwickelt" hat, wie er es ausdrückt. Dazu gehöre, sich Verletzungen nicht allzu genau anzuschauen, ein Opfer anzusprechen, aber das Leid nicht zu nahe an sich heran zu lassen, "sonst sind das die Bilder, die vor dem inneren Auge bleiben." Und doch hat auch Bullinger Bilder mitgenommen, Eindrücke, Geräusche, Gerüche. "Ich kann Ihnen genau sagen, wie ein schwerer Unfall riecht," erzählt er. "Ein bisschen nach frischer Erde, nach Getriebeöl, das austritt, wenn die Kardanwelle bricht." Und da ist dieses 20 Jahre alte Bild eines brennenden Kuhstalls in Glonntal, der beim Eintreffen der Wehr in hellen Flammen stand, und selbst einem, der Jahrzehnte Feuerwehr hinter sich hat, fällt es schwer, davon zu erzählen. "Da steht man so ohnmächtig daneben und fragt sich, warum muss das sein."

Es hat also seine guten Gründe, dass auch ein Kreisbrandrat mit 63 in Rente gehen muss. Leicht wird es ihm vermutlich nicht fallen, "auch wenn man ja weiß, dass es kommt." Aber es gibt da ja auch noch die anderen Bilder, die von der Frau etwa, die ihm bei der Hochwasserkatastrophe 2002 spontan um den Hals gefallen ist. Und die Erinnerung an die 95 Prozent aller Einsätze, bei denen die Feuerwehr Schlimmeres verhindern kann. Und so wird Gerhard Bullinger, wenn man ihn eines Nachts, weit nach seinem letzten Tag als Kreisbrandrat 2014, aus dem Tiefschlaf reißt, wohl einfach in seine Hosen fahren, die Jacke schon in der Hand, und fragen: "Wo brennt's?"

© SZ vom 24.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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