Eine Frau sei vor einiger Zeit da gewesen, die habe sich große Sorgen um ihre Tochter gemacht. Die Tochter war 16 und wollte abends weggehen, Party machen. Lange zählte die Mutter auf, was ihr alles dabei passieren könne. Schließlich habe sie sich vorgebeugt und gesagt: „Wissen Sie, warum mich das so beschäftigt?“ Angela Rupp, die diese Geschichte erzählt, schließt: „Und dann hat die Frau von ihrem eigenen Trauma berichtet.“
Angela Rupp ist seit sechs Jahren Geschäftsführerin des Frauennotrufs Ebersberg. Traumata, das hält sie fest, erleben wir alle im Laufe unseres Lebens – sei es durch den Verlust eines geliebten Menschen, einen Verkehrsunfall, eine Naturkatastrophe. Was häufig mit dem Begriff verwechselt würde, seien die Folgestörungen, zum Beispiel in Form von Angst, Schlaflosigkeit, Depressionen oder Suchtmittelgebrauch. Um Hilfe für Frauen in Notlagen wie diesen zu bieten, gibt es seit nunmehr 35 Jahren den Frauennotruf.
Ein Trauma, erklärt Rupp, könne man nicht ablegen – aber man könne lernen, damit zu leben, indem man zum Beispiel mit den Triggern besser umgehe. Sie berichtet von einer Klientin, die ihr Kind in den Kindergarten gebracht habe und völlig aufgelöst zurückgekommen sei: Sie glaubte, ihren Ex gesehen zu haben. „Dabei war das nur ein freundlicher Mann, der gegrüßt hat“, so Rupp. Später habe die betroffene Frau herausgefunden, dass es die Stimme des Mannes gewesen sei, welche sie getriggert habe.
„Frauen helfen Frauen im Landkreis Ebersberg“ heißt der Verein hinter dem Frauennotruf. Damals wie heute lautet die Kernaufgabe: eine Anlaufstelle für vergewaltigte und misshandelte Mädchen und Frauen zu bieten. Die SZ Ebersberg berichtete in ihrer Ausgabe vom 28. Januar 1989: Vor allem der Passus „Der Verein ist feministisch orientiert“ sei damals besonders umstritten gewesen, sei jedoch schließlich in die Satzung aufgenommen worden. Seitdem hat sich viel getan in der Gesellschaft, auch im Landkreis.
Als einen Meilenstein für den Frauennotruf nennt Angela Rupp beispielsweise die Istanbul-Konvention, die 2018 in Deutschland in Kraft getreten ist und als völkerrechtlich bindendes Instrument zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen gilt. Doch all die Aufklärung beseitige ein bestimmtes Problem nicht: die Angst vor Stigmatisierung. „Zu uns stellen sich nicht alle gern dazu“, sagt Angela Rupp. Wenn der Frauennotruf sich etwa mit einem Infostand präsentiere, liefen die Menschen gern schnell daran vorbei. Niemand möchte in Verdacht geraten, selbst von häuslicher Gewalt betroffen zu sein. „Für viele ein Tabuthema“, so Rupp. Immer noch.
Dabei sprechen die Zahlen für sich. Je mehr Angebote der Frauennotruf Ebersberg macht, umso mehr werden sie nachgefragt. Die Anlässe sind vor allem psychische Gewalt, physische Gewalt, sexualisierte Gewalt oder Stalking. Im Jahr 2023 gab es 1098 Beratungskontakte, ein Jahr zuvor waren es 1280. Dass die Zahl etwas zurückgegangen ist, führt Angela Rupp vor allem darauf zurück, dass einige Monate lang eine Stelle nicht nachbesetzt werden konnte, und das Telefon daher nicht immer zu den gewohnten Zeiten besetzt war.
Heute beschäftigt der Frauennotruf sechs Frauen in 4,3 Vollzeitstellen. Vor allem im Bereich Prävention konnte in den vergangenen Jahren ordentlich aufgestockt werden. „Es ist wichtig, dass schon die Kinder in dem Setting aufwachsen: Sie dürfen Grenzen setzen, sie dürfen Stopp sagen“, so Angela Rupp. So sollten schon Kinder erfahren, dass auch Erwachsene nicht immer recht haben – und auch nicht alles dürfen. Um das zu verinnerlichen, gibt es vom Frauennotruf etwa Selbstbehauptungskurse für Mädchen und Jungs im Grundschulalter sowie für Jugendliche. Auch mit der Starken Kinderkiste sind die Kolleginnen unermüdlich bei Kindertagesstätten im Einsatz, um Multiplikatorinnen und Multiplikatoren zu schulen.
Angela Rupp erzählt, dass sie vor Jahren auf einem Treffen mit Politikern berichtet hätte, der Frauennotruf habe acht oder neun Kitas im Landkreis erreicht mit seiner Präventionsarbeit. Da habe sie erfahren, dass es im ganzen Landkreis insgesamt mehr als 60 Kitas gibt. „Es dauert lange, bis alle Kitas erreicht werden, und dann geht es von vorne los, etwa weil es Personalwechsel gab“, kommentiert Angela Rupp. In Zukunft will der Frauennotruf auch öfter in Jugendzentren vertreten sein.
Ja, und das Frauenhaus? Ein ewiges Thema, das schon bald so alt ist wie der Frauennotruf. Derzeit gibt es im Landkreis noch keines, dafür eines in Erding, das zu 50 Prozent aus Ebersberg mitfinanziert wird. Im Januar 2020 beschloss der Ebersberger Kreistag einstimmig, nun auch im Landkreis eine Übergangsunterkunft für Frauen in Notsituationen zu schaffen. Auf Nachfrage im Landratsamt heißt es, die Bauarbeiten an dem Gebäude könnten zeitnah abgeschlossen werden; eine Inbetriebnahme ist spätestens für das erste Quartal 2025 geplant. Ob der Frauennotruf, der sich für das Frauenhaus seit Jahrzehnten einsetzt, auch die Trägerschaft dafür übernehmen wird, ist noch unklar; eine Ausschreibung seitens des Kreistags läuft derzeit an.
Was sie sich wünscht für die Zukunft des Frauennotrufs? Angela Rupp muss nicht lange überlegen. „Da fällt mir der Satz einer Klientin ein“, sagt sie und zitiert: „Ich kann die Kinder und mich nicht schützen, wenn keiner mich ernst nimmt.“ Auch nach einer Trennung könne sich die gewaltvolle Dynamik einer Beziehung fortsetzen; dies sei aber oft nicht im gesellschaftlichen Bewusstsein verankert. Einer ihrer größten Wünsche sei es zudem, dass sich die Zusammenarbeit und Vernetzung mit anderen Anlaufstellen in Zukunft noch verstärke.