Frauenneuharting:Magisches Licht in der Todesnacht

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Im Jahr 2017 werden erhebliche Schäden an dem barocken Kunstobjekt entdeckt. (Foto: Christian Endt)

Die Karwoche ist die Zeit der Heiligen Gräber. Die Frauenneuhartinger erinnern dieses Jahr erstmals nach zwanzig Jahren wieder an das alte religiöse Brauchtum

Von Berthold und Bernhard Schäfer, Frauenneuharting

Die ältere Generation erinnert sich noch lebhaft und gerne an jene Zeit, als man in den Kar-Tagen in mit schwarzen Tüchern in Dunkelheit gehüllte Kirchenräume trat, um dort vor den alljährlich am Gründonnerstag mit viel Mühe und Liebe im Presbyterium errichteten und am Karsamstag wieder abgebauten sogenannten Heiligen Gräbern betend des Erlösertodes Jesu zu gedenken. Ausgestattet mit einer Grabkammer, in der die Figur des am Kreuz gestorbenen Christus ruhte, und mit einer darüber angebrachten Monstranz, waren diese Gräber, von bunten Glaskugeln, Ampeln, Öllämpchen und Kerzen in ein magisches Licht getaucht und umgeben von einem Meer von Blumen, Jahr für Jahr aufs Neue dazu angetan, Jung und Alt in ihren Bann zu ziehen. Die Liturgiereform der 1950er und 60er Jahre bereitete diesen sinnenhaften Darstellungen der Passionsmystik dann allerdings ein allmähliches Ende. Nach und nach verschwanden die Heiligen Gräber aus den Gotteshäusern und gerieten in der Folge mehr und mehr in Vergessenheit.

Auch in Frauenneuharting wurde das Heilige Grab 1973 für lange Zeit das letzte Mal aufgestellt, ehe man es anschließend am Dachboden des Leichenhauses zur vermeintlichen letzten Ruhe bettete. Erst ein knappes Vierteljahrhundert später entsannen sich die Frauenneuhartinger ihres ausgedienten volksliturgischen Inventars und beschlossen daraufhin, die Heilig-Grab-Utensilien wieder einmal hervorzuholen, um anlässlich ihrer Millenniumsfeier 1997 an dieses lange geübte religiöse Brauchtum zu erinnern. Heuer nun, nachdem seither zwanzig Jahre verstrichen sind, ist es einmal mehr soweit. Nicht zuletzt auch, um das technische Wissen des Aufbaus der Kulissenarchitektur von der älteren auf die jüngere Generation weiterzugeben, kam die Dorfgemeinschaft überein, das Werk wieder einmal erstehen zu lassen. Zu diesem Zweck wurden bereits vor einigen Wochen von einer Gruppe um Georg Renner Senior die zuletzt 1855 von dem Maler "P.G." gefassten Bauteile aus ihrem Lager hervorgeholt und unter fachkundiger Leitung des Restaurators Fridolin Gruber aus Katzenreuth für das Vorhaben konservatorisch behandelt. Das bevorstehende Ereignis gibt nun an dieser Stelle Gelegenheit, in groben Zügen die Geschichte der gemeinhin als Ausdruck barocker Volksfrömmigkeit verstandenen, in ihren Wurzeln indes sehr viel weiter zurückreichenden Heiligen Gräber nachzuzeichnen.

Deren Anfänge sind im zwölften Jahrhundert zu suchen. Damals ließen Kreuzritter und Pilger, die im Heiligen Land das Grab Christi in der Grabeskirche zu Jerusalem gesehen hatten, in ihrer Heimat feststehende Nachbildungen desselben erbauen. So entstand beispielsweise um 1160, wenige Jahre nach dem Ende des zweiten Kreuzzuges also, in Eichstätt ein Heiliges Grab, das im Übrigen noch heute in der Kirche des dortigen Kapuzinerklosters zu besichtigen ist. Sah die Zeit der Romanik bei ihren Kreuzesdarstellungen Christus als den Sieger über den Tod, so stellte die Passionsmystik der Zeit der Gotik den Menschen verstärkt den leidenden Heiland vor Augen und bereitete damit letztlich den Boden für eine neue Welle der Heilig-Grab-Verehrung. Entsprechend finden wir gegen Ende des Mittelalters in den Seitentrakten und -kapellen zahlreicher Dom- und Stiftskirchen als dauerhafte Einrichtungen verwirklichte Grabesdarstellungen. Genannt seien hier lediglich der Dom zu Freising, wo der Künstler hinter den Leichnam Jesu noch heute zu bewundernde Steingruppen trauernder Frauen und Jünger treten ließ, sowie die Stiftskirche zu Moosburg, wo im Jahre 1477 von einem "grozz grab unseres herrn" die Rede ist. In der Zeit der Gotik fertigte man aber auch schreinartige Gräber, reich vergoldete und kunstvoll geschnitzte Tragschreine mit Gitterwerk, Türmchen, Kreuzblumen und Figuren. Hinter den Dom- und Stiftskirchen durften die weltlichen Höfe nicht lange zurückbleiben. Zug um Zug wurden so auch für die verschiedenen Hof- und Schlosskapellen Heilige Gräber beschafft.

Einen entscheidenden Impuls erhielt das Heilig-Grab-Wesen in der Zeit nach dem Konzil von Trient (1546 bis 1563). Insbesondere die Jesuiten als die Hauptträger der Gegenreformation und der Erneuerung der katholischen Kirche gaben dem religiösen Brauchtum neue Anstöße. Sie pflegten das geistliche Schauspiel, veranstalteten Passionstheater und Karfreitagsprozessionen und errichteten nicht zuletzt eben auch aufwendig in Szene gesetzte Prachtgräber.

Es dauerte indes noch bis weit in die Barockzeit, ehe die Heilig-Grab-Verehrung in Bayern und Österreich zu voller Blüte gelangte. Im 17. Jahrhundert waren es vor allem die Pfarrkirchen der Städte und Märkte sowie die Wallfahrtsheiligtümer, die mit in den Tagen der Karwoche auf- und wieder abbaubaren barocken Prunkgräbern ausgestattet wurden. In die Pfarr- und Filialkirchen auf dem Land fanden die Heiligen Gräber dagegen nur sehr langsam Eingang. Einem auf das Jahr 1695 datierten Kirchenrechnungsband des Gerichtes Schwaben, jenes Territoriums, aus dem später der Landkreis Ebersberg hervorgehen sollte, entnehmen wir beispielsweise, dass zum damaligen Zeitpunkt zwar bereits in den Pfarrkirchen des Gerichtsgebietes Heilige Gräber anzutreffen waren, in den Filialkirchen jedoch derartige Einrichtungen noch gänzlich fehlten. Erst im 18. Jahrhundert scheinen die Heilig-Grab-Darstellungen flächendeckende Verbreitung gefunden zu haben.

Waren es in der Zeit des Barock zunächst die Pfarreien der Städte und Märkte, die untereinander um eine möglichst prunkvolle Ausgestaltung ihrer Heiligen Gräber wetteiferten, so drang dieser Brauch doch allmählich auch in die ländlichen Seelsorgsgemeinden vor. Es muss bei diesem Konkurrieren um die aufwendigste und beeindruckendste Grabdarstellung teilweise zu starken Übertreibungen, ja massiven Auswüchsen gekommen sein. Unter dem Eindruck der Aufklärung sah man es jedenfalls als unumgänglich an, wenigstens die krassesten Ausuferungen einzudämmen. Der aufgeklärte Kaiser Joseph II. erließ 1784 für seine Lande gar ein generelles Verbot der Heiligen Gräber. Bereits ein Jahr zuvor hatte der Salzburger Fürsterzbischof Hieronymus Graf Colloredo ein Verbot der "Grabtheater" ausgesprochen, sich dann aber angesichts des heftigen Widerstandes zu einer gewissen Abmilderung seiner Verfügung bereit gefunden.

In Bayern konnte sich der Brauch nach einer Wiederbelebung unter König Ludwig I. bis in die Zeit der Reform der Osterliturgie halten, die heute weniger den toten Erlöser im Grab, als vielmehr den auferstandenen Christus am Ostermorgen in den Mittelpunkt gerückt sehen möchte.

Wenn nun in Frauenneuharting das alte Heilige Grab, eines der besterhaltenen im Landkreis Ebersberg, wieder einmal aufgerichtet wird, so steht dahinter keineswegs die Absicht, das Rad der Liturgiegeschichte zurückzudrehen. Vielmehr geht es den Initiatoren dieses Unternehmens darum, ein lange gepflogenes religiöses Brauchtum bei der Bevölkerung der Umgegend im Gedächtnis zu halten.

Zu besichtigen ist das Heilige Grab in der Pfarrkirche Frauenneuharting in der Zeit vom 12. bis 18. April, jeweils von 13 bis 17 Uhr. Die Besucher sind aufgerufen, die Andacht nicht zu stören. Am Karsamstag, 15. April, findet im Gotteshaus von 14 Uhr an eine Auferstehungsfeier statt.

Bernhard Schäfer ist Leiter der Museums und Stadtarchivs Grafing sowie erster Vorsitzender des Heimatvereins Frauenneuharting, sein Vater, Berthold Schäfer, ist Leiter des Ortsarchivs Frauenneuharting und Ortschronist.

© SZ vom 13.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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