Immer mehr Kinder nähern sich in der Dämmerung dem Kirchenvorplatz in Frauenneuharting. Kostümiert mit dunklen Filzhüten, Fellen, Jankern, Wollwesten, kuscheligen Schals und warmen Handschuhen. Darunter blitzt hier und da noch ein Schneeanzug hervor. Es ist frostig an diesem Donnerstagabend im Dezember. Einige haben Laternen, Stöcke und vereinzelt sogar Musikinstrumente wie eine Quetsche oder eine Flöte dabei.
Wie schon Generationen zuvor, werden an diesem Abend verkleidete Kinder in ihrer Nachbarschaft anklopfen, Segenssprüche und -lieder vortragen, Naschereien sammeln und insbesondere um Spenden für einen guten Zweck bitten. Sepp Huber, Heimatpfleger im Kreis Ebersberg, kennt sich mit dem Heischebrauch aus: „Laut schriftlichen Erwähnungen fand das Klopf-o-Gehen schon im 16. Jahrhundert statt. Meist waren es Kinder der ärmeren Landbevölkerung, die zwischen dem ersten und vierten Advent von Haus zu Haus zogen, um Nüsse, Äpfel, Kletzn oder Backwaren von den Großbauern zu erbitten und dafür Lieder, Sprüche oder Segenswünsche kundtaten.“ Der Fruchtbarkeitssegen für die kommende Ernte sei für viele Bauern so wichtig gewesen, dass jene, die nicht aufgesucht wurden, sogar Missernten oder Unglück im Stall befürchtet hätten.

Der 75-jährige Heimatpfleger erinnert sich aber auch an Zeiten Mitte/Ende der 50er-Jahre, in denen nicht nur Kinder klopfend unterwegs waren. „Ich war ein kleiner Bub, der in einem Bauerndorf nicht weit entfernt bei Steinhöring wohnte. Nach 19 Uhr waren damals auch dunkle, bis zur Unkenntlichkeit vermummte Erwachsene unterwegs, die sogar Seidenstrümpfe über das Gesicht gezogen hatten. Sie wollten nicht erkannt werden, weil sie sich schämten, betteln gehen zu müssen. Das war für mich schon sehr gruselig“, erzählt Huber.
Auch die heutigen Kinder vertuschen symbolisch ihre Identität. Regina Pöschl, Mutter eines 8-Jährigen, verteilt schnell noch etwas schwarze Schminke auf den kleinen Gesichtern, bevor es losgeht. Sie war es, die nach der Coronazeit den bayerischen Brauch in Frauenneuharting wieder aufleben lassen wollte. Sobald es wieder möglich war, kümmerte sie sich um die Vernetzung der Familien in den verschiedenen Ortsteilen der Gemeinde. „Das Klopf-o-Gehen ist ein bayerischer Brauch, den man nicht vergessen sollte. Das haben wir als Kinder schon gemacht“, sagt die 44-Jährige. Allerdings gehe es mittlerweile nicht mehr nur Naschwerk für sich selbst: „Die Kinder wissen, dass sie für andere Kinder sammeln“, so Pöschl. Der Erlös soll heuer wieder der Kinderkrebshilfe in Ebersberg und dem Kinderpalliativzentrum in München zugutekommen.
Überall werden die Kinder fröhlich empfangen, selten bleibt eine Tür verschlossen
Dann geht es endlich los, Säcke und Sammelbüchsen werden verteilt, gruppenweise brechen die rund 45 Kinder in elterlicher Begleitung auf, um in Jakobneuharting, Tegernau, Haging, Baumberg, Lauterbach und Frauenneuharting die Bewohner zu besuchen. Die erste Tür öffnet sich: „Klopf-o Klopf-o geh ma, hamma z’rissne Hosn o, waht da Wind aus und ei, deads uns wos ins Sackerl nei“, ruft eine sechsköpfige Truppe noch etwas schüchtern. Der darauffolgende Gesang klingt dann schon etwas mutiger: „Wir wünschen de Hausleit a glückselig’s neis Jahr. Und a goldig’s Christkindl mit aufkrauste Haar“.
„Toll habt ihr das gemacht“, lobt die Frau in der Eingangstür, „da muss ich gleich schauen, ob ich auch was finde.“ Ein Schein wandert durch den Büchsenschlitz, ein paar bunte Naschereien landen im Sackerl. „Wir könna net dableibn, wir müassn wieda geh. Für des, was ma kriagt ham, bedank ma uns schee“, antwortet der Klopf-o-Chor singend und weiter geht’s zum nächsten Haus. Überall werden die Kinder fröhlich empfangen, selten bleibt eine Tür verschlossen. „Danke fürs Kommen“, hört man hier, „toll, dass ihr das macht“, tönt es da. Viele erkundigen sich, wofür gesammelt wird. Geld wandert in die Sammelbüchsen, Schokolade in den Sack, der mittlerweile verheißungsvoll knistert.

Ob alle im Ort den Brauch kennen? „Eigentlich scho“, meint Regina Pöschl, viele wüssten davon noch aus der eigenen Kindheit. Und tatsächlich: Zahlreiche Besuchte bewegen ihre Lippen zu Sprüchen und Gesang – sie scheinen die Texte nur allzu gut zu kennen. Dass jemand nicht weiß, worum es geht, ist selten. Maria Trojak, Mutter zweier Mädels in der Klopf-o-Truppe, erinnert sich an vergangenes Jahr: „Eine Frau kam uns nachgerannt, wollte, dass wir unbedingt zu ihrem Haus kommen, und war monetär sehr großzügig. Zum Schluss fragte sie uns nach dem Aufkleber für die Tür. Sie hatte uns mit den Sternsingern verwechselt.“ Eine Ausnahme.
Nach rund eineinhalb Stunden sind die Nasen rot, der ein oder anderen fröstelt, den Sack müssen mittlerweile die erwachsenen Begleiter schleppen. Die Dose hingegen mag jeder haben: „Die ist schön leicht“, stellt die aktuelle Trägerin stolz fest. „Es sind fast nur Scheine drin.“ Nur noch wenige weitere Häuser liegen nun vor den Kindern. Trotz Schniefnasen und dem ein oder anderen kalten Zeh sind sie hoch motiviert, bis zum Ende durchzuhalten. Schließlich fehlt ja noch der Höhepunkt: die gerechte Verteilung der süßen Beute und Hotdogs vom Grill. Denn diese Belohnung haben sich die Kinder, die an diesem Abend rund 2300 Euro gesammelten haben (ein letzter Rundgang in Jakobneuharting steht sogar noch aus), mehr als verdient.