Süddeutsche Zeitung

Forstinning:Firma will Fangeräusche in die Allianz-Arena übertragen

Am Freitag startet die Fußball-Bundesliga, so gut wie ohne Fans. Ein Betrieb aus Forstinning könnte Zuschauer-Sounds vom Fernsehsessel ins Stadion senden.

Von David Beer, Forstinning

Aus einer kleinen Werkstatt in Forstinning macht die Firma Sircom großen Lärm. Ihre Sirenen, die weltweit vor Tsunamis, Erdbeben und Stürmen warnen, sollen nun Fangesänge in die Fußballstadien zurückbringen. Die Fenster in Forstinning sind geschlossen für eine Vorführung, wobei zehn Prozent der möglichen Lautstärke bereits einen ohrenbetäubenden Lärm erzeugen. Klar, weil man etwa Sturmwarnungen in großer Entfernung hören können muss. Standardorte für Forstinnings Sirenen sind üblicherweise große Flächen, Industriegebiete zum Beispiel, oder Küsten. Nun wollen sie in deutschen Stadien Fuß fassen.

Am Freitagabend startet die neue Bundesliga-Saison. Meister Bayern München empfängt Schalke in der Fröttmaninger Arena. Aktuell können Nutzer des Pay-TV-Anbieter Sky während der Live-Übertragung eines Fußballspiels per Knopfdruck künstlich Fangeräusche einblenden lassen. Im Stadion herrscht jedoch nach wie vor Bolzplatzstimmung. Die Forstinninger planen nun, den künstlichen Stadion-Sound, der nur im Fernsehen zu hören ist, mit dem wahren Lärm zu ersetzen, den Fans zuhause auf der Fernsehcouch veranstalten. Sie können daheim bleiben und werden dennoch laute "Acoustic Virtual Fans" (AViFas) im Stadion. Deswegen lautet das Motto des Projekts: "Wir bringen die Stimmung zurück!"

Sircom sieht in der aktuellen Situation in den Stadien eine Möglichkeit, 25 Jahre Firmenerfahrung mit Soundsystemen ins Spiel zu bringen. Norbert Hunger hat Sircom, alias Gesellschaft für Systemintegration und Kommunikationstechnik, im Jahr 1993 mitgegründet. In der Anzinger Straße in Ebersberg haben sie damals bescheiden angefangen, mittlerweile zählen sie Universitäten, Regionalregierungen und gar die US-Armee zu ihren Kunden. Im Laufe der Jahre haben sie versucht, immer energieeffizientere Lautsprecher herzustellen. Jetzt könnten sie mit 500 Watt eine Leistung bringen, für die man üblicherweise 4000 Watt braucht - einen Schall von bis zu 140 Dezibel.

Ein Referenzpunkt: 2018 hat eine sogenannte Acoustic Camera von Siemens einen durchschnittlichen Lärm von 100 Dezibel in der Münchner Allianz Arena aufgenommen. Diese Lautstärke kann die Technik aus Forstinning herstellen. Und wenn eine reduzierte Anzahl von Fans wieder im Stadion erlaubt wird, wie etwa beim anstehenden Finale des Europäischen Supercups zwischen Bayern und Sevilla, wären die Forstinninger Anlagen ungefährlich für die Ohren der Fans. "Immerhin müssen auch unsere Mitarbeiter in der Nähe stehen können, ohne taub zu werden."

Um innerhalb einer Stunde zehn solche Anlagen an bestimmten Orten im Stadion aufzubauen, braucht Hunger drei Mitarbeiter. Alles, was man für das ganze Stadion benötigt, passt in seinen VW-Bus hinein. Das schließt Lautsprecher, Empfangstechnik und Batterien ein. Es braucht keine Kabel - alles läuft über Bluetooth, Wlan oder LTE. Die Anlagen selbst bestehen aus zwei Lautsprechern, die für die Frequenzen einer menschlichen Stimme geeignet seien, und eine Box für tiefere Frequenzen - etwa Trommelgeräusche. Diese drei Boxen sollen den Schall von knapp 8000 Menschen reproduzieren können.

Fans können Gesänge, Jubel und sogar Trommeln mit der App aufnehmen und sie in Echtzeit ins Stadion übertragen. Die Technik empfängt die einzelnen Stimmen, bindet sie zusammen und verlinkt den Ton zu den Lautsprechern. Es bestehe die Chance, in der App Gruppen zu bilden und Gesänge zu koordinieren. Dann könnte man eine bestimmte Anlage wählen, von der die Stimmen laut gespielt würden, so Hunger. Es könnte also wieder Ultra-Fan Ecken geben. Sogar internationale Fan-Gruppen, die nie im Stadion waren, hätten zum ersten Mal die Gelegenheit, ihre Stimmen im Stadion klingen zu lassen.

Der ganze Ablauf soll eine halbe Sekunde dauern, wenig Verzögerung also. Allerdings wird vorausgesetzt, dass es keine auffällige Zeitdifferenzen bei der Übertragung des Spiels selbst gibt - was mitunter durchaus ein Thema ist, etwa bei Online-TV. In der Tat rechnet man damit, dass, was man im Fernsehen sieht, im Stadion mindestens zwei Sekunden früher passiert ist. Mit Online-Streaming liegt die Verzögerung irgendwo zwischen zehn Sekunden bis zu einer Minute. Egal wie schnell man die Stimmen der Fans übertragen kann, gäbe es eine verzögerte Fan-Reaktion auf einzelne Spielmomente - Tore, Fouls oder Auswechslungen. Es gibt aber bereits erfolgreiche Beispiele. Der dänische Erstligaverein AGF Aarhus brachte Ende Mai zu seinem ersten Spiel nach dem Saisonabbruch tausende virtuelle Fans, die per Zoom auf 22 LED-Screens in einer Tribüne zu sehen und auch zu hören waren. Den Ton ihrer echten Stimmen musste man mit Aufnahmen mischen, aber Reaktionen dazu waren in den Medien eher positiv und bewundernd.

Wenn Sircom die Chance hätte, den Ton live in die Stadien zu übertragen, müsste man etwas Ähnliches machen, schätzt Hunger. Ansonsten setzt er seine Hoffnung auf Broadcast-IP Streaming, deren Verzögerung eher mit Zoom-Anrufen vergleichbar seien. Momentan wird so etwas aber selten benutzt, obwohl die Technologie schon existiert, wenn Vereine daran interessiert wären. Wenn es letztendlich unerwünscht wäre, den Schall ins Stadion zu übertragen, besteht eine letzte Option: Man könne einfach die Sounds, die Fans in der App aufnehmen, den Fernsehanstalten direkt übermitteln. Sie würden den Ton dann mit ihrem eigenen Ton mixen. Obwohl das keine Stimmung im Stadion erzeugt, sei der Vorteil davon, dass die Sounds, die man im Fernsehen hört, diesmal von tausenden von Menschen stammen, die aktuell vor dem TV sitzen. Hungers Ansicht: Derzeit laufen die TV-Sender Gefahr, den Sound eines Spiels zu verfälschen. "Ist es nicht besser, wenn statt einem Zehntausende entscheiden, was man hört?"

Die optimale Anzahl von "AViFas" liege zwischen 4000 bis 8000, so Hunger. Es gehe darum, die beste Qualität der einzelnen Stimmen herzustellen. Je mehr Live-Links es gebe, desto höher seien sowohl der technische Aufwand als auch die Kosten.

Die eventuellen Einnahmen für Vereine, so Hunger, hingen davon ab, wie viele Fans bereit wären, ein virtuelles Ticket zu kaufen. Den Preis - vorstellbar wären etwa fünf Euro pro Sound-Ticket - müssten die Fernsehanstalten oder Vereine bestimmen. "Wir möchten bloß die Technik versorgen und aufbauen", so Hunger. Jedes Ticket gilt pro Gerät statt pro Person, was eine Gelegenheit bietet, den Schall von mehreren Personen aus einem Wohnzimmer relativ billig zu übertragen. In einer Kneipe bräuchte man fünf bis zehn Übertragungsgeräte, um hundert Stimmen gut aufzunehmen (falls das die Abstandsregeln in der Kneipe so zulassen).

Das Angebot ist da, an Interesse fehlt es in Deutschland aktuell. "Egal wohin wir E-Mails schicken - Red Bull Leipzig, Sky, FC Bayern München - sind wir leider nicht imstande, überhaupt jemanden an den Tisch zu bringen", sagt Hunger. Bisher seien alle interessierten Partner Fernsehanstalten in den Vereinigten Staaten, wo Sircom-USA schon etabliert ist.

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Quelle:
SZ vom 17.09.2020
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