Christoph „Coretto“ Schnelle aus Grafing ist Musiker und Physiker, sein Geld verdient er in der Halbleiter-Branche. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass ihn das Thema Künstliche Intelligenz (KI) und Kreativität ganz besonders umtreibt – und wohl demnächst auch auf der Bühne Raum bekommen wird. Viel habe er schon ausprobiert, erzählt Schnelle beim Kaffee in seiner Küche, vor allem im Bereich Songtexte. Doch das Ergebnis sei seiner Meinung nach wenig besorgniserregend: „KI bringt viele Gefahren mit sich, aber im Kreativen hält sich das echt in Grenzen“, sagt der 51-Jährige.
„Das ist im Grunde ja nur erweiterte Mathematik – da gibt es keinerlei Empathie, nicht einmal als Nachbildung.“ Viel zu banal und hölzern seien die Ergebnisse. „Songtexte so zu basteln wie ich, das kann die KI einfach nicht.“ Insofern wolle er den Menschen gerne zumindest diese Angst nehmen, so Schnelle, indem er die KI quasi auf der Bühne vorführe. Geplant ist eine Art interaktive Impro: Das Publikum soll Stichworte zu einem Lied liefern, das Programm daraus einen Text kreieren. „Und nach der Pause singe ich den dann“, sagt Schnelle, breit grinsend. Er scheint sich seiner Sache sicher zu sein.
Eigentlich kommt Schnelle aus einer ganz anderen, deutlich härteren Musikrichtung
Bis dato allerdings beschränkt sich – vermutlich zum Glück – Schnelles neues Projekt auf selbst geschriebene Lieder. Folxklub heißt das Trio, mit dem der Grafinger nun unter anderem im Glonner Marktblick auftritt, der Untertitel lautet „Geschichten von Nebenan“. Man wolle relevante Texte machen, sagt Schnelle, meist auf Deutsch, mal auf Englisch, von „kollektiver Vergangenheitsbewältigung“ über Selbstironisches und Politisches bis hin zum Blick durchs Schlüsselloch.
Musikalisch liegt Folxklub irgendwo zwischen Indie-Folk, Singer-Songwriter-Charme und Lagerfeuer-Punk. „Letztlich ist das alles für die kleine Bühne geschrieben“, erklärt Schnelle, „wir wollen nämlich vor allem in Wirtshäusern spielen.“ Deswegen habe man das Genre „Beisl-Pop“ ersonnen. Das Trio bietet eingängige Melodien, ausgefeilte Arrangements aus Gitarren und Groove, die aber immer transparent sind und so dem Text Raum zur Entfaltung lassen.

Schnelle spielt je nach Bedarf Piano oder Bass und singt, seine Mitstreiter bei Folxklub sind Christian Bartl an der Gitarre und Alex Ross am Schlagzeug. „Das Schöne an dieser Zusammensetzung ist, dass wir uns seit Ewigkeiten kennen und lieber etwas ausprobieren, als lang darüber zu diskutieren“, schwärmt der Grafinger Liedermacher. „Außerdem sind Alex und Bartl fantastische Musiker. Wir kennen uns aus der Punk-Szene, beide gehören zur größeren Coretto-Familie.“
Ursprünglich nämlich kommt Schnelle aus einer ganz anderen, deutlich härteren Musikrichtung: Bereits vor 35 Jahren hat er mit einem Freund die Hardcore-Punk-Band Peter Coretto gegründet. Daher stammt auch sein Künstlername Christoph Coretto, denn: „Wir haben uns, wie die Legenden von den Ramones, dann einfach alle so genannt.“ Das Ergebnis könne man kennen, sagt Schnelle. Die Band habe fünf Tonträger veröffentlicht und ziemlich große Konzerte gespielt, zum Beispiel am 1. Mai auf einem vollen Münchner Marienplatz oder als Vorband von Egotronic. Das jüngste Peter-Coretto-Album stammt von 2018 und heißt „Angst kostet Freiheit“.
Er hat sich hochgearbeitet: vom Schweinestall in einen Proberaum neben der Kfz-Werkstatt
Doch mit Folxklub sei nun nicht mehr der Polizeibericht sein Ziel, sondern das Feuilleton, sagt Schnelle und lacht. Und irgendwie ist der Beisl-Pop für ihn auch eine Rückkehr zu ganz tiefen Wurzeln: So mit 13, 14 habe er angefangen, erzählt der 51-Jährige, mit einem Kumpel eigene Lieder zu spielen, erst in einer Gartenhütte vom Nachbarn, „dann haben wir uns hochgearbeitet – vom Schweinestall bis in einen Proberaum neben einer Kfz-Werkstatt“. Für seinen ersten Bass habe er, nun ja, einen Kasten Bier bezahlt. Apropos: Schon früh arbeitete er in Kneipen, am liebsten natürlich als DJ. „So habe ich mir mein langes Studium finanziert – und gemerkt, welche Emotionen man mit Musik aus den Menschen herausholen kann.“ Das habe ihn schon damals fasziniert.
Seine Jugend hat der heutige Grafinger in Pfaffenhofen an der Ilm verbracht, der Kultkneipe dort, dem „Schlumpf“, hat Schnelle sogar ein Lied gewidmet. „Da war man der König, wenn man einen Deckel hatte, auf dem angeschrieben wurde. Der Kreditrahmen bemaß sich dabei aber nicht am Einkommen, sondern am Konsum. Ein sehr moderner Ansatz“, erzählt der Musiker lachend. Doch letztlich habe sich dann doch Kreditreform durchgesetzt – und die Kneipe musste weichen. „Geplant war eine Bank, heute ist dort ein Brillenfachgeschäft. Was bleibt, ist ein wenig Schadenfreude.“ Und der Song „Kein Phönix aus der Asche“.
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Ein komplettes Home-Studio hat sich Schnelle in seinem Keller eingerichtet, den Impuls, wieder mehr Texte zu schreiben, habe die Corona-Pandemie ausgelöst. „In dieser Zeit hat mich sehr viel umgetrieben.“ Die Inhalte sind heiter bis kämpferisch, drehen sich um ernste Themen, werden aber entspannt, witzig und oftmals ziemlich abstrahiert dargereicht. „Wer zu dir hält, hält nichts davon“ – soll was genau bedeuten? Und warum bitte gibt es bei Folxklub „80 Prozent Discount auf die Idee deines Lebens“?
Da jammert der Teufel über die Gentrifizierung der Hölle, eine alte Dame entfernt jeden Tag rechte Schmierereien, ein Freund gestaltet seine Wohnung plötzlich ausschließlich in Weiß. Von dem Gefühl, zu vielen Dingen machtlos gegenüberzustehen, handelt das Lied „Müssen nicht dürfen“, eine Reflexion über Isolation aus Angst: „Wenn gesellschaftliche Teilnahme am Briefkasten endet, der anstelle der Tagespost dir nur Rechnungen sendet.“ Wer plötzlich seinen Job verliert, der dürfte sich in „Sincerely and goodbye“ wiederfinden, und die Substitutionsausgabe in München hat Schnelle zu einem Song mit dem Titel „Methadon“ inspiriert: „Symptomfrei für den Moment, wenn sie mir den Becher geben. Den Platz in der Schlange nicht verlieren, ist wichtiger als im Leben.“
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Die drei Punkrocker schlagen als Folxklub also ruhige Töne an, weder der Mittel- noch der Zeigefinger wird erhoben. „Ich bin absolut nicht missionarisch unterwegs“, sagt Schnelle, „in einer Demokratie muss schließlich jeder zu Wort kommen.“ Sein Anliegen sei es vor allem, Geschichten zu erzählen und die Menschen damit zu berühren. Der Musik dazu nähere er sich auf experimentelle Weise an, erklärt Schnelle. „Ich bin kein Virtuose und mit der Akkordlehre habe ich auch nicht so viel am Hut.“ Wichtig sei ihm vor allem das Klangbild, das sich aus den Instrumenten heraus entwickle.
Und das Gesamtpaket scheint zu überzeugen: „Es läuft überraschend gut“, sagt der Bandleader, bereits eine ganze Reihe von Kulturkneipen hätten Folxklub gebucht. Außerdem hat Schnelle schon wieder „sehr viele Ideen im Kopf“. Nicht nur für weitere Lieder, sondern auch für Projekte wie ein Konzert samt Ausstellung, etwa beim Ebersberger Kunstverein. Ein Song nämlich handle von „T-Shirts mit Sponti-Sprüchen drauf, wie wir sie früher alle getragen haben. Petting statt Pershing oder sowas“. Und diese kollektive Erinnerung auch optisch zum Leben zu erwecken, daran hätte Christoph Schnelle seine helle Freude. „Die Leute könnten ihre T-Shirts spenden, oder man arbeitet mit Fotos“, sagt er. Gut möglich also, dass man von diesem Folxklub noch so einiges hören wird, in den Beisln der Region und darüber hinaus.
Folxklub: „Geschichten von Nebenan“ am Samstag, 25. Januar, im Glonner Marktblick, Einlass 18 Uhr, Beginn 20 Uhr. Karten gibt es persönlich im Marktblick oder online.