Flugzeugabsturz über Steinhöring:Als Leichen vom Himmel fielen

Die Trümmer liegen bis zu 30 Kilometer verstreut, darunter auch streng geheime Tonbänder und Notizen. Wochenlang durchkämmen Tausende US-Soldaten die Umgebung. Genau 50 Jahre sind seit dem Absturz eines Spionageflugzeugs bei Markt Schwaben vergangen. Bis heute ist der Unfallbericht streng geheim.

Oliver Hollenstein

Ein Crewmitglied saß gerade auf der Toilette. Viel mehr ist öffentlich nicht bekannt darüber, was am 22. Mai 1962 zwischen 11:31 und 11:36 Uhr an Bord von Navy 131-390 geschah. Klar ist: Heute vor 50 Jahren brach das amerikanische Spionageflugzeug am Himmel über Steinhöring auseinander.

Abgestuerztes US-Flugzeug, bei Forstinning 1962

Der Navy-Flug 131-390: Am 22. Mai 1962 stürzte das US-Spionageflugzeug bei Markt Schwaben ab. Bis heute ist die Ursache nicht bekannt.

(Foto: Sickinger (o.H.))

Bevor der Flieger auf einem Acker bei Markt Schwaben aufschlug, fielen Papier, Tonbänder und Leichen aus der schwer beschädigten Maschine. Mehr als 5000 US-Soldaten und 30 Hubschrauber suchten anschließend wochenlang nach den Überresten. An Bord des Aufklärungsflugzeugs starben wohl 45 Menschen, offiziell bestätigt ist diese Zahl bis heute nicht. Am Boden wurde wie durch ein Wunder niemand verletzt.

14 Grad, bewölkt, kräftiger Westwind, lautete die Wettervorhersage für den 22. Mai 1962. In der Gegend um Markt Schwaben waren etliche Bauern auf den Feldern. Und am Frankfurter Flughafen startete um 9:15 Uhr Navy 131-390. "15 Minuten zu spät - schon damals war auf dem Frankfurter Flughafen immer alles verspätet", sagt Peter Sickinger.

Der Zornedinger, der lange in der Luftfahrtbranche gearbeitet hat, beschäftigt sich seit Jahren mit dem Unglück und hat in Fachzeitschriften darüber publiziert. Den Flugplan hat er minuziös rekonstruiert. Von Frankfurt flog die Maschine vom Typ WV-2Q, das militärische Pendant der Super-Constellation, über Bamberg nach Bayreuth. Um 11 Uhr überquert sie Nürnberg, fliegt von dort Richtung Regensburg.

Was die genaue Aufgabe der Maschine war, ist aus offiziellen Quellen bis heute nicht zu erfahren. Doch Luftfahrthistoriker sind sich einig: Das mit modernster Abhörtechnik ausgestattete Flugzeug sollte wohl an der tschechischen Grenze entlangfliegen und den Funkverkehr der Sowjets abhören.

Der Kalte Krieg steuerte 1962 gerade auf seinen Höhepunkt zu, die Situation zwischen Amerikanern und Sowjets eskalierte zunehmend. Und offenbar hatten die Amerikaner in Deutschland Bedarf an Aufklärung, denn die Unglücksmaschine war gerade erst aus dem andalusischen Rota an den Main verlegt worden.

Schon kurz nach dem Unglück machten in Markt Schwaben und Umgebung die wildesten Gerüchte über die Unglücksursache die Runde. Wurde die Maschine über der Tschechoslowakei angeschossen? Gab es einen Saboteur an Bord? Eine Bombe? Oder einen Selbstmörder? Oder schossen gar amerikanische Jäger die Maschine ab, weil sie entführt wurde?

In einem Beitrag des Bayerischen Rundfunk am vergangenen Sonntag mutmaßte der Hobby-Historiker Erich Blaschke, er vermute, das Flugzeug sei über die DDR geflogen und auf dem Rückweg über die damalige Tschechoslowakei getroffen worden. Peter Sickinger hält solche Vermutungen für Quatsch.

"Die Maschine hätte niemals über Feindgebiet fliegen können. Diesen lahmen Vogel hätten die sofort vom Himmel geholt." Dass so viele Gerüchte kursierten, dafür gebe es aber einen plausiblen Grund. "Die reale Absturzursache ist für die Amis so peinlich, dass die schon kurz nach dem Unglück jede Menge Gerüchte in die Welt gesetzt haben."

Um den Absturz ranken sich bis heute Mythen

Dass sich bis heute so viele Mythen um den Absturz ranken, liegt wohl vor allem daran, dass sich die amerikanischen Behörden bedeckt halten. Tatsächlich gibt es offenbar einen 132-seitigen Unfallbericht der Amerikaner - der allerdings bis heute streng geheim ist.

Und auch schon kurz nach dem Unglück traten die Amerikaner nicht gerade vertrauenserweckend auf: Weniger als 20 Minuten nach dem Absturz traf der erste Militärhubschrauber ein. Zeugen berichteten, dass Soldaten mit Maschinengewehren im Anschlag auf das brennende Wrack zuliefen.

Zivilisten, die vor den Augen der Amerikaner Fotos gemacht hatten, wurden die Kameras abgenommen. Polizisten, die als Erstes vor Ort waren, sollen angeblich nicht reden dürfen über einige Details des Einsatzes, heißt es. Geschädigte Einheimische seien mit Geld zum Schweigen gebracht worden.

Ein Grund für die Verschwiegenheit der Amerikaner dürfte sein, dass sich an Bord offensichtlich deutlich mehr Personen, als die offiziell bestätigten 26 Besatzungsmitglieder befanden, deren Namen schon am nächsten Tag in der US-Militärzeitung Stars and Stripes veröffentlicht wurden. "Es waren 45 Menschen in der Maschine", sagt Peter Sickinger, da seien sich Experten mittlerweile einig.

Im hinteren Teil der Maschine hätten eine Reihe Zivilisten gesessen, die für die Amerikaner die russischen und tschechischen Funksprüche übersetzen mussten. Auch Augenzeugen berichteten damals von mehreren zivilen Toten. Brisant dürfte für die Amerikaner außerdem das gewesen sein, was aus dem Flieger über die gesamte Region regnete: stapelweise Papiere und Dutzende Tonbänder. Mutmaßlich die Aufnahmen sowjetischer Funksprüche und Notizen der Übersetzer an Bord.

Über Wochen durchkämmten amerikanische Soldaten die Gegend nach den Überresten der Maschine. Mehrere Kilometer weit liefen rund 100 Soldaten eine 500 Meter breite Schneise ab, berichtet Peter Sickinger. Die am weitesten entfernten Trümmerteile seien in 30 Kilometer Entfernung gefunden wurde.

Doch warum stürzte das Flugzeug nun ab? Nachdem die Maschine von Regensburg nach Straubing geflogen war, flog sie bis auf Höhe Braunau die Flugüberwachungszone an der tschechischen Grenze entlang. Dort drehte sie Richtung München. Der ursprüngliche Flugplan hätte vorgesehen, so hat es Peter Sickinger mit Hilfe von Experten der Flugsicherung rekonstruiert, dass die Maschine anschließend eine zweite Runde über Bayreuth entlang der Grenze zur Tschechoslowakei geflogen wäre.

Doch so weit kam es nicht: Den letzten regulären Funkspruch setzte Navy 131-390 um 11:31 Uhr bei Reichertsheim ab. Vier Minuten später, die Maschine fliegt gerade 5000 Meter über Maitenbeth, westlich von Haag, reißt das Heckteil ab. Die Piloten funken einen Notruf, wollen erst in Fürstenfeldbruck, dann in Riem notlanden. Doch schon 95 Sekunden später schlagen die Reste auf dem Boden auf.

Was war passiert? "Es kam zu einem verhängnisvollen Vorfall an Bord", sagt Peter Sickinger. Im offiziellen Bericht der Amerikaner ist angeblich von menschlichem Versagen die Rede, von einem Überdruck an Bord, der die Hülle zum Bersten brachte, sagen Experten, die den Bericht gesehen haben wollen.

Doch auch andere Versionen kursieren weiterhin: 1988 berichtete die Nachrichtenagentur dpa in einer Chronologie von Flugzeugabstürzen über das Unglück. Angeblich habe ein Amerikaner die Maschine mit Dynamit gesprengt, hätten Ermittlungen ergeben. Die Quelle lässt sich heute nicht mehr klären.

Klar ist offenbar aber eins: Ein hochrangiger Offizier berichtete 1987 in einer US-Fachzeitschrift, dass ein Crewmitglied während des Vorfalls auf der Toilette im abgerissenen hinteren Teil saß. Beim Aufprall des nahezu unbeschädigten Hecks wurde er herausgeschleudert. Er sei an einem Genickbruch gestorben.

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