Flüchtlingskinder:Die Angst der Kleinsten

Flüchtlingskinder: Im Kindergarten in Grafing lernt Fatih (auf dem Kettcar l.) wieder unbefangen zu spielen. Dennoch erinnern ihn viele Alltagsgeräusche an den Krieg.

Im Kindergarten in Grafing lernt Fatih (auf dem Kettcar l.) wieder unbefangen zu spielen. Dennoch erinnern ihn viele Alltagsgeräusche an den Krieg.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Traumatisierte Flüchtlingskinder brauchen spezielle Betreuung. Doch viele Erzieher haben ihre Belastungsgrenze bereits erreicht.

Von Johanna Feckl, Ebersberg

Mit Tretrollern sausen die Kinder über den Hof, vorbei an dem quietschgelben Mülleimer und der bunt bemalten Sitzbank unter einem Ahornbaum. Vom Boden klauben die Kleinen Nasenzwicker auf und begutachten sich gegenseitig mit den Baumfrüchten auf ihren Nasen. Ein ausgelassener Spielenachmittag im Freien herrscht an diesem Herbstnachmittag im Kindergarten "Der gute Hirte" in Grafing.

Bei schönem Wetter und milden Temperaturen ist das so gewöhnlich wie auch der Stuhlkreis, in dem sich die Kinder zusammen mit ihren Erzieherinnen jeden Morgen versammeln und den Tag begrüßen. Gemeinsam lauschen sie dann, welche Geräusche zu hören sind. An diesem Morgen sind es die Rotorblätter eines Hubschraubers - und schon beginnt das große Rätselraten: ein Polizeihubschrauber? Oder ein Rettungshubschrauber auf dem Weg ins Krankenhaus? Aber nein, ist sich der sechsjährige Fatih sicher. "Das ist ein Hubschrauber, der kommt und macht unseren Kindergarten kaputt!"

Vor welchen Herausforderungen die Kitas stehen

Es sind viele Familien, die in diesen Tagen aus Krisen- und Kriegsgebieten in die Region kommen. Insbesondere bei der Integration von Kleinkindern gibt es verschiedene Aspekte zu beachten: psychologische, finanzielle und sprachliche. Doch wie machen sich diese Gesichtspunkte in der Praxis, in den Betreuungseinrichtungen im Landkreis bemerkbar?

Fatih, der eigentlich anders heißt, floh mit seiner Familie vor dem Krieg in Syrien nach Deutschland und lebt seitdem in Grafing. In der Kita "Der gute Hirte" ist Fatih derzeit das einzige Flüchtlingskind. Von den zuständigen Dienststellen wie dem Jugendamt fühlt sich Leiterin Ingrid Rienth im Rahmen deren Möglichkeiten gut unterstützt - sie zeigt Verständnis. Klar bräuchten die Kinder eine intensivere Betreuung, vor allem psychologischer Art. Das sei aber Aufgabe von Fachkräften und deren Vermittlung liege bei den Behörden.

"Die Mühlen mahlen langsam: Alle sind überfordert", beurteilt Rienth die Lage, "die tun sicherlich, was sie können. Das reicht nur leider nicht für alle." In Fatihs Fall hat es geklappt: Einmal die Woche kommt eine Therapeutin und arbeitet mit dem Buben. "Das ist allerdings erst ganz frisch", erzählt Rienth. Erfahrungswerte über die Therapie könne sie daher noch nicht schildern.

In vielen Einrichtungen fehlt es am Platz

Neben einer bislang unzureichenden psychologischen Unterstützung haben die Kindergärten noch andere Schwierigkeiten: Platzmangel. "Wir könnten aktuell niemanden mehr aufnehmen", sagt Leiterin Rienth. Ähnlich ergeht es da dem Kindergarten St. Martin in Zorneding. Falls in der Gemeinde zukünftig Flüchtlingsfamilien mit Kleinkindern untergebracht würden, wüsste Leiterin Dörthe Höger nicht, "wie das funktionieren soll". Eine zusätzliche, intensive Betreuung von vielleicht mehreren Flüchtlingskindern, "das ist mit dem wenigen Personal einfach nicht zu stemmen".

Die Erziehungskräfte seien ohnehin an ihren Belastungsgrenzen angekommen. Die Kindergärten bräuchten mehr finanzielle Unterstützung, um mehr Personal einstellen zu können. Dann wäre eine adäquate Förderung der Kinder zu gewährleisten. Für Höger ist das auch absolut wünschenswert: "Wir wollen immer das Beste für die Kinder. Aber ohne zusätzliche Unterstützung sind wir irgendwann nur noch eine Kinder-Auffangstation wie im Möbelhaus", warnt sie.

Auch Flüchtlingskinder haben einen Rechtsanspruch

"Wir stehen da vor einer großen Herausforderung", sagt auch Pia Theresia Franke, Geschäftsführerin des Verbands katholischer Kindertageseinrichtungen in Bayern. "Auch Flüchtlingskinder haben nach dem ersten Lebensjahr einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz - sofern die Familie in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft wohnt und nicht mehr in einer Erstaufnahmeeinrichtung", sagt Franke. Damit dieser Anspruch gewährleistet werden kann, müsse man über ausreichend finanzielle Ressourcen verfügen.

"Problematisch ist nämlich, dass es in Bayern eine kindbezogene Förderung gibt", erklärt Franke. Wie viel Erziehungspersonal in einer Einrichtung beschäftigt wird, sei damit gebunden an die Anzahl der zu betreuenden Kinder. Das könne zur Folge haben, dass man eine Erziehungskraft entlassen muss, wenn mehrere Kinder die Kita verlassen. Flüchtlingsfamilien aber ziehen häufig nach einiger Zeit an einen anderen Wohnort, weil sie eine neue Unterkunft gefunden haben. "Wir brauchen bei der Finanzierung eine Erweiterung um eine Pauschale", fordert Franke daher.

Welche Vorteile Kitas für Flüchtlingskinder bieten

Ein weiteres finanzielles Problem sieht Gabriele Friesinger, Leiterin des Awo-Kinderhauses in Kirchseeon, in der Betreuungszeit. Zwar ist aktuell bei ihr kein Flüchtlingskind untergebracht, Friesinger spricht aber aus Erfahrung vom Vorjahr. "Die Betreuungskosten für geflüchtete Kinder werden vom Jugendamt bis dato nur für die Kernbuchungszeiten übernommen. Bei uns sind das vier Stunden pro Tag. Das ist nicht ausreichend", sagt sie.

Gerade für Flüchtlingskinder sei es wichtig, so viel Normalität wie möglich zu erleben. Dazu gehöre ein geregelter Tagesablauf mit Essens-, Ruhe- und Spielzeiten. "Das ist in einem Kindergarten besser möglich als in einer Gemeinschaftsunterkunft, wo die Flüchtlingsfamilien möglicherweise wohnen", erklärt Friesinger.

Was die sprachliche Integration anbelangt, sehen die Kindergärten hingegen keine Probleme. "Kinder tun sich generell in den meisten Fällen wahnsinnig leicht, eine neue Sprache zu lernen", sagt Höger aus Zorneding. Im Kindergartenalltag kommen die Kinder fortwährend in Kontakt mit der deutschen Sprache. "Wenn wir beispielsweise Memory spielen, dann benennen wir die Sachen, die wir darauf sehen", erzählt Kornelia Sigl, Leiterin des Kindergartens St. Benedikt in Ebersberg.

Unterstützung gibt es beim Landratsamt

Im Moment wird dort ein Flüchtlingskind betreut. Ein weiteres komme in den nächsten Wochen hinzu. Freilich reicht der Sprachkontakt im Alltag manchmal nicht aus. Aber auch hierfür gibt es im Kindergarten St. Benedikt Lösungen: "Wenn das Kind einen zusätzlichen sprachlichen Förderbedarf hat, melden wir das beim Landratsamt. Dann bekommt es zweimal die Woche für je eine Stunde gezielten Sprachunterricht von einem Schullehrer", erklärt Sigl.

Allen Schwierigkeiten zum Trotz: Für die Flüchtlingskinder ist es besonders wichtig, in die Kitas zu kommen, "um dort einer Sicherheit und Struktur im Alltag zu begegnen und natürlich um die deutsche Sprache zu lernen", ist sich die Geschäftsführerin des Verbands katholischer Kitas sicher. Daneben betont auch Kindergartenleiterin Ingrid Rienth aus Grafing die positiven Folgen der Integration: "Ich denke, es ist für alle Beteiligten eine absolute Bereicherung - speziell auch für die anderen Kinder."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: