Süddeutsche Zeitung

Flüchtlinge:Wenn morgens plötzlich das Landratsamt im Schlafzimmer steht

Lesezeit: 2 min

Dürfen Flüchtlinge ihre Freunde oder Verwandten im Wohnheim-Zimmer übernachten lassen? Das Landratsamt Ebersberg sagt nein - und stattet einer Unterkunft einen Besuch mit Generalschlüssel ab.

Von Korbinian Eisenberger, Poing

Es war am Freitag vor zwei Wochen, als das Landratsamt Ebersberg durchgriff. Gegen 8.30 Uhr betraten die Mitarbeiter die Flüchtlingsunterkunft im ehemaligen Arbeiterwohnheim in Poing und klopften an der ersten Zimmertür. Am Ende ihres Überraschungsbesuches hatten die Kontrolleure des Landratsamtes alle 60 Türen aufbekommen, zum Teil mit einem Generalschlüssel, weil manche Bewohner nicht öffneten. Dabei weckte das Landratsamt nicht nur die Bewohner auf, sondern 13 Männer, die in Poing zu Gast waren. Weil Übernachtungen in der Hausordnung nicht vorgesehen sind, schmissen die Mitarbeiter alle Gäste raus.

Die Überraschung ist geglückt, allerdings eher im negativen Sinn. Bei den Asylhelferkreisen in Markt Schwaben und Poing reagierten die Verantwortlichen mit Entsetzen. Der Einsatz des Landratsamts sei "eine regelrechte Razzia" gewesen, heißt es in einer Stellungnahme des Markt Schwabener Helferkreises: "Die Gäste und Bewohner durften sich weder erklären, geschweige denn entschuldigen."

Den Angaben der Bewohner nach seien die Gäste "aggressiv des Hauses verwiesen" worden, zudem hätten die Mitarbeiter mit Polizei und Hausverboten gedroht. Den Gästen sei keine Gelegenheit gegeben worden, sich zu waschen oder sich angemessen von ihren Freunden oder Verwandten zu verabschieden, heißt es. "Sie wurden aus dem Bett heraus vor die Türe gesetzt."

Eritreer, Syrer und Pakistaner wohnen auf drei Stockwerken

Die Unterkunft nahe des Poinger Bahnhofs war früher ein Wohnheim für Bauarbeiter. Seit Mitte Mai leben dort 120 Flüchtlinge, die vorher in Massenunterkünften, etwa in Markt Schwaben, Kirchseeon oder Ebersberg untergebracht waren. Eritreer, Syrer, Pakistaner und Afghanen wohnen auf drei Stockwerken in acht bis zehn Quadratmeter großen Zweimannzimmern mit Stockbetten.

Am Donnerstagnachmittag kommt gerade eine Männergruppe von der S-Bahn zurück ins Wohnheim, ein Polizeiauto hält, als sie vor dem Haus stehen bleiben und diskutieren. Ahmed Hossan, der eigentlich anders heißt, war gerade beim Deutschunterricht. "Klar kriegen wir manchmal Gäste", sagt er. "Mein Mitbewohner hat manchmal Besuch von seinem Bruder aus Thüringen, den kann man doch abends nicht wieder zurückschicken."

Götz Kirchhoff, Sprecher des Poinger Helferkreises moniert zudem, dass es keinerlei Vorwarnung oder Ermahnung gegeben habe. "Die Hausordnung war bis vor zwei Wochen niemandem bekannt", sagt er. Seit dem Überraschungsbesuch der Behörden hängt jetzt in jedem Zimmer eine Hausordnung mit einem Satz in eigenwilligem Englisch: "No visitors offer night", was - wie das Landratsamt bestätigt - bedeuten soll, dass man in seinem Zimmer nach 22 Uhr keine Gäste mehr beherbergen darf.

Das Landratsamt begründet den Einsatz und den Aushang mit den geltenden Brandschutzbestimmungen. Demnach seien in der Unterkunft nicht mehr als 120 Personen zugelassen, genauso viele wie dort auch tatsächlich wohnen. Im Brandfall, so das Landratsamt, könne es sein, dass "die Feuerwehr bei 120 geretteten Personen möglicherweise aufhört zu suchen, weil sie der Meinung ist, dass sich kein Bewohner mehr in dem Objekt befindet", heißt es auf Nachfrage. Auf die unangekündigten Kontrollen gebe es auch positive Reaktionen von Flüchtlingen, die "unter Besuchern von anderen Bewohnern leiden".

Kirchhoff ist sich des Problems bewusst. "Man braucht in einer Unterkunft Ordnung und Disziplin", sagt er. Und dass die Brandschutzvorgaben eingehalten werden müssen, daran sei auch nicht zu rütteln. Man könne aber über alles reden. "So eine Methode ist nicht die Art und Weise, die wir im Umgang mit Menschen kennen."

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SZ vom 19.08.2016
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