Festival EBE-Jazz:Groovend-sakrales Chamäleon
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Zum Abschluss des Festivals 2019 erklingen Duke Ellingtons "Sacred Concerts" in Grafing. Bigband, Chor und Orgel geben eine kraftvolle Vorstellung in der ausverkauften Kirche
Von Daniel Fritz
Als sich der Chor um kurz nach fünf hinter der Bigband aufstellt, wirkt die tiefgelbe Beleuchtung auf den Gesichtern der Musiker wie das Farbspiel eines satt-goldenen Sonnuntergangs. Analog zu diesem Bild verklingt mit dem Konzert in der Grafinger Ägidus-Kirche auch das diesjährige Festival rund um den Jazz: glanzvoll farbenfreudig, aber auch würdevoll und andächtig wie das letzte, kostbare Licht eines Herbstabends. Auf dem Programm: Duke Elligtons "Sacred Concerts".
Das Kirchschiff ist gut gefüllt, schade, dass einige Besucher - wohl aus Brandschutzgründen - nicht mehr eingelassen werden konnten. Die Mitglieder des EBE-Jazz-Jugendchors sind sicherlich mitverantwortlich für die vielen auch jüngeren Gäste. Ellingtons Wunsch, verschiedenste Menschen in die Kirche zu bringen, kommt man so einen Schritt näher. Das (eingehaltene) Versprechen eines besonderen Kulturevents trägt wohl ebenfalls dazu bei. Nach kurzer Begrüßung durch Ebersbergs Musikschulleiter Peter Pfaff und seinem Dank an die beiden Ensembleleiter Martin Danes und Josef Ametsbichler steckt der musikalische Auftakt rasch den stilistischen Rahmen ab: Schon in der ersten Minute hört man fetten Swing in direktem Kontrast zu Chor und Orgel.
Die Musik Ellingtons ist vielschichtig, der Spagat zwischen künstlerischer Komplexität und leichtverdaubarem Mitwipp-Jazz erstaunlich. Tempo- und Groovewechsel sorgen bei den "Sacred Concerts" innerhalb der eh schon kurzen Stücke für Varianz und halten bei Laune. Die spezielle Besetzung und deren klangliche Möglichkeiten werden kompositorisch gekonnt genutzt. Anspruchsvoll alterierte Harmonik und schwierige Gesangslinien stehen im Kontrast zu eingängigen Swing- und Latin-Arrangements. Chorklang und Orgel erweitern das Spektrum noch um eine weitere Dimension. Auch der illustrative Umgang mit Rhythmus, besonders im Trommelintro- und Solo der Bongos, ist vom berühmten Arrangeur geschickt gewählt - adressiert und stimuliert exponierter Rhythmus den Menschen doch ganz direkt auf basaler Ebene. So entsteht ein faszinierender Hybrid aus einer andächtigen Geistlichkeit und dem Drive, der Lockerheit des Jazz. Gerade das Saxofon, das immer wieder als lasziv und gänzlich unheilig assoziiert wird, macht sich richtig gut in der Kirche: sowohl phonetisch, als auch als elastischer Charakter zwischen persönlichem Sehnen und einer progressiven Offenheit und Freiheit im Sinne Luthers und Ellingtons.
Bemerkenswert ist auch die vielseitige Funktion des Chors: als texttragendes Hauptelement, als doppelnde Klangfarbe oder auch mal als synkopisch-phrasierter Begleitsatz für ein Saxofonsolo. Chorleiter Martin Danes führt seinen junges Ensemble im Stehen an einer kleinen elektrischen Orgel, und man sieht an seinen Gesten, wie sehr er seine Sängerinnen und Sänger immer wieder zum präzisen und knackigen Singen anspornt. Ein wertvoller Einsatz, jungen Menschen in diesem Verbund die komplexe Welt des Jazz nahezubringen! Die Jugendlichen halten selbst schwierige Harmonien, die viele Erwachsenenchöre so nicht singen könnten - da steckt fleißige Probenarbeit drin. Schön sind die anschwellenden Crescendi und der klar artikulierte Text. Auch das polyglotte Rezitieren des Wortes "Frieden" mit präzisem Timing verfehlt seine Wirkung nicht. Ein Sänger sticht allerdings aus der Männersektion heraus: Er lebt mit Bewegung und Ausdruck jene Hingabe vor, die dem gesamten Chor helfen würde, Ellingtons wichtige Message noch kraftvoller zu vermitteln.
Die erst 23-jährige Sopranistin Alma Naidu fügt sich trotz Soloposition unaufdringlich in die große Besetzung ein. Ihr Ton ist hell und luftig mit guter Stütze; weich und freundlich sind Klang und Ausstrahlung. Ihr Werdegang mit Stationen im klassischen Bereich, Musical und Jazz klingt durch, sie arbeitet klanggestaltend viel über ihre Mundformung und variiert je nach Song Vibrato und Tonführung. Die Vielseitigkeit in Naidus Gesangsstil passt gut zum facettenreichen Programm des jazzig-sakralen Klang-Chamäleons.
Josef Ametsbichler leitet seine EBE-Jazz-Bigband entspannt im Sitzen, macht keine große Show um sich und sein Dirigat und lässt die Musik sprechen. Die Bigband groovt und swingt, treibend oder entspannt, und hat in puncto Zusammenspiel und Präzision im Vergleich zum Juli-Auftritt im Ebersberger Café Mala noch mal deutlich zugelegt. Klanglich und tontechnisch hat man sich viele Gedanken gemacht. Die anspruchsvolle Beschallung ist gelungen, die Band klingt ausgewogen und angenehm. Das pulsierende, für den Jazz sehr wichtige Ride-Becken bekommt durch dezente Verstärkung eine gute Definition. Selbst Bass und Kickdrum funktionieren in der Kirche. Der Flügel klingt transparent, gut balanciert mit erstaunlich klarer Attack für den riesigen Raum und profitiert ebenso von einer gut umgesetzten Mikrofonierung. Der Sound ist auch in der Mitte der Kirche noch gut, nimmt aber nach hinten mit dem Direktschall ab. Trotzdem beeindruckend, wie viele Details und musikalische Nuancen in der fordernden Kirchenakustik durchkommen. Mitunter entstehen sogar ungewöhnliche Effekte: Lauschte man mit geschlossenen Augen dem Vortrag der Sopranistin, tönte der einsetzende Chor durch den umschließende Charakter des Kirchenraums fast so, als ob die Gemeinde mit in den Gesang einstimmt.
Dem Publikum fällt es wiederholt nicht leicht, der Bitte nachzukommen, sich die Energie des Applauses bis zum Ende aufzusparen. In der "Freedom-Suite" bricht er dann doch einmal aus; impulsiv, echt und befreiend. Die Kraft der Darbietung kommt an und der sichtlich große Aufwand wird honoriert, was das Publikum nach gelungenem Spannungsbogen und fulminantem Finale eines kompakten und sehr kurzweiligen Konzertes auch mit stehendem Beifall zeigt. Neben anderen Klassikern des Jazz sind Ellingtons "Sacred Concerts" sicherlich Stücke, die man sich - ganz egal wie gläubig - sehr gut auch mal zuhause anhören kann. Und sei es nur alleine wegen des meisterlichen Umgangs mit den verfügbaren Klangfarben. Wessen Interesse nun geweckt ist, dem sei die nächste Aufführung durch die große Ebersberger Formation am Freitag, 29. November, in München (Himmelfahrtskirche Sendling) ans Herz gelegt - nah, aber ganz frei.