Süddeutsche Zeitung

Festival EBE-JAZZ 19:Wilde Figuren am Himmel

Lesezeit: 3 min

Beim fulminanten All-Stars-Konzert im Alten Speicher zeigt EBE-JAZZ noch einmal, warum es auf Künstler und Publikum magnetisch wirkt

Von Ulrich Pfaffenberger, Ebersberg

Mit einem Doppelkonzert im Alten Speicher erlebte das Festival EBE-JAZZ 2019 noch einmal einen Auftritt internationaler Musiker, die in ihrem Genre zu den unbestrittenen Größen zählen. Sambop Paulo Morello's Brazil Quartet und das Liebman/Brecker/Copland Quintet trieben das Publikum im vollbesetzten Saal zeitweise an den Rand der Ekstase und hinterließen bei der technischen wie bei der künstlerischen Wertung das unbestimmte Gefühl, dass sich ein solcher Auftritt so schnell nicht wiederholen oder gar toppen lassen wird.

Dabei verzichteten beide Ensembles auf die klassischen Ohrschmeichler, servierten vielmehr aus ihrem Repertoire eine Reihe von Titeln, die die ganze Konzentration der Zuhörer forderten. Genauso verlangten sie aber die Bereitschaft, sich ohne Vorbehalte auf die angebotene Interpretation einzulassen - mit dem durchgängig gehaltenen Versprechen erstklassiger Qualität als Gegengeschäft.

Wobei im ersten Set das Brazil Quartet das eingängigere Konzept anbot, schlüssig in der südamerikanisch lockeren Leichtigkeit, mit frechen und leidenschaftlichen Soli, aus der Tiefe des Herzens beim Gitarristen Lula Galvao, aus fast schon spiritueller Eleganz beim Bassisten Dudu Penz und aus rhythmischem Tiefsinn beim Schlagzeuger Mauro Martins. Ebenfalls an der Gitarre ließ Bandleader Paulo Morello keinen Zweifel, wie tief die Samba-Kultur in seinen Genen verankert ist und sich in seinem kompositorischen Schaffen der Welt mitteilen soll.

Hier jammen Dave Liebmann, Randy Brecker und das Copland Quintet featuring Drew Gress & Joey Baron.

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Billy Hart gehört zu den ganz Großen des Jazz.

Auch wenn im Bandnamen "Sambop" der Bop als zweiter Stil verankert ist, geht das Quartett zum Glück damit weder programmatisch um noch drängt es auf Gleichsetzung. Man braucht sich nur ihre Körperhaltung anzusehen, die Bewegung auf den Griffbrettern, die Lust an der Tanzbarkeit ihrer Melodien, um zweifelsfrei zu erkennen, wohin ihre Zuneigung tendiert. Der Bop leistet dort seinen Beitrag, wo es ums Tempo geht, wo die Dynamik steile Kurven nimmt, wo Ausreißer aus dem Erwartbaren für Nervenkitzel sorgen. Weshalb diese Spielart im Auftritt auch dann richtig Fahrt gewinnt, als Morello einen Gast auf die Bühne bittet, der mit seiner Trompete einen Vorgeschmack auf das gibt, was im zweiten Set ansteht: Randy Brecker. Das gibt dann Sambopbopbop intensiv.

Nach der Pause dann der Auftritt dreier verblüffender Solisten, die sich zu einer Geschlossenheit formieren, die eigentlich unmöglich ist. Dave Liebman zum Beispiel. Er ist der Kunstflieger im Ensemble. Unaufhaltsam, mit minimaler Körpersprache, fast von akademischer Nüchternheit spielt er dahin - und zeichnet im Kontrast zu seinem Anblick spektakuläre und wilde Figuren an den Himmel, saxofonistische Kapriolen, flötistisch elegante Figuren. Fast senkrecht steigen seine Melodien über die Wolken hinauf, reizen im erdwärts stürzenden Korkenzieher die Schwerkraft aus und leveln, kurz vor den Grundberührung, mit einem Augenzwinkern in einen Gleitflug aus, wie er sanfter kaum sein könnte, ohne "Stillstand" zu heißen. Es sind Ausnahmemusiker wie er, die man in dieser Qualität nur zu hören bekommt, wenn das Umfeld stimmt: die Mitspieler, das Programm, die Bühne, die Atmosphäre im Saal. So etwas gibt es nur live und so etwas gibt es auch in der Jazz-verwöhnten Region Ebersberg-Grafing nur zu Festivalzeiten.

Ganz anders Randy Brecker, Trompeter von Weltruf. Lakonisch seine Einwürfe, vergleichbar mit den zwei, drei Worten, mit denen ein kluger Kopf einer aufgeheizten Diskussion die Schärfe nimmt. Der nominelle Bandleader des Abends ist ein Graveur. Zieht akkurate Linien - stets ein paar Sekunden über das vermutete Ende hinaus, stanzt komplexe Figuren in Sekundenschnelle in die Melodie und zieht sein Instrument so überraschend zurück, dass man noch Takte später darüber nachsinnt, wie er in so kurzer Zeit so prägenden Eindruck hinterlassen konnte.

Noch einmal anders der Mann am Klavier, Mark Copland, der einem vorkommt wie einst Michael Collins, der an Bord von Apollo 11 um den Mond kreiste, während Armstrong und Aldrin gelandet waren: Einerseits der über allem schwebende Solist, dessen Flug auf den Tasten in einem eigenen Universum stattfindet; andererseits der alles miteinander verwebende Teamplayer, ohne den die beiden nicht zur Erde zurückkommen. Man ist hin und hergerissen, welchem der beiden Talente man mehr Respekt entgegenbringen möchte.

Um im astronomischen Bild zu bleiben: Dass am Samstag ein veritables Quintett auf der Bühne stand, das eine vorzügliche Ensembleleistung vollbrachte, ist der schier überirdischen Größe dieser drei gegensätzlichen Talente zuzuschreiben, die einander umkreisten wie Planeten die Sonne. Darunter darf aber nicht die Anerkennung für den Bassisten Drew Gress und Schlagzeuger Joey Barron leiden, von denen jeder für sich in anderer Konstellation eine herausragende Rolle gespielt hätte, in dieser Zusammensetzung aber sich mit dem Prädikat "perfekter Ergänzungsspieler" begnügen müssen - wobei die Signale auf der Bühne auf Gleichberechtigung standen, nicht auf Hierarchie. Auch das macht erstklassigen Jazz aus. Dafür erstklassigen Applaus, reichlich.

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Quelle:
SZ vom 21.10.2019
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