Der Abend beginnt mit dem Ende einer kleinen Odyssee: Christian Ude, ehemaliger Oberbürgermeister von München, hat die Tücken und Freuden der S-Bahnstrecke nach Ebersberg am eigenen Leib kennenlernen dürfen. Als er das Foyer des Landratsamtes Ebersberg betritt, wird er bereits erwartet. "I kumm ja scho, i kumm ja scho", sagt er und lacht. An diesem Abend ist der 75-Jährige als Schirmherr des Münchner Vereins Nala eingeladen, der sich gegen Genitalverstümmelung einsetzt. In einem Gespräch mit Fadumo Korn, Gründerin des Vereins, soll er von den Eindrücken seiner Reise nach Burkina Faso im Januar erzählen.
Der Abend ist der dritte Teil einer Veranstaltungsreihe, welche das Katholische Kreisbildungswerk Ebersberg (KBW) gemeinsam mit der Katholischen Erwachsenenbildung Bayern (KEB) München und Freising sowie den Vereinen Donnamobile und Nala organisiert hat.
Warum Burkina Faso? Fadumo Korn, die 1964 in Somalia geboren und im Alter von sieben Jahren selbst beschnitten wurde, schwärmt von der Herzlichkeit der Burkiner: "Ein Sprichwort sagt: Wenn du einem Menschen aus Burkina Faso auf den Fuß trittst, wird er sich entschuldigen, dass sein Fuß unter deinem stand." In dem westafrikanischen Land steht das Nala-Haus, das ein Ort der Aufklärung und der Begegnung vor allem für Frauen und Mädchen sein soll, erklärt Korn. Zu dem Gebäudekomplex gehört ein Hektar Land, es wird Salat gepflanzt, Hühner werden gehalten, es gibt eine Schule und einen Kindergarten. Ein großes Ziel des Projektes ist es, die Menschen vor Ort über die Risiken einer Beschneidung aufzuklären, die für viele Mädchen verheerende Folgen hat.
Und das hat Fadumo Korn am eigenen Leib erfahren. Die körperlichen Folgen ihrer Beschneidung, erzählt sie, seien Teil ihres Lebens. Sie würden ihre Beziehung, ihre Weiblichkeit, ihr Muttersein beeinflussen. Wenn ihr Menschen begegneten, die die Folgen von Genitalbeschneidung anzweifelten, würde sie ihre eigene Geschichte erzählen und auf ihren Körper verweisen: Eine Rheumaerkrankung, möglicherweise eine Spätfolge der Beschneidung, verkrümmt Korns Finger und Zehen.
Dass nun ausgerechnet Christian Ude, ehemaliger SPD-Politiker, Kabarettist und Autor, zum Aktivisten gegen weibliche Genitalverstümmelung geworden ist, hängt mit einer folgenreichen Verwechslung zusammen. Während seiner Zeit als Oberbürgermeister rief der Schauspieler Karlheinz Böhm, der sich zeitlebens für die Menschen in Äthiopien engagierte, in Udes Büro an. Weil er einen Namen hatte, der dem eines damals hochrangigen Politikers zum verwechseln ähnlich war, bekam er schnell einen Termin, erzählt Ude schmunzelnd. Die Gespräche mit Böhm seien sein erster Kontakt mit dem afrikanischen Kontinent gewesen. Auch sei er seit vielen Jahren stolzer "Schutzpapa" einer Frau aus Somalia, die bei seiner Frau um Unterstützung gebeten hätte.
"Eine Ausgeburt männlicher Herrschsucht und Dominanz", nennt Ude die Praxis
Für die Praxis der Genitalverstümmelung, bei der Mädchen Teile der Klitoris entfernt werden, findet Christian Ude klare Worte: "Eine Plage der Menschheit, nur aus Dummheit in die Welt gesetzt", sagt er, und: "Die, die operieren und beschneiden, sind Frauen. Ganz sicher ist das aber eine Ausgeburt männlicher Herrschsucht und Dominanz." Ude warnt jedoch davor, das Ritual, das mehrere tausend Jahre alt ist und keinerlei medizinische Gründe hat, als religiösen Wahn abzutun. "Der Islam kann dafür nichts", sagt er. Auch in anderen Religionen würden Beschneidungen stattfinden.
Besonderen Eindruck auf seiner Reise durch Burkina Faso habe ein Theaterstück hinterlassen, das die Kinder im Nala-Haus für die europäischen Besucher aufgeführt hätten. Darin hätten die Kinder gezeigt, wie eine Beschneidung in einem Dorf ablaufe - und wie die Beschneiderin schließlich von den Kindern verjagt würde. Ein starkes, positives Zeichen, findet Ude: "Ihr seid im Recht, ihr sollt euren Körper verteidigen!" Er betont, dass man das Thema weibliche Genitalverstümmelung nicht isoliert betrachten könne - "sondern Gewalt gegen Mädchen, nur weil sie Mädchen sind". Dazu gehörten etwa auch die Anschläge, Verschleppungen und Zwangsheiraten durch die islamistische Terrororganisation Boko Haram.
Das jahrelange Engagement von Nala in Burkina Faso trägt trotz zweier Jahre pandemiebedingter Einschränkungen Früchte: Seit der Verein dort tätig ist, hat sich die Beschnittenen-Rate von 87 Prozent auf 66 Prozent der Mädchen und Frauen reduziert. Das Ziel von Fadumo Korn und ihrem Team ist es, die Beschneidungen weiterhin zu bekämpfen: Erst wenn mehr als die Hälfte der Frauen aufgeklärt sind und nicht beschnitten werden, so ihr Kalkül, kann ein echter gesellschaftlicher Wandel in Burkina Faso stattfinden.