Fackelwanderungen:Klirrende Schwerter im Feuerschein

Thomas Warg erzählt auf seinen Fackelwanderungen entlang der Ebrach Geschichten aus dem Mittelalter. Nicht jede Anekdote muss wahr sein - der Stadtführer schafft es aber, dass es sich in der Dunkelheit anfühlt, als sei man mittendrin

Von Annalena Ehrlicher, Ebersberg

Eiskalt pfeift der Wind um die Wartenden, die sich trotz zweistelliger Minustemperaturen auf dem Parkplatz des Klostersees zusammendrängen. Eine Fackelwanderung in Richtung Egglburger See, organisiert von Stadtführer Thomas Warg, ist der Anlass des Treffens. Die Teilnehmer, Klienten der Offenen Behindertenarbeit des Roten Kreuzes, trudeln in Grüppchen ein. Thomas Warg steht im Kreis, den Hut tief in der Stirn, Zigarette in der rechten Hand - fast wie ein Ebersberger Indiana Jones, einen, den man sich als Führer in einer eisigen Nacht wünscht. Die Teilnehmer sind schnell beim Du: Wenn der Wind so bittlich kalt ist und man eine 90 Minuten Wanderung in der Dunkelheit vor sich hat, bleibt keine Zeit für Höflichkeitsfloskeln.

Um die Wartezeit zu überbrücken, holt Warg Fackeln aus dem Kofferraum seines Wagens und verteilt sie an die Teilnehmer. "Wo sind die Raucher? Wir brauchen Feuerzeuge!", ruft er und überprüft mit schnellem Blick, ob jeder eine Fackel bekommen hat. Wie Verschwörer wirken die dick vermummten Gestalten, die im Kreis stehend ihre Fackeln entzünden. "Ich habe lieber die Hände frei, falls die Geister kommen", scherzt einer.

Die Vorsichtsmaßnahme ist auch in Anbetracht der Tatsache, dass der Weg entlang der Ebrach von Eis bedeckt ist, nicht ganz unvernünftig. Und was die Geister angeht - zwar ist nicht noch nicht Mitternacht, sondern erst Nachmittag, aber immerhin: Die Nachtwanderung findet am Freitag, den 13. statt, ein Unglückstag, zumindest im Volksmund. "Aber das ist nur Aberglaube", erklärt Florian beim ersten Stopp am Klosterseeufer, "in Italien hat die Zahl 17 dieselbe Bedeutung." Florian ist Wargs "kongenialer Führer", wie dieser sagt. "Obwohl ich Historiker bin, hat mich Florian bei der letzten Führung ganz schön ins Schwitzen gebracht", erzählt er. Die beiden haben die Gelegenheit für einen Wettbewerb genutzt: "Wir haben im Wechsel die bayerischen Könige aufgezählt - Florian kennt die im Schlaf", sagt Warg.

Fackelwanderungen: In dieser Januarnacht führt Thomas Warg elf Fackelträger bei zweistelligen Minustemperaturen an der Ebrach entlang.

In dieser Januarnacht führt Thomas Warg elf Fackelträger bei zweistelligen Minustemperaturen an der Ebrach entlang.

(Foto: Christian Endt)

Als alle bereit sind, schreitet der Stadtführer voran - die elf Teilnehmer folgen mit den drei Mitarbeitern der Offenen Behindertenarbeit. Nicht alle sind mit dem richtigen Schuhwerk gekommen, weshalb bereits nach wenigen Metern das große Rutschen losgeht. Wer eine Fackel trägt, muss zusätzlich aufpassen, nicht den Vordermann in Brand zu setzen. "Dann wär's uns nicht mehr kalt", sagt Warg.

Still wird es, sobald er mit tiefer Bassstimme Fakten und Mythen aus Ebersberg erzählt. Dass der Klostersee von Mönchen als Fischweiher genutzt wurde, ist den meisten bekannt. Für mehr Belustigung sorgt passenderweise die "Gesellschaft zur Erheiterung", die sich dafür eingesetzt hat, den Klostersee zu einem Badesee zu machen. Die, so Warg, "züchtigen" Umgangsformen im Damenbad "Zur immerwährenden Hoffnung" ziehen das ein oder andere "Oh je" nach sich.

Einige schlitternd und wankend überbrückte Meter weiter nimmt sich der Stadtführer einen Moment, um über die Ertrunkenen zu sprechen, die im See ihr Leben ließen. Obwohl die Stimmung unter den Teilnehmern auch im Anschluss an die tragischen Ausführungen nicht ernstlich getrübt ist, fällt doch eines auf: Der gesamte Zug verlagert sich - dem Sog des Sees offensichtlich misstrauend - auf die rechte, dem See abgewandte Seite des zugeschneiten Weges. "Komm, ich geh zwischen dir und dem Wasser", bietet Thomas heldenhaft an, "dann kann dir nichts passieren." Eingehakt und aufeinander gestützt zieht die gesammelte Mannschaft weiter und obwohl es zu mehreren Stürzen kommt, müssen am Ende der Wanderung weder Verluste beklagt noch Verletzungen behandelt werden.

Fackelwanderungen: Wichtig bei der Wanderung: Man sollte sich sehr warm anziehen und nicht vergessen, dass manche Schauergeschichte nie wirklich passiert ist.

Wichtig bei der Wanderung: Man sollte sich sehr warm anziehen und nicht vergessen, dass manche Schauergeschichte nie wirklich passiert ist.

(Foto: Christian Endt)

Der Weg entlang der Ebrach bietet zwischen Bäumen Schutz vor dem eisigen Wind, was trotz der Vorbehalte gegen den Forst - Stichwort: Weiße Frau - gerne angenommen wird. Immer wieder wartet Warg auf die langsameren Teilnehmer und überbrückt die Zeit mit einem schier unerschöpflichen Repertoire aus Geschichten und Anekdoten. Florian überwacht unterdessen, "dass alles stimmt", was der Stadtführer erzählt.

An einer geschützten Stelle packt Warg die unterschiedlichen Varianten über den Mythos der Weißen Frau aus. "Eigentlich ist sie aus Liebeskummer gestorben", flüstert Warg. "Ich kenne alle Geschichten über Ebersberg, weil ich hier zur Schule gegangen bin", fügt er hinzu. Auch Isabel hat mit der Geisterfrau eine, so kann man wohl sagen, persönliche Beziehung. "Mir tut die Frau leid und ich würde ihr gerne helfen", verrät sie. Vor allem die männlichen Teilnehmer stimmen jedoch eher Thomas Warg zu, der seine Erzählung mit den Worten schließt: "Wer mir das jetzt alles glaubt, ist selber schuld."

Gerade in dieser Nacht ist es jedoch allzu leicht, dem Stadtführer alles zu glauben: Fast meint man, das Klirren der Schwerter aus dem Dreißigjährigen Krieg zu hören, während er von den Schwedenüberfällen erzählt. Die durch Ebersberg führende Römerstraße, die keltischen Krieger mit ihrer Vielzahl an Göttern - im Licht der Fackeln scheint alles möglich.

Als sich am Ende der Fackelwanderung alle durchgefroren um die Tische des Seecafés drängen, leuchten die Augen. Nur bei einem sind sich alle einig: Die nächste Nachtwanderung findet im Sommer statt.

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