Süddeutsche Zeitung

Landkreis am Limit, Folge 1:Extrempunkt Nord: Die BMW-Enklave hinter Stacheldraht

Den nördlichsten Punkt im Landkreis Ebersberg erreicht nur, wer Verletzungen in Kauf nimmt und das Gesetz bricht. .

Von Valentin Tischer, Pliening

Hier geht's nicht weiter: Das haben alle Punkte gemeinsam, die die SZ Ebersberg in den folgenden Tagen einer kleinen Serie vorstellt. Denn es handelt sich um geografische Extreme - in Teil I geht es um den nördlichsten Punkt im Landkreis, der sich auf Plieninger Gemeindegebiet befindet:

Auf dem Weg in den äußersten Norden des Landkreis Ebersberg begegnet man einer Geräuschkulisse, die kaum unterschiedlicher sein könnte. Gezwitscher und Geschnatter von Wasservögeln wechseln sich mit Reifenquietschen und Motorengeheul ab. Auch das ein oder andere Flugzeugtriebwerk macht Lärm.

Mit 48 Grad 13 Minuten 34 Sekunden nördlicher Breite und 11 Grad 45 Minuten 53 Sekunden östlicher Länge liegt der nördlichste Punkt des Landkreis Ebersberg auf dem Gelände des BMW-Werks 1.9, einer Teststrecke der Firma. Ein ungefähr 2,8 Hektar großes Stück des Landkreises Ebersberg ragt am Nordufer des Speichersees in den Landkreis Erding hinein. Bis zum äußerten Rand des Landkreises vorzudringen, ist nicht möglich. Über den Ort ist ein Mantel der Geheimhaltung gelegt, nur wenige können Zugang zu ihm bekommen.

Warum der Landkreis Ebersberg eine solche Exklave nördlich des Sees hat, beantwortet Anton Groß vom Vermessungsamt in Ebersberg mit einem Blick in die Geschichte. "Der Speichersee ist jünger als die Gemeindegrenzen", so Groß. Die Katasteraufstellung habe schon um 1910 begonnen, der See sei aber erst 1928 geflutet worden, erläutert der Vermessungsbeamte. "Früher waren das ja alles Felder", sagt Groß. Die tiefsten Stellen des Gemeindegebiets Pliening und damals noch Gelting wurden unter Wasser gesetzt, nur die kleine Exklave nicht. Warum dies so ist, weiß Groß nicht. Wahrscheinlich sei es Zufall gewesen, vermutet er. Die Grenzen der Gemeinden und des Landkreis veränderten sich nicht mehr, erklärt er.

"Eine Rarität schlechthin"

Der Weg in den Norden führt von der Kreisstadt Ebersberg aus über Poing und Grub nach Landsham. Dort geht es entlang der Speicherseestraße über den Ortsteil Moos in Richtung des Sees. Rund einen Kilometer nach dem Ortsausgang mündet die Straße in einen Schotterweg. Nur Anlieger dürfen hier mit dem Auto fahren. Für alle anderen heißt es laufen oder idealerweise auf das Fahrrad umsteigen.

Die nächsten eineinhalb Kilometer geht es über den Damm, der den Speichersee in einen West- und einen Ostteil trennt. Der Weg über den Damm ist auf beiden Seiten von Wasser umgeben. Der künstlich geschaffene See bietet Naturfreunden vor allem eines: zahllose Wasservögel. Schon im Frühling sind Gesang und Geschnatter vieler verschiedener Arten zu hören. Für Richard Straub, Vogelbeobachter und Kreisvorsitzender des Landesbundes für Vogelschutz, ist der Speichersee ein besonders interessanter Ort.

Immer wieder bietet die LBV-Kreisgruppe eine Führung zum See an. "Dort haben wir beim letzten Mal einen Zwergsäger gesehen, eine Rarität schlechthin", sagt Straub. "Sonst sieht man da regelmäßig verschiedene Entenarten, Schwäne oder Graureiher", erklärt er weiter. Zum Beobachten der Vögel sollte man auf jeden Fall ein gutes Fernglas dabei haben. "Die Wasservögel sind meistens weit weg", sagt Straub.

Auf Schildern am Gelände wird man angewiesen, den Vögeln nicht zu nahe zu kommen. Das Gleiche gilt für die Vogelbeobachter. Wenn sie konzentriert mit Fernglas und Kamera dastehen, sollte man nicht versuchen eine Konversation zu beginnen. Mit Nachdruck bekommt man zu verstehen, dass man störe und sich doch bitte entfernen solle.

Es fehlen 200 Meter

Am nördlichen Ende des Dammes ist auch das Ende des Landkreises Ebersberg nicht mehr weit. Nur rund 200 Meter Luftlinie ist der nördlichste Punkt entfernt. Ihn zu erreichen ist aber nicht ohne Verletzungen und Gesetzesbruch möglich. Der Weg wird versperrt von Toren, Zäunen und Stacheldraht. Die BMW-Teststrecke ist nicht mehr weit.

Der Damm, der nach Westen Richtung Ismaning führt, ist durch ein geschlossenes Tor abgeriegelt. Ein großes Schild erklärt, dass BMW diesen Bereich Montag bis Freitag aus betrieblichen Gründen sperren lässt. Nur am Wochenende, wenn auf der Strecke kein Testbetrieb herrscht, kann man den Weg passieren - zumindest in der Theorie. "Das Schild ist nur Maskerade", erzählt ein Fußgänger. Es sei fast jeden Tag am See zum Laufen und finde das Tor und den Zaun bislang immer verschlossen vor, erzählt er. Von der Stelle auf die Strecke zu sehen, ist bestenfalls nur schwer möglich. Zäune mit Sichtschutz und Bäume sollen neugierige Augen von der Strecke fernhalten.

Über einen kleinen Feldweg am Ostende der Strecke kommt man dem Punkt und der Strecke richtig nahe. Parallel zum Damm und zum Testgelände verläuft der Weg, der den Hinterlassenschaften nach zu urteilen oft von Reitern benutzt wird. Natürlich kann man hier nicht einfach zu jeder Zeit spazieren gehen. Wenn Betrieb herrscht, würde der Werksschutz einen sofort aufgreifen und als Industriespion verdächtigen. Aber am Wochenende und mit etwas Glück kann es sein, dass Tor und Tür offen stehen.

Auf rund zehn Meter kann man den Leitplanken der Strecke nahekommen. Viel weiter geht es aber nicht, denn es steht wieder einmal ein mit Stacheldraht besetzter Zaun im Weg. Trotzdem ist die Sicht auf das Gelände an keinem Punkt besser. Nach einiger Orientierung an Satellitenbildern und dem Abgleich der Koordinaten, kann man dann auch den nördlichsten Punkt des Landkreises erspähen. Ein Sammelpunkt- und ein Feuerwehrschild für den Brandfall markieren ihn ungefähr. Um den Punkt herum stehen Gebäude, deren Funktion von außen nicht erkennbar ist. Vor den Gebäuden befindet sich aber ein Parkplatz, auf dem auch einige Autos mit "Erlkönig"-Verkleidung stehen.

BMW ist an der Geheimhaltung, was die Strecke und den Betrieb betrifft, sehr viel gelegen. Nur bestimmte Mitarbeiter des Unternehmens dürfen das Gelände betreten. Eine Zugangsanfrage der Süddeutschen Zeitung wurde postwendend abgelehnt. Auch sind nicht viel mehr als die ohnehin schon öffentlichen Informationen von dem Unternehmen zu der Testeinrichtung zu bekommen. "Das Testgelände wird zur Erprobung von Fahrzeugen genutzt, die noch nicht auf der Straße sind und über die wir noch gar nicht kommunizieren. So möchten wir es auch mit dem Gelände handhaben", heißt es von einer Unternehmenssprecherin.

Die Autos, die am nördlichsten Punkt Ebersbergs stehen, sind aber mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit keine brandneuen Prototypen. Alle, auch die Erlkönige, haben eine Straßenzulassung. Mit etwas Glück kann man sie auch auf der Autobahn fahren sehen. Es ist zu vermuten, dass die richtigen Prototypen entweder gut versteckt und verschlossen in einem Gebäude der Streckenanlage stehen oder sich am Wochenende in einem Keller des BMW-Sitzes in München befinden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4417089
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 23.04.2019/koei
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.