Süddeutsche Zeitung

"Extreme Flaute":Unternehmer im Landkreis beklagen massiven Fachkräftemangel

Das Problem betrifft inzwischen alle Branchen. Potenzielle Bewerber fühlen sich häufig durch die hohen Lebenshaltungskosten in der Region abgeschreckt

Von Stella Vogl, Ebersberg

Ein 80-Jähriger am Steuer? Gab's bei Sonja Ziegltrum-Teubner durchaus schon, wenn auch nur kurzzeitig. Die IHK-Kreisvorsitzende und Geschäftsführerin der Bayerischen Blumenzentrale in Parsdorf setzt inzwischen auch auf eher ungewöhnliche Lösungen, wenn es darum geht, freie Stellen zu besetzen. Damit steht sie allerdings nicht allein da. Denn "ganz egal welche Branche", ein Problem treffe alle Unternehmer, sagt Ziegltrum-Teubner: der Fachkräftemangel.

In der Blumenzentrale mache sich dieser insbesondere bei den Verkaufsfahrern bemerkbar, erzählt die Unternehmerin. Schuld daran war die Einführung einer verschärften Führerscheinregelung: Für die Fahrt in den Siebeneinhalb-Tonnern sei der gängige Führerschein nämlich nicht mehr ausreichend. Und während früher Studenten die Ware an Kunden lieferten, sitzen nun Rentner hinter dem Steuer. Zwar werden die ehemaligen Fahrer nicht gänzlich aus dem Ruhestand zurückgepfiffen, da sie nicht für die regulären Arbeitszeiten eingestellt werden, sondern meistens als Urlaubsvertretung einspringen. Aber es sei nun mal problematisch, Fahrer unter 40 mit der geforderten Qualifikation zu finden, erzählt Ziegltrum-Teubner. Mit Blick auf die Entwicklungen der vergangenen Jahre kommt sie schnell zu der ernüchternden Erkenntnis, dass es "schon schwieriger wird".

Dienstwohnungen sollen ein Anreiz für Bewerber sein

"Der Punkt ist eben, dass es vor Ort nicht mehr viele Leute gibt, die was suchen." Um dem Trend entgegenzuwirken, seien zusätzlich zu den bereits bestehenden acht Wohnungen des Unternehmens weitere zwölf Wohneinheiten für "hoffentlich nächstes Jahr" in Planung, berichtet die IHK-Kreisvorsitzende. Dadurch sollen auch Fachkräfte angeworben werden, die sich nicht in unmittelbarer Nähe zum Arbeitsplatz befänden und gerade aus diesem Grund und aufgrund der hohen Mietpreise eine Bewerbung ablehnen.

Auch Kreishandwerksmeister Johann Schwaiger beklagt die unbezahlbaren Mieten, die ausgebildete Fachkräfte fernhielten. Schwaiger hört ebenfalls von den Obermeistern der Handwerksinnungen immer wieder, wie schwierig es ist, Fachkräfte zu finden. Erst kürzlich sei bei einer Vorstandssitzung eine "extreme Flaute" beklagt worden, sagt er. Vor allem im Lebensmittelgewerbe vom Bäcker- bis zum Metzgerhandwerk gebe es zahlreiche unbesetzte Stellen. Die vergangenen Jahre seien ein einziges "Auf und Ab" gewesen : "Jetzt sind wir bei einem sehr großen Tief, dass wir Fachkräfte suchen bis zum Gehtnichtmehr."

Nicht nur durch die Bereitstellung oder durch die Vermittlung von Wohnungen versuche man dagegen anzukämpfen. Doch auch die Öffentlichkeitsarbeit, sei es auf Berufsmessen oder in den Medien, zeige bisher keinen nennenswerten Erfolg: "Nicht einmal das funktioniert zurzeit." Was den ehemaligen Konditormeister aber besonders ärgert, sind die unbesetzten Praktikumsstellen im Landkreis Ebersberg. Die ausbleibende Resonanz gebe einen alarmierenden Vorgeschmack auf die Zukunft. Auch aus diesem Grund erhofft sich Johann Schwaiger von der Bildungspolitik mehr Engagement: "Schon in der Schule sollte man die Berufe näherbringen." Kritik übt er vor allem an dem gravierenden Imageunterschied zwischen handwerklicher Ausbildung und akademischen Werdegang.

Dem Hotel- und Gastronomiegewerbe ergeht es ganz ähnlich. Feststellungen wie "eigentlich bin ich ganz zufrieden" sind eine Seltenheit. Aber genau das sagt Korbinian Kugler, auch wenn er damit eine Ausnahme bleibt. Der stellvertretende Kreisvorsitzende des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbands und Geschäftsführer der Kugleralm in Ebersberg ist einerseits erleichtert über die vergleichsweise gute Besetzung in seiner Wirtschaft. Andererseits sieht er nicht allzu viel Grund für Euphorie, denn "die Entwicklung geht deutlich ins Negative". Es werde niemandem mehr freigestellt, ob er fünf oder 13 Stunden arbeiten wolle, die Einhaltung der Arbeitszeiten müsse gewährleistet werden. Daher könne es aufgrund mangelnder Fachkräfte durchaus passieren, dass eine Hochzeit nicht bis spätnachts ausklingt, sondern vorzeitig beendet werden muss. So ist es nicht verwunderlich, dass auf geschäftlichen Sitzungen der Kreisstellen immer wieder das gleiche Thema im Mittelpunkt steht: "Mitarbeiter und Personal stehen ganz oben auf der Agenda."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4266067
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 27.12.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.