Süddeutsche Zeitung

Expertin aus Ebersberg:"Wir stehen noch ganz am Anfang"

Klimaschutzmanagerin Lisa Rütgers erklärt, was im Landkreis bis 2030 noch getan werden muss

Von Karin Pill, Ebersberg

Lisa Rütgers ist die Klimaschutzmanagerin des Landkreises Ebersberg. Die 35-Jährige hat im Bereich Nachhaltigkeit an einer englischen Universität promoviert, zuvor war sie einige Jahre international als Projektmanagerin in verschiedenen Organisationen im Bereich Klimaschutz tätig.

SZ: Wie beurteilen Sie die Situation im Landkreis in Sachen Energiewende?

Lisa Rütgers: Wir haben ein gutes, wenn auch ehrgeiziges Ziel im Landkreis, nämlich bis 2030 nur noch Strom und Wärme aus erneuerbaren Ressourcen zu erzeugen. Und auf diesem Weg stehen wir noch ganz am Anfang, obwohl das Ziel bereits 2006 beschlossen wurde. Trotzdem ist die Absicht unseres Landkreises ehrgeiziger und besser als die Absichten vieler anderer Landkreise oder auch Bayerns und des Bundes. Bei deren Strategien ist es zu spät, die Erderwärmung von über 1,5 Grad noch zu vermeiden. Wir haben einen Landrat, dem Klimaschutz wichtig ist.

Aber um das Klimaziel unseres Landkreises zu erreichen, müssen wir jetzt Vollgas geben. Stromerzeugung durch Photovoltaik und Wind, aber auch Wärmebeschaffung über Geothermie, Solarthermie und Wärmepumpen: auch hier stehen wir noch ganz am Anfang. Wir müssen deutlich mehr Anlagen ausbauen in den kommenden Jahren, um den Klimawandel aufzuhalten und die schlimmsten Folgen zu vermeiden. Obwohl Klimaschutz schon einen guten Stellenwert bei uns hat, ist es doch immer noch eine freiwillige Aufgabe für den Landkreis. Wenn dann Budgetknappheit vorherrscht, wird hier gerne mal gespart. Klimaschutz sollte aber eine Pflichtaufgabe auf Kreisebene sein. Denn dass Klimawandel eine akute Bedrohung ist, sehen wir ja gerade überall.

Was passiert, wenn beim Klimaschutz weiter nichts passiert?

Das Begrenzen der Erderwärmung um 1,5 Grad würde das Risiko verringern, dass Kipppunkte im Erdklimasystem unkontrollierbare Kettenreaktionen auslösen. Wenn das nicht passiert, werden etwa Korallenriffe weiter sterben und der Permafrost schmelzen. Der Temperaturanstieg verursacht eine Kettenreaktion: Die Meeresströmungen könnten zum Erliegen kommen, Winde und somit Wetterereignisse verändern sich, die Nahrungskette wird beeinflusst. Zu denken, dass ein Abholzen des Amazonas keine Auswirkungen auf uns hier hat, ist falsch. Bei uns könnte der Temperaturanstieg, abgesehen von Extremwetterereignissen, auch Auswirkungen auf die Biodiversität, die Böden, die Wälder, den Grundwasserpegel, die Landwirtschaft haben. Unser Wohlstand würde nicht mehr der sein, der er heute ist. Das sind keine schönen Aussichten, und ich würde sie gerne verhindern.

Wir stellen die Gemeinde Bruck als einen der Vorreiter bei der Energiewende im Landkreis dar. Welche Rolle spielt die Gemeinde in Ihren Augen?

In Bruck steht das einzige Windrad im Landkreis. Das ist auch gerade deshalb ein schönes Beispiel, weil es durch die Eigeninitiative von Bürgern entstand. Das ist absolut vorbildlich. Man sieht dort auch, dass ein Windrad sich für die Betreiber wirtschaftlich rentiert. Leider reicht jedoch ein einziges Windrad nicht aus. Eigentlich brauchen wir in jeder Gemeinde mindestens ein Windrad, 26 im Landkreis insgesamt.

Welche Rolle spielen Biogas-Anlagen bei der Energiewende?

Biogasanlagen sorgen für eine Grundlast an Versorgung. Man kann mit ihnen sowohl Strom als auch Wärme erzeugen. Im Idealfall wird eine Biogasanlage nur mit Reststoffen befeuert. Toll wäre es, wenn nur Biomüll in die Anlagen käme. Aber soweit ich weiß, ist das überwiegend nicht so. Viele der Biogasanlagen laufen mit Mais und anderen Stoffen, die extra dafür angebaut werden. Hierfür werden Flächen benutzt, die auch für den Anbau von regionalen Lebensmitteln genutzt werden könnten. Zudem ist Mais eine Monokultur, das ist nicht gut für die Böden und die Biodiversität. Gerade die großen Anlagen sondern auch Stoffe ab, die nicht ins Grundwasser sollen. Deshalb müssen sie alle paar Jahre erneuert werden. Betrachtet man den Flächenverbrauch pro erzeugter Energieeinheit, so schneidet Biomasse am schlechtesten und Windenergie am besten ab.

Was können die Landkreisbewohner zuhause und vor der Haustüre für den Klimaschutz tun?

Den Klimawandel können wir nur gemeinsam aufhalten und jeder kann etwas dazu beitragen. Das Ziel ist, möglichst klimafreundlich zu leben, also wenig Tierprodukte zu essen, regional und ökologisch zu konsumieren, mehr Rad, Bus und Bahn als Auto zu fahren und im Flugzeug zu fliegen, Müll zu vermeiden - Verpackungsmüll sowie Lebensmittelverschwendung - , sanieren, um den Energieverbrauch zu reduzieren und erneuerbare Energie-Anlagen zur Energiegewinnung nutzen. Und natürlich Klimaschutz bei der Bundestagswahl berücksichtigen, also eine Partei wählen, die eine sinnvolle Klimaschutzagenda vorweist.

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Quelle:
SZ vom 24.09.2021
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