Erzähler, Pazifist, Weltbürger:Der zu Unrecht Vergessene

In Ebersberg erfährt der Schriftsteller Kurt Heuser (1903 bis 1975) die Anerkennung, die ihm gebührt. Dank vieler Unterstützer entstehen eine Ausstellung und ein Buch zu seinem Leben und Werk

Von Anja Blum

Alle sind sie gekommen. Die weit verstreuten Freunde und Verwandten, Weggefährten, viele an Literatur und Geschichte Interessierten - und "Kaspis Kinder". So bezeichnen sie sich scherzhaft selbst, jene Ebersberger, die vor 30, 40 Jahren ein- und ausgingen im Heuser-Haus, einem alten Bauernhof, der ihnen zu Heimat geworden war. Eine ganze Generation der Stadt, so scheint es, ist mit und bei dem "Menschenfreund" Kaspar Heuser erwachsen geworden. An Kicker und Billardtisch, zwischen stapelweise Papier, inmitten afrikanischer Kunst. In wessen Refugium sie da gelandet waren, das ahnten die Jugendlichen damals freilich nicht. Sie genossen einfach die kreative, freigeistige Atmosphäre dort. Nicht mal vor ein paar Jahren, als einige der Heuser-Kinder halfen, das Haus vor seinem Abriss auszuräumen, war klar, dass sie hier einen literarischen und historischen Schatz in den Händen hielten. Umso größer nun die Neugier.

Der ehrwürdige Sitzungssaal im Ebersberger Rathaus ist also rappelvoll, bis zur Tür hinaus drängen sich die Menschen. Sie alle wollen erfahren, wer da einst in Ebersberg lebte, hier ruht in einem namenlosen Grab: Kurt Heuser, vermutlich die schillerndste Persönlichkeit der jüngeren Geschichte der Stadt, ein Schriftsteller, dessen Leben und Wirken nie und nimmer in zwei Sätzen erzählt werden kann. Wie vielen anderen Zeitgenossen haben die Umstände - zwei Kriege, Diktatur und das Zerbrechen aller sozialen und beruflichen Zusammenhänge - es ihm nicht erlaubt, ein Leben aus einem Guss, eine kohärente Biografie hervorzubringen.

Erzähler, Pazifist, Weltbürger: Von "unserem versinkenden Erdteil" schreibt Kurt Heuser 1944 als Widmung in seinen dystopischen Roman "Abenteuer in Vineta".

Von "unserem versinkenden Erdteil" schreibt Kurt Heuser 1944 als Widmung in seinen dystopischen Roman "Abenteuer in Vineta".

(Foto: Christian Endt)

Vier Menschen sprechen am Donnerstagabend in Ebersberg zum Publikum: Bürgermeister Walter Brilmayer, Literaturprofessor János Riesz, Heusers zweiter Sohn Konstantin Ploberger und Monika Faber, die Heuser lang in inniger Freundschaft verbunden war. Der Bürgermeister bringt die Bedeutung des Abends auf den Punkt, indem er ihn als den Höhepunkt aller bisherigen Ausstellungen im Rathaus unter der Regie Antje Berberichs - etwa 300 an der Zahl - bezeichnet.

Was dann folgt, ist streckenweise wenig stringent, da viele Emotionen die Ansprachen begleiten. Der Professor verliert sich vor lauter Begeisterung für seinen neuen Forschungsgegenstand in so manchem Detail, der Sohn ringt angesichts der Tatsache, dass sein Halbbruder Kaspar "das alles nicht mehr erleben darf", mit den Tränen, und auch die alte Freundin ist von der Erinnerungsarbeit sichtlich bewegt. Doch was macht das schon? Alles in allem ist dies eine tief berührende Veranstaltung, die neugierig macht - auf Kurt Heuser, sein Leben und sein Werk.

Kurt Heuser Ausstellung EBE

Kurt Heuser verbrachte seineletzten Jahre in Ebersberg.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Und in all das kann man nun endlich eintauchen, dank Berberich, Riesz und Gabriele Reinmold. Die Lebensgefährtin Kaspar Heusers hat dessen großen Wunsch, dem Vater zu später Anerkennung zu verhelfen, mit ihrer Nachlass-Initiative Realität werden lassen. Noch bis Ende November ist im Ebersberger Rathaus eine Ausstellung zu Kurt Heuser zu sehen, die viele Fotos, Dokumente, Malerei, Zitate und afrikanische Kunst zeigt, dazu gibt es einen großartigen, 200 Seiten dicken Katalog; ach was! Ein Buch, in dem Riesz all seine Erkenntnisse über diesen bislang vergessenen Autor darlegt und ihn vor allem befreit von dem bisherigen Vorwurf, ein Nazi-Künstler gewesen zu sein.

1903 in Straßburg geboren, flieht der junge, rebellische Kurt Heuser vor dem herrischen Stiefvater aus Berlin nach Afrika, versucht sich im Busch von Mosambik als Baumwollpflanzer. Eine Aufgabe, die er laut Riesz sehr ernst nimmt, und auch der fremden Kultur gegenüber ist er sehr aufgeschlossen. Er spricht sehr gut Suaheli - angeblich plant er sogar, den "Faust" dorthin zu übersetzen - und versucht, sich in die Denkweise der Ureinwohner hineinzuversetzen. Seinen Niederschlag findet all dies in mehreren Novellen und Romanen. "Da es hier weit und breit keine Bücher gibt, habe ich angefangen, sie mir selbst zu schreiben", teilt Heuser dem damals führenden Fischer-Verlag mit. Dessen Lektoren sind sofort begeistert von dem jungen Autor aus Afrika, und auch die Rezensionen sind hervorragend, mehrere Übersetzungen folgen. Das Time-Magazine schrieb über den Roman "Die Reise ins Innere" von 1931: "Anders als viele seiner Landsleute, die es lieben, ihre Nase in die Wolken zu stecken, windet sich Heusers Geschichte ganz nah an der dampfenden afrikanischen Erde entlang und stößt mitunter zu einem Afrika des Geistes durch". Das hatte auch Riesz' Neugier geweckt: Heuser habe nicht wie viele andere deutsche Autoren gegen die "koloniale Schuldlüge" angeschrieben", sondern die Gegenposition bezogen. Die Novelle "Ein Feldzug gegen England" etwa handelt von einem ehemaligen deutschen Offizier und Farmer in Tansania, der mit aller Gewalt sein Land zurückhaben will - "für Heuser ist der einfach ein Spinner!"

Erzähler, Pazifist, Weltbürger: Vor einem Schrank mit unzähligen Drehbüchern wird afrikanisch getrommelt.

Vor einem Schrank mit unzähligen Drehbüchern wird afrikanisch getrommelt.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

1930 kehrt Heuser nach Berlin zurück, Schädlinge und fallenden Weltmarktpreise hatten seine Plantage zunichte gemacht. 1933 dann erscheint der Roman "Abenteuer in Vineta", eine Dystopie rund um das Atlantis des Nordens und für Riesz ganz klar eine Antizipation des Nationalsozialismus: "Da gibt es ganz schlimme Leute, die Juden und alle Fremden hassen, und einen kleinen Friseur, der plötzlich ganz viel Macht bekommt - das ist eindeutig Hitler." Ein "Roman ohne Zukunft" also. Auch ein erstes Theaterstück von Heuser, eine Art Musical, das 1933 in Köln Premiere feiert, erlebt nur eine Wiederholung: "Es wurde sofort dagegen polemisiert, weil der daran beteiligte Komponist Jude war", erklärt der Professor.

Die Dichterkarriere Heusers ist mit der Machtergreifung Hitlers also vorerst vorbei - und er gerät in den Sog der Berliner Filmstudios, schreibt zahllose Drehbücher für Unterhaltungsfilme. "Deswegen wird er meist ganz selbstverständlich als Nazi-Autor eingeordnet", sagt Riesz - was aber falsch sei. Dafür gebe es mehrere Beweise: Zunächst einmal lehnt Heuser es Joseph Goebbels gegenüber ab, an dem Propagandafilm "Jud Süß" mitzuwirken, mit der Begründung, er habe jüdische Freunde - ein Umstand, der ihn das Leben hätte kosten können, wäre Goebbels nicht so vernarrt in Filme gewesen. Außerdem versteckt Heuser die Verlegerfamilie Fischer bei sich und begleitet sie auf ihrer Flucht über die Grenze, um im Notfall die Kinder in Sicherheit bringen zu können. Darüber hinaus konnte Riesz nun belegen, dass "Ohm Kröger" - Heusers einziger "verdächtiger" Film - mitnichten antibritische Propaganda ist, vor allem nicht das Original. In seinem Buch widmet der Professor diesem Thema einen ganzen Exkurs und zitiert eine bislang unbekannte Stellungnahme Heusers: "So wird man in dem fertigen Drehbuch kaum ein gehässiges oder hetzerisches Wort gegen England finden. Wir erfanden zu diesem Zweck . . . einen Sohn des Burenpräsidenten, der englandhörig ist, um auch dem Gegenspieler sein Recht zu geben. Wir lockerten . . . die Handlung weitgehend ins Private auf und schließlich dichteten wir einen pazifistischen Schluss, in dem die ewige Frage nach dem Sinn der Völkerfeindschaften gestellt wird . . . Goebbels nahm denn auch persönlich die Feder zur Hand und schrieb diesen Epilog um." Das neu entdeckte Material aus Heusers Nachlass, darunter fast 200 Drehbücher und jede Menge Korrespondenz, stelle den Autor also in einem ganz anderen, viel besseren Licht dar, so das Fazit des Professors.

Erzähler, Pazifist, Weltbürger: Professor János Riesz spricht in Ebersberg vor großem Publikum.

Professor János Riesz spricht in Ebersberg vor großem Publikum.

(Foto: Christian Endt)

Schriftsteller Carl Zuckmayer schreibt 1943 in seinem Bericht für den amerikanischen Geheimdienst über Heuser, dass dieser sich "niemals jenen 'Erniedrigten und Beleidigten' zugesellt hat, aus denen sich die Nazibewegung rekrutierte. Mehr kontemplativ als aktivistisch oder militant, ist er ein Mann von höchstem geistigen und kulturellen Niveau und charakterlich durchaus zuverlässig. Er gehört ohne Zweifel zu denen, die die Stunden bis zu Hitlers Ende zählen und auf Erlösung warten, weil Deutschland für sie, auch wenn sie nicht persönlich bedroht sind, ein Kerker geworden ist." Ein Eindruck, der sich deckt mit den Schilderungen der Zeitzeugen, die in Ebersberg zu Wort kommen: Sie charakterisieren Heuser als begnadeten Erzähler sowie als abenteuerlustigen, getreuen, liebevollen und furchtlosen Freund. Besonders berührt dabei ein Brief, in dem der Autor eine Freundin zu trösten versucht, die mit dem viel zu frühen Tod der Tochter kämpft: Hat man je einen so zärtlichen, poetischen und philosophischen Zuspruch gehört?

Nach dem Zweiten Weltkrieg gelingt es Heuser zwar, wieder beste Kontakte zu Verlegern, Schriftstellern und anderen Künstlern zu knüpfen, er tagt mit der "Gruppe 47", ist Freund von Hermann Hesse und Patrick Süskind. Doch seine Werke finden keine Abnehmer mehr - die Texte des einstigen literarischen Hoffnungsträgers "wirken nur noch wie eine ferne Erinnerung", so Riesz. Der Bruch von 1933 sei nicht mehr zu kitten gewesen. Selbst der ein Jahr vor seinem Tod im Jahr 1975 publizierte Roman "Malabella" knüpft an Heusers frühen Afrikaerfahrungen an. Die Kritiken waren zwar überschwänglich, doch der eigene Verlag nicht überzeugt: Er ließ das Spätwerk in der Versenkung verschwinden. In der Scheune in der Abt-Häfele-Straße stapelten sich diese Bücher bis ganz zum Schluss, Kaspar verteilte sie an seine vielen Kinder.

Das Resümee aus alldem? Lesen Sie Heuser, gehen Sie in die Ausstellung, holen Sie sich diesen Katalog!

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