Erinnerung an einen Versöhner:Poing benennt sein Bürgerhaus nach Max Mannheimer

Erinnerung an einen Versöhner: Lebendige Erinnerung - die Urenkel Max Mannheimers enthüllen die Gedenktafel für ihren Urgroßvater, zur Freude von Bürgermeister Albert Hingerl.

Lebendige Erinnerung - die Urenkel Max Mannheimers enthüllen die Gedenktafel für ihren Urgroßvater, zur Freude von Bürgermeister Albert Hingerl.

(Foto: Christian Endt)

Als Insasse des Mühldorfer Todeszugs hatte er eine ambivalente Beziehung zu Poing. Die Gemeinde gedenkt ihm nun doppelt.

Von Alexandra Leuthner, Poing

Wer ihn jemals erlebt hat, wird sich immer an ihn erinnern. Viele von den Besuchern, die am Samstagnachmittag gekommen waren, um die feierliche Enthüllung einer Gedenktafel und die offizielle Benennung des Bürgerhauses in Max Mannheimer-Bürgerhaus mitzuerleben, hatten den posthum so Geehrten vor seinem Tod im September 2016 noch kennen lernen dürfen; bei Begegnungen mit Schülern, bei Gedenktagen, bei Ausstellungen seiner Bilder. Auch drei seiner Enkel, vier Urenkel und Freunde der Familie waren gekommen, darunter die katholische Ordensschwester Elija Boßler, sowie Lokal- und Landespolitiker aus den Landkreisen Ebersberg und München und die Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern Charlotte Knobloch.

Und so war Mannheimer, der unermüdliche Mahner und Kämpfer für Menschlichkeit und Demokratie, auf eine ganz besondere Weise anwesend, als Poings Bürgermeister Albert Hingerl und Mannheimers Enkelin Judith Faessler in bewegenden Worten an den großen Versöhner erinnerten, der sich selbst, wie Faessler betonte, nie als Ankläger, sondern am liebsten einfach nur als Zeitzeuge bezeichnete.

Im Mai hatte der Poinger Gemeinderat beschlossen, das Bürgerhaus nach Mannheimer zu benennen, den eine besondere und höchst ambivalente Beziehung mit dem Ort verband. Er hatte in jenem Güterzug gesessen, der im April 1945 etwa 3600 überwiegend jüdische Häftlinge aus dem aufgelösten Außenlager Mühldorf nach Seeshaupt bringen sollte. Als der Zug in Poing stoppte, viele der Häftlinge zu entfliehen versuchten und getötet wurden, überlebte er - zufällig, wie er später vor Schülern in Poing erzählte. Mit angebrochenen Rippen habe er im Waggon gesessen und sich "nicht so gut bewegen" können. Also habe er anderen den Vortritt gelassen, viele von ihnen waren vor seinen Augen ums Leben gekommen. Drei Tage später wurde er bei Tutzing nach 27 Monaten in deutschen Konzentrationslagern endlich befreit. Er hatte seine Eltern, seine erste Frau und zwei von vier Geschwistern verloren.

Bereits 2010 war am Poinger Bahnhof ein Mahnmal zum Gedenken an den Todeszug eingeweiht worden. Max Mannheimer, in den letzten 35 Jahren seines Lebens als Zeitzeuge unterwegs, war dabei. Immer wieder sei er als "ehrwürdiger und geschätzter Gast" nach Poing gekommen, berichtete Hingerl, so auch 2014 zu einer Ausstellung seiner Bilder, die er mit seinem hebräischen Namen "ben jakov" unterzeichnete. Damit habe Mannheimer den Albträumen, die er im Holocaust erlebt hatte, "farbige Tagträume entgegen gesetzt". Mit der Benennung des Bürgerhauses nach dem "Zeitzeugen" Mannheimer wolle man die Erinnerung an seine Humanität und sein Wirken lebendig erhalten. Poing wolle die Botschaft, dass "aus Verantwortung für künftige Generationen, das Geschehene in Erinnerung" bewahrt werden müsse, und, dass wir "die daraus gewonnenen Einsichten zur Richtschnur unseres gemeinsamen Bemühens um eine gerechte und demokratische Gesellschaft machen sollten", weitertragen.

"Wir können viel von ihm lernen."

Mannheimers Enkelin Judith Faessler stellte ihre Rede unter das Motto "Wir können viel von ihm lernen". So habe der "öffentliche" Max Mannheimer nicht nur dafür geworben, sich für Freiheit und Demokratie einzusetzen, sondern auch davor gewarnt, dass eben diese Freiheit manch einem Mitglied der Gesellschaft "Haltlosigkeit und Beliebigkeit" bringe. Ohne explizit die politischen Entwicklungen, das Erstarken der rechtspopulistischen AfD und ihrer Unterstützer zu erwähnen, mahnte sie zu Aufmerksamkeit gegenüber Ressentiments und der Hinwendung zu intoleranten Weltbildern.

"Wer solche Ressentiments gegenüber den einen habe, könne sich auch gegenüber jedem anderen entwickeln, ein "gefährlicher Mechanismus", so Faessler. "Wir müssen darauf achten, dass er niemals wieder die Oberhand gewinnt." Im Gespräch zu bleiben, das sei eines der Credos ihres Großvaters gewesen. Selbst das Gespräch mit Neonazis habe er nicht gescheut. Viele von ihnen hätten ihm hinterher geschrieben, dass er ihnen die Augen geöffnet habe. Was den privaten Max Mannheimer angehe, so habe er den Witz, den Humor und die ansteckende Lebenslust, die er bei seinen öffentlichen Auftritten an den Tag legte, auch dort gelebt.

Er habe sich selbst nie zu ernst genommen und die Gabe gehabt, auch ein belastendes Gespräch "durch einen Witz zu durchbrechen." Dennoch: Das "Nie wieder" sei zu seinem Leitsatz geworden, er habe zwar Auschwitz verlassen, aber, so Judith Faessler, "Auschwitz hat ihn aber nie verlassen". Im Namen der Familie Mannheimers, dessen Urenkel schließlich das Tuch von der Gedenktafel im Atrium des Bürgerhauses zogen, bedankte sie sich. Ein Bürgerhaus als Stätte der Begegnung mit seinem Namen, sei eine treffende Wahl. "Es hätte ihm gefallen."

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