Süddeutsche Zeitung

Energiekrise:Russisch Roulette

Trotz aller politischen und ökonomischen Verwerfungen kommt momentan Gas in maximaler Kapazität im Wolfersberger Speicher an, die Maschinen laufen auf Hochtouren. Doch wie lange noch?

Von Anja Blum

Die gute Nachricht ist: Die Verdichter des Erdgasspeichers in Wolfersberg laufen nun endlich unter Volllast. Den Verantwortlichen der Anlage ist die Erleichterung darüber ins Gesicht geschrieben, als nun schon zum zweiten Mal kurz hintereinander eine politische Delegation auf dem Gelände mitten im Forst zwischen Zorneding und Oberpframmern zu Besuch ist. Zuerst hatten der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und sein Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) dort einen Termin, nun ist Martin Stümpfig gekommen, Sprecher für Energie der Grünen Landtagsfraktion. 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche müssen die mächtigen Kolben in den nächsten Monaten ihr kraftvolles Werk verrichten, denn nur dann wird der unterirdische Speicher am 1. November - wie vorgeschrieben - einen Füllstand von 90 Prozent erreicht haben.

Der bisherige Kunde wollte den Speicher wegen der aktuell hohen Preise nicht nutzen

Die Erleichterung ist deshalb so groß, weil der Start der Speichersaison diesmal eine "ganz enge Kiste" war, wie Geschäftsführer Thomas Rupprich sagt. "Der Speicher war praktisch leer - und uns klar, dass wir am 28. Juni loslegen mussten, sonst hätten wir das gesetzlich vorgegebene Ziel nie erreicht." Der Kunde aber, der die Speicherkapazitäten in Wolfersberg bis dato genutzt hatte, wollte offenbar partout jetzt kein Gas kaufen und für den Winter einlagern. Der Grund dafür ist klar: das Chaos am Markt. Der aktuell hohe Preis und eine somit vermutlich nur kleine Gewinnmarge. Wenn überhaupt.

Doch die Betreiber des Speichers, die selbst kein Gas einlagern dürfen, sondern nur die Kapazitäten dafür vermarkten, blieben nicht untätig. Sie schlugen Alarm. Daraufhin wurde dem untätigen Kunden aufgrund neuer gesetzlicher Regelungen gekündigt - und die Trading Hub Europe GmbH (THE) sprang ein, gefördert durch ein günstiges Darlehen der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Dabei allerdings drängte schon die Zeit, all diese Verträge mussten innerhalb weniger Tage geschlossen werden, beinahe hätte die kurze Oligarchen-Vergangenheit des Speicherbetriebs noch alles ins Wanken gebracht. "Da haben wir schon ziemlich geschwitzt", sagt Rupprich. Doch es gelang. "Als Marktgebietsverantwortlicher kauft die THE nun im Auftrag des Staates Gas und speichert es bei uns ein", erklärt der Geschäftsführer. "Ausnahmsweise."

Wegen dieser Intervention also ist man in Wolfersberg nun bereits bei etwa 30 Prozent Befüllung angelangt. In diesem Tempo wird es allerdings nicht weitergehen, denn ein natürliches Erdgasfeld wie dieses lässt sich nicht beliebig schnell betanken. Es bedarf hohen Drucks (maximal 245 bar) und vor allem großer Geduld, bis das Methan über zehn Rohre in 3000 Metern Tiefe angekommen ist und sich dort unten in den unzähligen, winzig kleinen Poren des Kalksteins verteilt hat. "Für die letzten zehn Prozent brauchen wird deshalb manchmal bis zu 40 Tage", sagt Markus Schuster, der beim Rundgang die beeindruckende, weil hochkomplexe Technik des Speichers erläutert.

Was Schuster dabei besonders wichtig ist: "Alles ist doppelt und dreifach gesichert." Hier kann eigentlich nichts passieren, trotz Explosionsgefahr. Und so führt er ein lustig anzuschauendes Grüppchen übers Gelände: Die Politikerinnen und Politiker sind alle mit roten Helmen, schwer entflammbaren Kitteln und sogar Ohrstöpseln ausgerüstet. Denn dort, wo die riesigen Verdichter rödeln, ist es nicht nur heiß, sondern auch so laut, dass man sein eigenes Wort beim besten Willen nicht versteht. Die Halle wirkt wie der Maschinenraum eines Ozeandampfers, durch Bullaugen kann man den Kolben beim Stampfen zuschauen.

Was in den Gesprächen schnell klar wird: Die Gasexperten von Wolfersberg genießen die aktuelle politische Aufmerksamkeit - "auch wenn der Anlass kein schöner ist", wie Rupprich sagt. Doch er und seine Kollegen haben in den vergangenen Jahren eben schon mehrere Energiekrisen erlebt - und viele Entwicklungen in ihrer Branche mit Sorge beobachtet. "Früher, als es noch die Monopolgesellschaften gab, waren wir vor allem da, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten", erklärt Geschäftsführer Rupprich. Da sei es noch um Verantwortung gegangen, nicht nur ums Geschäft.

Dann aber habe die Liberalisierung eingesetzt, die EU habe den Markt geöffnet, seitdem diktiere der Preis den Füllstand des Speichers. Im Sommer billig einkaufen, im Winter teuer verkaufen - so lautet, einfach ausgedrückt, das Konzept. Eine nationale Reserve wie beim Öl habe die Politik beim Gas leider immer für unwichtig gehalten, so Rupprich. Deswegen freuen sich die Verantwortlichen in Wolfersberg nun, dass angesichts des Ukraine-Kriegs ein Umdenken einsetzt und politisch an so mancher Stellschraube gedreht wird.

Das Maximum des unterirdischen Speichers sind 365 Millionen Kubikmeter Methan oder, in Energie ausgedrückt, gute vier Terawattstunden. Ein Einfamilienhaus benötigt etwa 2000 Kubikmeter Gas pro Jahr, also könnte Wolfersberg gut 200 000 davon versorgen. Das klingt nicht nach sonderlich viel, die Verantwortlichen aber sehen sich ohnehin eher in einer Art Feuerwehrfunktion: Deutschland leide beim Gas an einem deutlichen Nord-Süd-Gefälle, erklärt Rupprich den Gästen, denn hierzulande finde einfach deutlich weniger Einspeisung statt. "Aber wir sind da, um das auszugleichen."

Und momentan schaue es sehr gut aus: Trotz aller politischen und ökonomischen Verwerfungen komme weiter Methan in maximaler Kapazität in Wolfersberg an. Die Quellen allerdings hätten sich drastisch verschoben: "Vor Putins Überfall auf die Ukraine kam bei uns physisch gesehen zu fast hundert Prozent russisches Gas an", sagt Rupprich, nun sei dessen Anteil extrem niedrig. "Momentan haben wir ganz klar ein Gemisch aus Nordseegas", das verrate ein veränderter Brennwert.

Trotzdem stehen diese Hüter des Gases, die sich als wichtiger Teil der Daseinsvorsorge sehen, weiter unter Druck. "In diesem Jahr kann alles passieren, das ist wie Roulette", so fasst der Geschäftsführer die Situation zusammen. Wer weiß schon, wie der Winter wird? Lang und kalt - oder kurz milde? Und wer weiß schon, was dem russischen Machthaber noch so alles einfällt? Wird er weiter liefern? Und wenn ja, wie viel und zu welchem Preis? "Wenn er im Winter den Markt mit billigem Gas fluten sollte, verpufft mit einem Schlag das ganze Kapital, das hier lagert", sagt Schuster und zuckt mit den Schultern. Andererseits: Leere Netze würden zu wenig Druck bedeuten und damit die Einspeisung zum Erliegen bringen. Starke Schwankungen beim Brennwert hingegen würden so manche Industrie vor Probleme stellen.

Der Auftrag an die Politik: Der Versorgungssicherheit sollte wieder mehr Bedeutung beigemessen werden

Am Ende stellt Rupprich klar: "Wir können derzeit keinerlei Garantien geben." Außerdem sei das ganze System mit seinem virtuellen Handelspunkt und seinen weit verzweigten Netzen derart komplex, dass keiner etwas für den Notfall "bunkern" könne. Vereinfacht gesagt: Herrscht tatsächlich Mangel, trifft es eben die Verbraucher am Ende der Leitung. "Da musste ich schon so manchem Stadtwerk eine Abfuhr erteilen." Der Auftrag der Wolfersberger an die Politik lautet daher, dass jetzt alle gemeinsam eine Lösung finden müssen, im Idealfall für die gesamte EU. Und dass der Versorgungssicherheit wieder mehr Bedeutung beigemessen werden sollte. Dringend.

Aber auch einen Ausblick in die - möglicherweise gar nicht allzu ferne - Zukunft bietet das Treffen, nämlich als es um die mögliche Speicherung von Wasserstoff geht. Hier liefen bereits Untersuchungen, erklärt Schuster, und die Voraussetzungen seien in Wolfersberg wohl auch gar nicht so schlecht. Allerdings sei diese Variante noch mit sehr vielen Unwägbarkeiten verbunden, und ein Probelauf alles andere als einfach umzusetzen. Außerdem halte er Wasserstoff, seiner chemischen Eigenschaften wegen, für um einiges gefährlicher als Methan. "Deswegen wäre es wahrscheinlich besser, den Wasserstoff erst in solches umzuwandeln und dann zu speichern." Ob die Politik auf Experten wie Schuster hören wird, bleibt indes abzuwarten.

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