Entdeckung in Oberpframmern:Büchertempel statt Dorfschmiede

Ein Besuch beim "Verlag Neue Stadt", dem es seit Jahrzehnten gelingt, mit religiösen, gesellschaftlichen, politischen wie ökologischen Themen erfolgreich zu sein

Von Michaela Pelz

Das gelb gestrichene Gebäude gegenüber von Bushäusl und Maibaum hebt sich durch nichts ab von den Nachbarhäusern. Und doch ist es dafür verantwortlich, dass der Name Oberpframmern auch in New York, Rio und Tokio ein Begriff ist. Denn genau dort, in den Räumlichkeiten der alten Dorfschmiede, befindet sich seit 1990 der "Verlag Neue Stadt", der seine Lizenzausgaben bis nach Japan, Brasilien und in die USA verkauft. Im Impressum wird dann natürlich auch der Verlagssitz genannt, wie Buchprogramm-Chef Stefan Liesenfeld stolz beweist, indem er einige fremdsprachige Ausgaben aufschlägt.

Verlag ' Neue Stadt ' Oberpframmern

Neben Lesestoff umfasst das ausgesuchte Sortiment aber auch Kunstobjekte, was man dem Haus ansieht: Den stillen Kollegen aus Papier und Faden schuf ein Brasilianer.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Dabei handelt es sich allerdings nicht um von Mord und Totschlag triefende Pageturner und auch heitere Frauenliteratur sucht man im Verlagskatalog vergeblich. Gut möglich, dass genau deswegen vielen der 1961 entstandene Verlag trotz seines durchaus beachtlichen Angebots nicht geläufig ist. Umfasst es doch neben mehr als 450 Buchtiteln auch 250 verschiedene Kartenmotive, Kalender, DVDs, Musik, Zeitschriften und sogar Kunstobjekte. Allerdings eint alle Produkte ein gezielter, ganz spezieller Anspruch: "christlich, offen, dialogisch". Dies ergibt sich aus der Tatsache, dass der Verlag der aus Italien stammenden Fokolar-Bewegung entspringt. Deren Ziel nämlich ist es, für internationale Verständigung, friedvolles Miteinander, Respekt und Toleranz auf der Welt einzutreten. "Im Mittelpunkt steht der Mensch", sagt Geschäftsführer Frank Schmelzer. Darum fokussiert man sich auf aktuelle religiöse Themen, ohne dabei aber Politik, Gesellschaft und Umweltbewusstsein zu vernachlässigen.

Bezogen auf Letzteres zeigt sich ganz konkret das Bestreben, die Werte, für die der Verlag steht, nicht nur zwischen Buchdeckel zu drucken, sondern auch zu leben: Alle Printerzeugnisse werden ausnahmslos in Deutschland produziert und bei der Auswahl der Druckereien spielt Klimaneutralität eine entscheidende Rolle. Und nicht nur da: Der Verlag selbst zahlt ebenfalls CO2-Ausgleichsabgaben, erkennbar an den entsprechenden Signets in den Büchern. Das erhöht zwar die Herstellungskosten, doch das nimmt man in Kauf, denn: "Wenn ich authentisch sein will, kann ich doch nicht Bücher für den Erhalt der Umwelt machen und mich dann selbst nicht daran halten", sagt Schmelzer.

Verlag ' Neue Stadt ' Oberpframmern

In den Regalen finden sich auch Namenshefte, kleine persönliche Geschenke.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Dass Ökologie hier mehr ist als nur ein Wort, erkennt man aber auch an den Wanddekorationen im Verlagshaus. Auf den Gängen und in den Büros findet man Werke von Roberto Cipollone, genannt Ciro, der Gebrauchsgegenständen ein zweites Leben verschafft. So entsteht aus einer alten Fassumrandung, Federn und Zahnrädern ein beeindruckender Wandschmuck. Klar darf daher ein Bildband über den italienischen Künstler im Sortiment nicht fehlen.

Doch wie kann sich ein verhältnismäßig kleines Unternehmen seit so vielen Jahren in einem Markt behaupten, in dem eine immer stärkere Konzentration auf wenige Ketten zu beobachten ist, welche ihrerseits wiederum überwiegend Produkte der Big Player präsentieren?

Frank Schmelzer und Stefan Liesenfeld sind sich einig, dass diese Herausforderung für ein Unternehmen wie das ihre gerade eine Chance darstellt. "Manche Titel der großen Verlage sind schon nach vier Monaten nicht mehr lieferbar. Wir hingegen machen mehr als 50 Prozent des Umsatzes mit unserer Backlist." Die meisten Longseller stammen dabei aus dem andernorts immer kleiner werdenden religiösen Bereich, wie auch die DVDs, CDs, Liederbücher, Partituren und kunsthandwerklichen Artikel. Die Kreuze, Krippen, Engels- und Marienfiguren werden in Italien, der Schweiz sowie auf den Philippinen gefertigt. Diese Verbindung entstand durch die frühere Tätigkeit Schmelzers, der in dem asiatischen Inselstaat 16 Jahre lang ein Sozialzentrum leitete, mit Arztpraxis, Essensausgabe, Schulen und eben jener Schreinerei, die heute als Zulieferbetrieb dient.

Zum Sortiment gehören außerdem auch Titel aus dem Bereich der Lebenshilfe und vor allem die sehr beliebte Reihe "Gedanken". Diese kleinen Geschenkhefte enthalten Fotos und Kurztexte zu den unterschiedlichsten Themen.

Verlag ' Neue Stadt ' Oberpframmern

Das Holzrelief stammt aus der Toskana.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Ganz wichtig für das Verlagsprofil ist auch die Beobachtung des ausländischen Buchmarkts. Neben den eingangs erwähnten, selbst vergebenen Lizenzen, hat sich Diplomtheologe und Historiker Liesenfeld zum Ziel gesetzt, möglichst viele internationale Neuentdeckungen zu machen, die dann teils direkt im Haus übersetzt werden. Das akribische Austüfteln eines ansprechenden Verlagsprogramms ist nicht immer leicht - doch gerade dann wird die Lage Oberpframmerns zum unschätzbaren Vorteil: "Wenn gar nichts mehr geht, mache ich eine Runde über die Felder."

Das Wohl der Mitarbeiter im Auge zu haben, ist ebenfalls ein Merkmal des Verlages. Dazu gehören kreative Arbeitszeitmodelle - Liesenfeld macht die halbe Woche im Allgäu Homeoffice, während Bernd Aretz, Autor, Lektor und Chefredakteur des Magazins "Das Prisma", drei Wochen von Köln aus arbeitet. Den kürzesten Arbeitsweg hat Gundula Hirschberg, die seit einigen Monaten als Verlagsassistentin für Kalender und Karten zuständig ist. Die Höhenkirchener Kinderkrankenschwester freut sich über die Chance eines Einstiegs als über 50-jährige und lobt das angenehme Klima. Über das hat sich auch ein anderer noch nie beschwert: "Seit Jahren teile ich mein Büro mit diesem äußerst angenehmen Kollegen," sagt Liesenfeld, lacht und zeigt auf die Gestalt in der Ecke, gefertigt vom brasilianischen Künstler Marcelo Galvão aus Zeitung und Kordel. Auch ihn hätte man hier nicht erwartet, mitten in Oberpframmern.

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