Süddeutsche Zeitung

Wohnung gesucht:Fünfköpfiger Familie droht die Obdachlosigkeit

Die Familie Irorere lebt in einem Apartment in Emmering. Noch, denn zum Ende des Monats muss sie dort ausziehen.

Von Franziska Langhammer, Emmering

Manchmal muss es richtig schlimm werden, damit es wieder besser werden kann. Das ist keine aphoristische Sentimentalität, sondern Gesetz: Christian Robert Irorere muss mit seiner Frau und seinen drei Kindern erst auf der Straße stehen, damit sie wieder ein Dach über dem Kopf bekommen können. Ende des Monats müssen der aus Benin stammende Irorere, seine nigerianische Frau Sanin Saimot Iyabo und die Kinder Vanessa, 4, Quincy, 3, und Prince Iwan, 1, ihre Sachen packen und darauf hoffen, dass die Gemeinde oder eine Privatperson ihnen eine neue Bleibe zur Verfügung stellt. Eine neue und vielleicht passendere Bleibe.

Über ihre eigene Geschichte, bevor sie ihren Mann kennen lernte, schweigt die 36-jährige Sanin Iyabo größtenteils. Nach ihrer Flucht aus Nigeria bettelte sie einige Zeit auf Italiens Straßen. In Bologna lernte sie den heute 30-jährigen Christian Irorere kennen, vor fünf Jahren kamen die beiden nach Bayern. Drei Jahre wohnte die junge Familie in einer Unterkunft in Steinhöring, dann in einem Heim in Moosach. Nachdem sie als Geflüchtete einen permanenten Aufenthaltsstatus erhielten, mussten sie dieses verlassen und von privat eine Wohnung anmieten, die ihnen das Landratsamt Ebersberg vermittelte. "Das Heim war besser", sagt Christian Irorere und zeigt um sich. Seine Frau schüttelt den Kopf und vergräbt ihr Gesicht in den Händen.

Zum Schlafen müssen die Kinder ihre Jacken anbehalten

Seit fast anderthalb Jahren wohnt die fünfköpfige Familie in einem Apartment in Emmering, das alles andere als familienfreundlich ist. Zu wenig Platz, eine sanierungsbedürftige Küche, und zeitweise funktioniert laut Irorere die Heizung nicht, so dass die Kinder zum Schlafen ihre Jacken anbehalten, um nicht zu frieren. Seit einigen Wochen wird nun im Erdgeschoss des Hauses renoviert, was bedeutet, dass tagsüber den Iroreres der Strom abgestellt wird. An Wochenenden wird es oft bis spät in die Nacht laut, wenn im nahe gelegenen Wirtshaus eine Veranstaltung stattfindet.

Wer in Emmering wohnt, weiß, dass es ohne Auto knifflig werden kann. Der Bus nach Aßling fährt einmal pro Stunde; von dort aus ist die Welt dann per Bahn erreichbar. Täglich vier Stunden mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist Christian Irorere; er arbeitet bei Amazon in Olching im Nordwesten Münchens. Sanin Iyabos Tag beginnt um fünf Uhr morgens. Sie bereitet das Frühstück für die drei Kinder, macht sie für den Kindergarten und die Krippe fertig und bringt sie dorthin. An drei Tagen in der Woche fährt Iyabo nach Grafing, wo sie einen Deutschkurs besucht. Die Erfahrung, dass die Verkehrsmittel nicht immer zuverlässig sind, hat sie auch schon machen müssen: Als vor kurzem der Bus einmal nicht gekommen sei, erzählt Iyabo, sei sie etwas ins Schwitzen gekommen. Wer würde die Kinder abholen? Mangels ausreichender Deutschkenntnisse rief sie ihren Mann in der Arbeit an, der wiederum in der Kindertagesstätte Bescheid gab. Erst eine Stunde später kam dann der nächste Bus, der Iyabo zu den Kindern brachte.

Bis Ende November muss die Familie die Wohnung geräumt haben

Nun ist der Familie Irorere auch diese Bleibe gekündigt worden. Das ganze Haus, in dem das Apartment ist, soll renoviert werden. Bis zum 31. November müssen die fünf ihre Zimmer räumen, Kuscheltiere, Kochtöpfe und Kleidung in ihre Taschen und Koffer packen. Wenn sie bis dahin nichts gefunden haben, sind sie erst einmal obdachlos.

Bereits seit mehreren Monaten weiß Christian Irorere von der Kündigung, und er hat auch schon bei verschiedenen Stellen um Hilfe gebeten, etwa bei Wohnungsgenossenschaften oder dem Sozialamt. Die Gemeinde hat derzeit keine passende Unterkunft; erst wenn die Familie wirklich auf der Straße steht, ist sie verpflichtet, für eine Notunterkunft zu sorgen - die dann vermutlich auch nicht viel kinderfreundlicher ausfallen wird als die derzeitige.

Auch übers Internet hat Irorere schon Inserate gecheckt, Mieter angeschrieben. Zu den Besichtigungsterminen kam dann die ganze Familie mit. Weil Sanin Iyabo eine Wohnsitzauflage hat, muss die Familie ihre Suche auf Bayern beschränken, und so war sie schon zum Vorstellen in Wasserburg, Ebersberg oder in der Nähe von Miesbach. Jedes Mal, erzählt Irorere, sei es dasselbe gewesen. Entweder sei die Wohnung zu teuer gewesen, oder es habe seitens der Vermieter geheißen: Hier ist zu wenig Platz für fünf Menschen. "Wir wissen nicht, wohin", sagt Christian Irorere und wirkt ratlos. Bleibt allein die Hoffnung, dass es jetzt nur noch besser werden kann.

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Quelle:
SZ vom 27.11.2019/aju
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