Eltern im Landkreis Ebersberg:"Ich dachte, ich drehe durch"

Die Mischung aus Arbeit, Homeschooling und sozialer Isolation ist gerade für Alleinerziehende fatal. Hier kommen sechs Betroffene aus dem Landkreis Ebersberg zu Wort

Interviews von Franziska Langhammer

Wegen Corana-Virus geschlossener Kindergarten in München, 2020

Alleinerziehenden sind ganz auf sich gestellt und für den Alltag der Kinder zuständig.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Wenn schon Mama und Papa ins Schwitzen kommen, wenn sie in Corona-Zeiten Arbeit, Hausaufgabenbetreuung und Kochen unter einen Hut bringen sollen - wie geht es dann den Alleinerziehenden? Sie sind ganz auf sich gestellt und für den Alltag der Kinder zuständig, sie können mit niemandem diese Aufgabe teilen. Seit Mittwoch vergangener Woche ist klar, dass das Betreuungsangebot nun auch für Alleinerziehende ausgeweitet werden soll. Doch das löst längst nicht alle Schwierigkeiten, mit denen diese derzeit zu kämpfen haben. Die SZ Ebersberg hat bei sechs Alleinerziehenden im Landkreis nachgefragt.

Den eigenen Frust verdrängen

Barbara S., die lieber anonym bleiben möchte, wohnt mit ihren Söhnen, 8 und 9 Jahre alt, in Grafing.

SZ: Wie ist die Stimmung zuhause?

Barabara S.: Schwankend. Alles in allem ist jeder gelangweilt von den eigenen vier Wänden. Und es wird immer schwieriger, dass die Kinder sich selber beschäftigen, was die Situation nicht gerade leicht macht, wenn man arbeiten muss. Da bricht auch schon mal der ein oder andere Streit unter den beiden aus, rein aus Langeweile.

Wann hatten Sie zum letzten Mal das Gefühl, dass Ihnen alles über den Kopf wächst?

Es gab Situationen, in denen ich mich konzentrieren musste, und die Jungs aber so frustriert von ihren Schulaufgaben waren, dass es fast unmöglich war, anständig zu arbeiten. Da muss man eine Baustelle nach der anderen angehen, etwa Matheaufgaben gefühlt hundert Mal erklären.

Wie sieht Ihr Corona-Alltag aus?

In den Ferien war es ganz ok. Die Jungs durften vormittags fernsehen und Nintendo Switch spielen, während ich gearbeitet habe. Nach dem Mittagessen wurden sie "gezwungen", in den Garten zu gehen oder sich mit was anderem zu beschäftigen. Sobald ich fertig war, sind wir einkaufen gegangen oder haben einen Spaziergang zur Eisdiele gemacht.

Was ist am schwierigsten?

Den eigenen Frust über die Situation zu schlucken, ein schönes und abwechslungsreiches Programm auf die Beine zu stellen, mit dem alle zufrieden sind - und gleichzeitig die Arbeit erledigt zu bekommen.

Was verschärft die Krise noch?

Die Lust bei den Kindern, was für die Schule zu tun, mal zu lesen, die Aufgaben anständig zu erledigen, schwindet immer mehr.

Was würde helfen in der derzeitigen Situation?

Es wäre deutlich angenehmer, wenn man auf soziale Netzwerke zurückgreifen könnte und die Kinder für ein oder zwei Tage nicht ständig bespaßen müsste. Toll wäre, wenn man einfach mal arbeiten könnte, ohne ständig mit "mir ist langweilig" unterbrochen zu werden. Mir gibt es ein gutes Gefühl, zu wissen, dass man die Kinderkünftig auch als Alleinerziehende anmelden kann bei der Notbetreuung - auch ohne systemrelevanten Job. Und ja, wahrscheinlich werde ich darauf zurückgreifen.

Spagat in jeder Hinsicht

Katrin Voigtländer-Kirstädter wohnt mit ihren Kindern, 9 und 11 Jahre alt, in Ebersberg. Sie arbeitet als selbständige Bausachverständige.

Interviews Alleinerziehende und Corona

Katrin Voigtländer-Kirstädter steht oft um fünf Uhr Früh auf, um ungestört arbeiten zu können, abends geht dann sie meist mit den Kindern ins Bett.

(Foto: privat)

SZ: Wie ist die Stimmung zuhause?

Katrin Voigtländer-Kirstädter: Die Stimmung ist gut, auch wenn es extrem fordernd ist zur Zeit. Wir haben einen Garten, und versuchen, die kleinen Dinge zu sehen. Die Kinder sind sehr kreativ in ihrem Tun, was ich mitunter gar nicht mitbekomme neben der Arbeit. In den Ferien waren die Kinder auch beim Papa.

Wann hatten Sie zum letzten Mal das Gefühl, dass Ihnen alles über den Kopf wächst?

Eigentlich die ganze Zeit. Ich gehe oft am Abend mit den Kindern um halb neun, neun schlafen.

Wie sieht Ihr Alltag derzeit aus?

Oft stehe ich schon um fünf auf, um noch zu arbeiten, bevor die Kinder wach werden. Dann gibt es Frühstück, und ich versuche einen Tagesplan zu machen, der zunehmend schwerer einzuhalten ist. Wenn ich auf die Baustellen muss, bleiben die Kinder allein daheim, da externe Betreuung ja nicht erlaubt ist. Ich bin froh um liebe Nachbarn, die über den Zaun schauen, und dass die Kinder größer sind. Arbeiten ist nur in Abschnitten möglich, da sonst die Kinder oft in die Medienwelt abtauchen. Zeit zum Regenerieren ist im Moment fast nicht möglich.

Was ist am schwierigsten?

Die Kinder sind auch viel auf sich gestellt. Wenn beide Elternteile da sind, kann man sich das besser einteilen. Aber so bleibt alles an einer Person hängen. Die Kinder zu motivieren, dass sie die Schulsachen machen, wird zunehmend schwieriger. Außerdem sind die Kinder sind verunsichert, wie es weiter geht.

Was verschärft die Corona-Krise an Ihrer Situation noch?

Als Selbstständige kann ich mir zum Glück viel selbst einteilen, aber es fehlt einfach die Zeit zum Arbeiten und die Zeit für die Kinder. Dazu kommt die Unsicherheit der wirtschaftlichen Entwicklung, eben ein Spagat in jeder Hinsicht. Wir sind gesund, und alles andere findet sich.

Was würde Ihnen helfen in der derzeitigen Situation?

Mir würde es helfen, wenn die Schule die Kindern mehr auffangen würde. Zum Beispiel kurz anrufen, ein Videotelefonat oder Ergebnisse persönlich abfragen. Die Kinder verlieren zunehmend den sozialen Bezug zur Schule, und es wird immer schwerer, sie zu motivieren. Auch schade finde ich, dass die Kinderfreundschaften so aufbrechen. Es gibt ja Whatsapp oder Videotelefonieren, aber meine Kinder nutzen das kaum. Jede Familie ist in sich gekapselt, als wäre Telefonieren ansteckend. Ein seltsames Gefühl.

Organisatorisches Maxiumum

Katja B. (Name geändert) arbeitet als Krankenschwester und wohnt mit ihrer 7-jährigen Tochter in Grafing.

SZ: Wie ist die Stimmung zuhause?

Katja B.: Gut, tatsächlich. Meine Tochter vermisst mittlerweile schon die Schule. Sie sieht ihren Papa viel, mich leider nicht so oft, weil ich im Moment viel arbeite.

Warum?

Ihr Vater war in Kurzarbeit, und so konnte ich in letzter Zeit schön Stunden rein arbeiten, für die zukünftigen Wochen. Jetzt fängt er aber wieder mit der Vollzeit-Arbeit an, da wird es für mich schwierig.

Wie sieht Ihr Alltag derzeit aus?

Ich arbeite normalerweise unter der Woche immer von 8 bis 15 Uhr. Jetzt im Moment plane ich alles immer rundherum. Meine Chefin ist da sehr sozial, ich kann meinen Dienstplan selbst bestimmen. Durch die neuerliche Verlängerung wird es auch anstrengender, weil der Papa jetzt wegfällt. Alleine stemmen kann ich das nicht.

Wo ist Ihr Kind, wenn Sie arbeiten?

Ich habe viele Überstunden reingearbeitet in den letzten fünf Wochen. Einen Tag ist die Kleine bei meiner Mutter.

Was ist am schwierigsten?

Dass ich mein Kind relativ wenig gesehen habe in den letzten Wochen. Normalerweise ist sie maximal ein, zwei Tage am Stück beim Papa.

Was verschärft die Corona-Krise noch?

Das Anstrengende ist, dass die Kinder keinen Kontakt untereinander haben dürfen. Auch der Heimunterricht natürlich. Und die Planung. Das ist das organisatorisch Größte, was ich jemals zu bewältigen hatte. Das ist schon noch einmal eine andere Hausnummer.

Werden Sie Ihr Kind in die Notbetreuung geben?

Ich könnte das ja jetzt schon tun, weil ich als Krankenschwester arbeite, aber das möchte ich nicht. Dort sind alle Kinder von Eltern aus systemrelevanten Berufsgruppen. Die Keimübertragung ist da vermehrt gegeben.

Was ist Ihr Highlight des Tages?

Total entspannt miteinander auf dem Sofa oder am Tisch sitzen. Und dann, dass mit dem Bettgehen am Abend Ruhe ist.

Das eigene Kind entfremdet sich

Andrea W. (Name geändert) wohnt im Landkreis Ebersberg und hat drei Kinder. Derzeit lebt wegen eines familiären Notfalls im vergangenen Jahr nur ein Kind bei ihr, die zwei anderen sind in Pflegefamilien untergebracht. Der Plan vor Corona war, die Kinder möglichst schnell wieder zurückzuholen.

Wie ist die Stimmung zuhause?

Für mein Kind, das bei mir wohnt, ist es schwer. Wir sind nur zu zweit im Haus; sie vermisst ihre Geschwister.

Wann hatten Sie das letzte Mal das Gefühl, dass Ihnen alles über den Kopf wächst?

Erst neulich. Eigentlich sollte ein Au-Pair kommen, das mich unterstützt im Haushalt, wenn alle Kinder wieder zurück sind. Das liegt ja jetzt auch erst einmal auf Eis. Und ich frage mich: Wie soll das werden, wenn ich gleichzeitig arbeiten muss?

Wie sieht Ihr Alltag aus?

Garten, Haushalt, Entrümpeln. Wenn keine Ferien, sondern Schule ist, ist der Vormittag für Aufgaben reserviert. Nach dem Mittagessen machen wir auch noch einmal ein bisschen was für die Schule, dann sind zwei Stunden Freizeit angesagt. Nach dem Abendessen, also ab 20 Uhr, ist dann für mich Feierabend.

Was ist am schwierigsten?

Schwierig ist, meine Tochter zum Rausgehen zu motivieren. Außerdem habe ich fest geplant, dass alle meine Kinder spätestens im Sommer wieder bei mir sind. Ich habe sie schon bei Schule und Hort angemeldet. Nun ist alles total unsicher, wie es weitergeht.

Was verschärft die Corona-Krise an Ihrer Situation?

Mein ältestes Kind ist momentan in einer Pflegefamilie, die große Angst vor einer Ansteckung hat. War sie davor mindestens einmal pro Woche bei uns zuhause und oft am Wochenende, ist ein Treffen momentan kaum mehr möglich. Mehrmals haben wir durch das Gartentor gesprochen, einmal habe ich einen Hocker mitgebracht, wir haben uns vor dem Gebäude unterhalten und gebastelt. Mein Kind entfremdet sich immer mehr von mir, und ich habe kaum Zugang zu ihm. Es ist schwierig, die Beziehung so aufrecht zu erhalten beziehungsweise wieder zu festigen. Auch vom Jugendamt fühle ich mich in dieser Hinsicht nicht unterstützt.

Was würde helfen in der derzeitigen Situation?

Ein Treffen mit dem Jugendamt. Und einen Nachmittag mal mit meinem ältesten Kind zu haben.

Was ist Ihr Highlight des Tages?

Die Natur, Rausgehen, Bewegung, Vogelgezwitscher. Und die gemeinsame Zeit wie Kochen oder Spielen mit meiner Tochter. Ganz alltägliche Sachen.

Kein Treffen mit Papa möglich

Dani M. wohnt mit ihrem 7-jährigen Sohn in Grafing. Sie arbeitet als Assistentin.

SZ: Wie ist die Stimmung zuhause?

Dani M.: Im Gesamten ganz gut, wobei es schon schwieriger ist, weil wir viel aufeinander hängen. Eigentlich viel und doch zu wenig.

Warum zu wenig?

Weil ich relativ viel arbeite. Ich bringe meinen Sohn jeden Tag zu meiner Schwester.

Wann hatten Sie das letzte Mal das Gefühl der Überforderung?

Jedes Mal, wenn große Neuerungen anstehen. Wie letzten Mittwoch, als die neuen Regelungen zur Corona-Krise verkündet wurden: Die Schule beginnt erst wieder am 11. Mai. Ich weiß nicht, wie meine Schwester in den nächsten Wochen arbeitet. Jetzt hat sich mein Sohn auch beschwert, dass er in der Früh nicht mehr alleine sein möchte. Nun muss ich wieder umplanen und überlegen: Kann ich ihn vielleicht vormittags auch mal mit in die Arbeit nehmen?

Wie sieht Ihr Alltag aus?

Um halb sieben geh ich aus dem Haus, mein Sohn schläft dann noch. Wenn er wach wird, ruft er mich erst einmal an. Später geht er zu meiner Schwester, die wohnt 400 Meter weg von uns. Um eins bin ich wieder zuhause und frage meinen Sohn, ob er mitkommt. Ich muss noch zwei, drei Stunden Homeoffice machen. Meistens will er dann noch bei meiner Schwester bleiben. Um vier machen wir meistens Sport, ich gehe eine Runde laufen, er fährt mit dem Roller. Dann kochen wir gemeinsam was, kuscheln und gehen ins Bett.

Was ist am schwierigsten?

Immer in der Luft zu hängen; nicht zu wissen, wie lange welche Regelungen zur Corona-Krise gelten.

Was verschärft die Krise noch?

Mein Sohn leidet total darunter, dass er seine Spezl nicht sieht. Auch seinen Papa kann er gerade nicht treffen. Der wohnt weiter weg, und weil man sich gerade nicht auf Inlandsflüge verlassen kann, konnte er Ostern nicht zu ihm. Wir werden sehr eingeschränkt, weil wir sonst viel unternehmen mit Freunden.

Was würde helfen in der derzeitigen Situation?

Uns würde schon helfen, wenn man sich draußen treffen dürfte. Wenn es soweit kommt, dass die Notbetreuung erweitert wird, würde ich meinen Sohn auch in den Hort schicken. Das wäre für ihn wieder ein Stück Normalität.

Was ist Ihr Highlight des Tages?

Wenn ich mit meiner Schwester einen Prosecco trinke.

Das Gefühl, allein gelassen zu sein

Bettina Arndt arbeitet bei einer Lebensversicherung und wohnt mit ihren Töchtern, 9 und 12 Jahre alt, in Ebersberg.

SZ: Wie ist die Stimmung zuhause?

Bettina Arndt: Es geht noch. Was meine Kinder betrifft, bin ich selbst überrascht; ich hätte es mir schlimmer vorgestellt. Die zwei spielen sehr viel miteinander. Ich glaube, den Kindern geht es besser als mir. Für mich ist das Ganze gerade schon grenzwertig.

Was genau?

Die Arbeit, mit den Kindern, alles. Ich hatte auch ein bisschen Pech. Wegen einer Operation an der Hand war ich schon fünf Wochen zuhause, als die Regelungen erlassen wurden. Man kann nirgendwo mehr Kraft tanken, fühlt sich wie eingesperrt.

Wann hatten Sie das letzte Mal das Gefühl der Überforderung?

Ehrlich gesagt erst heute morgen. Da hatte ich so einen Moment: Ich schaff das alles nicht. Wir haben noch Reste von den Hausaufgaben von vor den Osterferien zu erledigen. Dann ist im Garten der Rasen hoch, es gibt Diskussionen mit meiner großen Tochter - und alles bleibt an mir allein hängen.

Wie sieht Ihr Alltag aus?

Ich arbeite vier volle Tage von zuhause aus. Meine Kinder sitzen dann neben mir am Esstisch, machen ihre Hausaufgaben, während ich am Computer bin. Hin und wieder stellen sie Fragen, dann ruft ein Kunde an, und ich versuche, allen gerecht zu werden. Nachmittags gehts dann weiter mit den Aufgaben, erst dann ist Zeit zu Spielen da.

Was ist am schwierigsten?

Das Pensum an Hausaufgaben für die Kinder. Anfangs hat das System überhaupt nicht funktioniert, und wir wurden täglich mit zahllosen E-Mails bombardiert. Ein totales Durcheinander, und das während meiner Arbeitszeit - ich dachte, ich drehe durch.

Was verschärft die Krise noch?

Die psychische Komponente. Die Tatsache, dass man nirgendwo hin kann, dass man sich alleine gelassen fühlt.

Was würde helfen in der derzeitigen Situation?

Eine Struktur bei den Wochenplänen meiner großen Tochter würde schon einmal eine Erleichterung bringen. Wenn das Betreuungsangebot jetzt erweitert wird, stellt sich mir die Frage: Werden in dieser Zeit auch Hausaufgaben gemacht? Meine Kleine würde ich aber ungern in so ein Betreuungsangebot schicken, weil sie mit Asthma eine leichte Vorerkrankung hat.

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