Konzert in Ebersberg:Marc Ribot und Ceramic Dog geben Bekenntnis zur Unabhängigkeit

Konzert in Ebersberg: Bassist Shahzad Ismaily zählt zu "Ceramic Dog". Im Alten Kino in Ebersberg heizt die Band dem Publikum mit wildem Stilmix und rebellischen Texten richtig ein.

Bassist Shahzad Ismaily zählt zu "Ceramic Dog". Im Alten Kino in Ebersberg heizt die Band dem Publikum mit wildem Stilmix und rebellischen Texten richtig ein.

(Foto: Christian Endt)

Die Musiker lassen das Alte Kino in Ebersberg vibrieren wie selten.

Von Ulrich Pfaffenberger, Ebersberg

Gestern Hamburg, morgen Köln: Wenn sich ein Musiker zwischen Auftritten in zwei Großstädten für einen Abstecher nach Ebersberg entscheidet, dann ist das entweder der Anziehungskraft des Ortes zu verdanken oder guten Beziehungen. Seit Freitagabend gibt es einen Musiker von Weltrang mehr, der die erste Vermutung bestätigen dürfte.

Konzert in Ebersberg: Gitarrist, Sänger und Bandleader Marc Ribot.

Gitarrist, Sänger und Bandleader Marc Ribot.

(Foto: Christian Endt)

Denn der Gitarrist Marc Ribot mit seiner Band Ceramic Dog begegnete im Alten Kino einem ebenso fachkundigen wie begeisterungsfähigen Publikum, für das sein Name Anlass des Besuchs gewesen sein mag, das sich aber von seinem Stil und seinem Gedankenreichtum, musikalisch wie textlich, mitreißen ließ. Da ist nicht nur ein Funke übergesprungen, sondern ein ganzes Elektrizitätswerk.

Konzert in Ebersberg: Schlagzeuger Ches Smith.

Schlagzeuger Ches Smith.

(Foto: Christian Endt)

Was insofern nicht überrascht, als elektrische Instrumente und ein höchst fantasievoller Umgang mit Verstärkertechnik den Klang der Band in einem Maß prägen, dass man als Zuhörer verblüfft feststellt, was man mit Strom alles machen kann. Womit sich auch gleich der Irrtum auflöst, man müsse oder könne einer solchen Musik gleich auch eine Stilrichtung zuweisen. Rock, Jazz, Funk, Punk - das alles steht in den Ankündigungen und Vorschauen, die den Ceramic Dogs vorauseilen. Man darf das getrost ignorieren.

Es legt den Grenzbereich viel zu eng für das, was die Band, was vor allem ihr Leader hören lässt. Nun gibt es den schönen Begriff "Independent" oder "Indie" als Ausweichraum - nicht für Unentschlossene, sondern für die wirklich Unabhängigen. Die sich zwar der verschiedenen Stile und Stilmittel bedienen, sich ihnen aber nicht unterwerfen wollen. Marc Ribot, tonangebender "Sideman" von Größen wie Elvis Costello oder Tom Waits, ist ein Musterbeispiel dafür. Er setzt seinen eigenen Standard.

So erfährt das gebannt an seinen Lippen hängende Publikum im restlos ausverkauften Haus, wie das Glaubensbekenntnis eines Menschen aussieht, der an nichts mehr glauben möchte. In einem fulminanten Monolog, den die beiden anderen auf der Bühne mit donnergrollendem Schlagzeug illustrieren, haut er einen spitzen Pflock nach dem anderen in die scheinbar heile Welt der Kompromisse: "I don't accept. . .", "I resist. . .", "I refuse. . ." Kein Rapper hat je so wortgewaltig und so vehement mit der Sprache den Takt bestimmt oder mit Worten die Tonlage geprägt. Ribot liest seinen "rant" - so nennen sie in den USA eine "Tirade" - vom Blatt und gerät doch keinen Moment in den Verdacht, einen Papiertiger zu reiten.

Seine Sätze folgen nur dem Schlag seines Herzens

Er rezitiert seinen Protest mit dem Duktus und der Intensität dessen, dem es auf Punkt und Komma ankommt, der an der wohlbedachten Reihenfolge festhalten, der nichts übersehen möchte. Seine Sätze folgen keinem Versmaß und keinen Regeln, sondern nur dem Schlag seines Herzens - und umso tiefer dringen sie ein in die Gedanken und Gefühle der Zuhörer. Sie sind nichts anderes als eine persönliche "Declaration of Independence", die Verfassung eines Menschen, der seine Verantwortung für die Welt sieht und andere bewegen möchte, diesen Blick einzunehmen und seinem Beispiel zu folgen.

Auch wenn er aus dem Trio herausragt, so zeigt schon die atypische Anordnung der Positionen Ribots Verständnis für die Rolle, die jedem Bandmitglied zukommt, und für die Botschaft, dass erst das Miteinander den Auftritt glaubwürdig macht. Er selbst sitzt auf der rechten Seite der Bühne, dem Publikum die Seite zugekehrt - was einem das ungetrübte Vergnügen eines freien Blicks auf seine Hände und seine großartige Spieltechnik schenkt.

Ihm direkt gegenüber hat Drummer Ches Smith seinen Platz, der mit ihm in ständigem Dialog steht und dabei Spannungsbögen erzeugt, die den ganzen Raum elektrisieren. Auch er ein makelloser Beherrscher der Technik, mehr noch aber ein Expressionist auf dem Schlagzeug, der aus dem Nichts den Urknall erzeugt, von dem ein Song getrieben ist. Ganz das Gegenteil, lakonisch, in sich ruhend, fast unscheinbar im Ausdruck, Bassist Shahzad Ismaily. Bewusst in der Mitte platziert wird er zum Kern des Universums, um das die Ceramic Dogs kreisen.

Sein faszinierendes Spiel aus fast unbewegter Hand ist, folglich, wie das astronomische Rauschen des Weltalls, der Grundton aller Existenz. Im Kopf der Zuhörer wird daraus eine Art von nie zuvor gehörtem Gesang, als sprächen die Instrumente im Dialog mit ihren Musikern und schüfen einen Chor von klassischer Größe und Mauern erschütternder Kraft.

So etwas hat das Alte Kino noch nie gehört. Seit Freitag vibriert es unter den Nachbeben eines Konzerts, das nachhaltig an Konventionen gerüttelt hat.

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