Porträt eines Eisenbahnaktivisten:"So lange ich kann, werde ich weitermachen"

Porträt eines Eisenbahnaktivisten: Karl Bürger zeigt das Bühnenbild des von ihm geschriebenen Theaterstücks "Der Rebell von Pertskirchen". Überschneidungen mit realen Orten und Personen sind nicht rein zufälliger Natur.

Karl Bürger zeigt das Bühnenbild des von ihm geschriebenen Theaterstücks "Der Rebell von Pertskirchen". Überschneidungen mit realen Orten und Personen sind nicht rein zufälliger Natur.

(Foto: Renate Schmidt)

Seit er zehn Jahre alt ist, ist Karl Bürger von der Eisenbahn fasziniert. Allerdings weniger von den großen Maschinen, als von den vielen Missständen in der Verkehrspolitik. Ohne ihn würde es den Haltepunkt Walpertskirchen nicht mehr geben.

Von Merlin Wassermann, Walpertskirchen

Ein Schauspieler ist er nicht, doch weiß Karl Bürger durchaus, sich in Szene zu setzen. Energisch bewegt er sich in der Mehrzweckhalle Walpertskirchen auf der Bühne seines neusten - und ersten - Theaterstücks hin und her, deutet auf Requisiten aus seiner Sammlung und erklärt mit charakteristisch lauter Stimme die Handlung.

In Kurzfassung: der Bahnhof des halb-fiktiven Orts "Pertskirchen" soll weg, die Bahn frisiert die Statistiken so, dass es wirkt, als sei er nicht rentabel. Der Bahnhofsvorsteher - der titelgebende "Rebell" - spielt nicht mit, setzt alles daran, den Bahnhof zu erhalten, bleibt jedoch am Ende erfolglos: Er wird strafversetzt, die Haltestelle plattgemacht. Am Ende löst sich dennoch alles in Wohlgefallen auf, Pertskirchen kriegt wieder einen Bahnhof, weil ein großer Konzern sich sonst nicht niederlassen würde.

Es ist dabei kein Zufall, dass Pertskirchen nur ein "Wal" fehlt, um auf einer Karte zu erscheinen und dass der Rebell, um den es in dem Stück geht, sich ganz ähnlich wie Karl Bürger um den Erhalt eines Stücks Bahninfrastruktur bemüht. Hauptunterschied zwischen den beiden: Bürger hat nie bei der Bahn gearbeitet.

Als er zehn Jahre alt war, wurde der Bahnhof Walpertskirchen dem Erdboden gleichgemacht

Das mag mit einem Blick auf seine Biographie zunächst überraschen, war doch schon der Vater Zugführer und Bürger selbst von Kindesbeinen auf an Zügen interessiert, wie er sich erinnert: "Alle Gleichaltrigen waren Fußballfans. Mir war und ist Fußball total egal." Der junge Karl spielte lieber am alten Bahnhof in Walpertskirchen und beobachtete das Rangieren der Züge, wenn er nicht gerade vom Vorsteher verscheucht wurde.

Porträt eines Eisenbahnaktivisten: Ein Blick auf den Bahnhof Walpertskirchen vor seiner Schleifung.

Ein Blick auf den Bahnhof Walpertskirchen vor seiner Schleifung.

(Foto: Privat)

Dieses kleine Glück währte jedoch nicht lange: 1966 musste der damals zehnjährige Eisenbahnenthusiast mit anschauen, wie Bagger und anderes schweres Gerät anrückten und den Bahnhof dem Erdboden gleich machten. "Ich habe Rotz und Wasser geheult", sagt Bürger. Bei seinem Vater, der seinen Job nur als Job sah und bei seinen Schulkameraden, die im Fußballfieber waren, stieß Bürger auf Unverständnis. Für ihn hingegen war es das Schlüsselerlebnis seines Lebens.

Bürger beschäftigt sich intensiv mit der Geschichte der Bahn

Auch wenn der Bahnhof gehen musste - seit 1994 hat Walpertskirchen nur noch einen einfachen Haltepunkt - Karl Bürgers Leidenschaft für das Verkehrsmittel blieb. Auf verschiedenste Weisen beschäftigt er sich mit der Eisenbahn und setzt sich für sie ein. Das Theaterstück, welches seine Kritik an einem kundenunfreundlichen und nur an Profit orientierten Unternehmen darstellt, wurde bereits erwähnt.

Porträt eines Eisenbahnaktivisten: Das Haus Karl Bürgers steckt voller Eisenbahnschätze. Manche sind klein...

Das Haus Karl Bürgers steckt voller Eisenbahnschätze. Manche sind klein...

(Foto: Merlin Wassermann)

Darüber hinaus beschäftigt sich Bürger auch intensiv mit der Geschichte der Bahn. So hat er mehrere Bücher und Broschüren zu verschiedenen Strecken im Landkreis und in Bayern veröffentlicht, zuletzt "Blickpunkte am Schienenstrang - Wie die Eisenbahn wurde, wie sie ist". Außerdem hat er geholfen, eine neue Ausstellung in Erding zu kuratieren und ein großes Modell des Bahnhofs Walpertskirchen gebaut, das in der Grundschule des Orts steht. Dazu kommt eine enorme Sammlung an Bahn-Memorabilia, die in seinem Haus zu finden sind: antiquarische Bücher, Uniformen, Schreibtische, halbe Signalanlagen.

Porträt eines Eisenbahnaktivisten: ...andere groß...

...andere groß...

(Foto: Merlin Wassermann)

Die historische Arbeit ist auch hoch politisch. Kaum jemand dürfte über ein derartiges Detailwissen verfügen, was etwa die systematischen Streckenstillegungen im Zuge der Politik des "betriebswirtschaftlich optimalen Netzes" in den 1970er Jahren anbelangt.

Für Bürger waren die Stilllegungen immer schon ein Unding: "Das Schienennetz ist Daseinsvorsorge, das muss sich nicht rentieren!" Bürger schlägt ein Schienennetz vor, das von Steuergeldern finanziert wird, auf dessen Schienen jedoch Wettbewerb herrscht. Leider habe die Bahn in der Vergangenheit gegenüber dem Statussymbol Auto den Kürzeren gezogen - die Effekte spüre man bis heute.

Porträt eines Eisenbahnaktivisten: ...wieder andere sehr alt. Hier zu sehen: ein Fahrkartenschrank des Britischen Erfinders Thomas Edmondson, der im 19. Jahrhundert lebte. Die Schränke wurden bis in die 1980er Jahre verwendet.

...wieder andere sehr alt. Hier zu sehen: ein Fahrkartenschrank des Britischen Erfinders Thomas Edmondson, der im 19. Jahrhundert lebte. Die Schränke wurden bis in die 1980er Jahre verwendet.

(Foto: Merlin Wassermann)

Bürgers verkehrspolitisches Engagement macht jedoch nicht bei der Geschichtsschreibung halt. Sein unbestreitbarer Höhepunkt war der Einsatz für die Bewahrung des Haltepunkts Walpertskirchen. Nachdem die Bahn - wie im Theaterstück - den Bahnhof mit der Begründung geschleift hatte, dass nicht genügend Fahrgäste ein- und ausstiegen, sollte auch der Haltepunkt Anfang der 1990er Jahre verschwinden. Karl Bürger, der den Arbeitskreis Walpertskirchen des Fahrgastverbands Pro Bahn verkörpert, wollte das nicht hinnehmen.

Porträt eines Eisenbahnaktivisten: Karl Bürger ist stolz, dass auch heute noch Züge in Walpertskirchen halten.

Karl Bürger ist stolz, dass auch heute noch Züge in Walpertskirchen halten.

(Foto: Renate Schmidt)

Er erzählt, wie er mit verschiedenen Mitteln sich für den Erhalt des Haltepunkts einsetzte und darauf pochte, dass man ihn durchaus betreiben könne, man müsse nur wollen. Anscheinend hatte er Erfolg, seit 2002 fährt im Zwei-Stunden-Takt ein Zug, sieben Tage die Woche.

Seit mehr als 30 Jahren ist Bürger außerdem ehrenamtlicher Bahnhofspate für den geretteten Haltepunkt. "Davor sah er aus wie jeder Bahnhof und jeder Haltepunkt", sagt Bürger: verwahrlost, schmutzig, mit Graffiti übersäht. Mittlerweile erstrahlt er in den DB-Farben, enthält zusätzliche Fahrplanaushänge und ist von Blumen umringt. Für die "umfassende Aufwertung der Bahnstation Walpertskirchen" erhielten die Gemeinde und Bürger 2006 den Bayerischen ÖPNV-Preis. "Das war ein seelisches Fußbad", erinnert sich der Aktivist.

Porträt eines Eisenbahnaktivisten: Der Haltepunkt Walpertskirchen vor Karl Bürgers ehrenamtlichen Einsatzes...

Der Haltepunkt Walpertskirchen vor Karl Bürgers ehrenamtlichen Einsatzes...

(Foto: Privat)
Porträt eines Eisenbahnaktivisten: ...und wie er sich heute präsentiert.

...und wie er sich heute präsentiert.

(Foto: Privat)

Doch nur selten war das Engagement so befriedigend. Oft wurde Bürgers Einsatz für das als altmodisch angesehene Verkehrsmittel Bahn klein geredet. Man hört die Verbitterung darüber, wenn er von diesen Momenten erzählt: "Enttäuschend ist halt, wenn das ganze Engagement nicht anerkannt, schlimmstenfalls belächelt wird - aber das bin ich gewöhnt."

Das Neun-Euro-Ticket bezeichnet er als "Kasperltheater"

Dazu kommt noch, dass die Bahn, für die er so brennt, aus Bürgers Sicht schlecht geleitet wird: "Die Behörde Bahn war früher unflexibel und hat top-down gearbeitet - aber immerhin waren das Fachleute. Die heutigen Manager interessieren sich nur für Profitmaximierung, nicht für den Eisenbahnbetrieb."

Auch zu weiteren aktuellen Bahnthemen hat Bürger starke Meinungen: das Neun-Euro-Ticket? "Kasperltheater als Lendenschurz für den umweltschädlichen Tankrabatt, bei dem die Mineralölkonzerne gut verdienten." Das 49-Euro-Tickt sei hingegen ein Schritt in die richtige Richtung. Den Brenner-Basistunnel befürwortet er ebenfalls und versteht die Kritik an dem Projekt nicht. "Die Leute stehen in ihren SUVs im Stau - gleichwohl sind sie der Meinung, sie brauchen die Bahn nicht!"

Für die Zukunft der Bahn, die doch im Kampf gegen den Klimawandel eine wichtige Rolle spielen soll, macht sich Bürger dementsprechend wenig Hoffnungen. Man müsse dem Auto Finanzen, Platz und Bedeutung wegnehmen und der Bahn zukommen lassen - im Autoland Deutschland ein unwahrscheinliches Unterfangen. "Die Bahn wird immer stiefmütterlich behandelt werden", so Bürgers Fazit.

Das hindert den Rebell von Walpertskirchen jedoch nicht daran, sich weiter für die Eisenbahn einzusetzen: "So lange ich kann, werde ich weitermachen."

Das Theaterstück "Der Rebell von Pertskirchen" wird vom 17. bis 20. November in der Mehrzweckhalle Walpertskirchen aufgeführt, jeweils um 19.30 Uhr. Ausnahme ist Sonntag, der 20. November, Beginn ist dann um 16 Uhr. Der Eintritt für Erwachsene beträgt neun Euro, fünf Euro für Kinder. Die Sonderausstellung "150 Jahre Endstation Erding. Von der Königlich Bayerischen Eisenbahn zum Erdinger Ringschluss" kann vom 17. November 2022 bis zum 29. Mai 2023 im Museum Erding besucht werden.

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