Süddeutsche Zeitung

Ein Suchtberater erzählt:Im Dauerrausch

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Positive Erlebnisse ohne Rauschmittel sind in der Pandemie nur eingeschränkt möglich

Einen direkten Vergleich zur Prä-Corona-Zeit kann Florian Czapek nicht ziehen. Seine Stelle für Jugendsuchtberatung von Caritas und Kreis gibt es erst seit Juni 2020, da war die Pandemie schon im Gange. Aber in einem Punkt ist sich Czapek dennoch sicher: "Die Fälle, bei denen es schon zuvor einen problematischen Konsum gab, haben sich verschärft." Schwerpunktmäßig betreffe das Marihuana, weniger Alkohol - denn der ist nicht illegal, Schwierigkeiten im Umgang damit fallen dementsprechend weniger auf. Das bedeute jedoch nicht, wie Czapek betont, dass es weniger schlimme Fälle seien, sie flögen eben nur unter dem Radar.

Bei einem Suchtverhalten oder auffälligem Umgang mit bestimmten Substanzen geht es letztlich um die Frage: Ist der Konsum situationsbedingt, also beispielsweise während einer Party, oder ist die Substanz völlig in den Alltag integriert, wird zum Beispiel während des täglichen Online-Gamings gekifft oder Alkohol getrunken? Ist letzteres der Fall, und es gibt keine oder nur noch sehr wenig Lebensbereiche, in denen der Konsum keine Rolle spielt, dann sollte Alarmbereitschaft herrschen. Mindestens. In der Beratung versucht Czapek für gewöhnlich, genau solche Lebensbereiche wieder zu stärken: Freunde treffen, kicken, Schlagzeug lernen, einen Aushilfsjob im Café um die Ecke, all so etwas. Es geht um Situationen, in denen der oder die Jugendliche positive Dinge erlebt, die in Konkurrenz zum Drogenkonsum stehen. "Das größte Problem an den Corona-bedingten Restriktionen ist aus drogenpräventiver Sicht, dass fast alle Möglichkeiten in dieser Hinsicht eingeschränkt waren", so der Suchtberater.

Weniger Sorge bereitet Czapek der gestiegene Medienkonsum, den er ebenfalls feststellt. "Ich denke, das reguliert sich beim Großteil von selbst", sagt er. "Wenn Dinge wie Fußballspielen beim Betroffenen davor da waren, dann freut er sich ja, wenn das endlich wieder möglich ist." Dennoch gilt es, den Einzelfall zu bewerten: Zwei Jugendliche, beiden zocken im Lockdown acht Stunden täglich - dem einen fällt der Gang zurück aufs reale Spielfeld leicht, der andere kommt nicht mehr los vom Bildschirm.

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Quelle:
SZ vom 23.07.2021 / FEJO
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