Süddeutsche Zeitung

Ein Grafinger will's wissen:Von Kunst und Kommerz

Mit seiner "Kundenbefragung" im "Aktionsraum 2" des Kunstvereins Ebersberg irritiert Manuel Strauß aus Grafing manche Besucher - und kratzt ganz bewusst an einem elitären Kunstverständnis

Von Ulrich Pfaffenberger

Frage des Laien an den Künstler zu seiner Kunst: Kann man davon leben? Unter den aktuellen Umständen fällt da manchem die Antwort wohl noch schwerer als sonst. Nicht so Manuel Strauß. Der Grafinger, der unlängst beim "Aktionsraum 2" des Ebersberger Kunstvereins mit Skulpturen aus dem 3D-Drucker für eine futuristische Komponente sorgte, hat die Frage auch schon oft gehört, darauf mit "Ja" geantwortet und dafür oft ein "Echt jetzt?" geerntet. Was mit einer Denk- und Vorgehensweise zusammenhängt, die man so an der Kunstakademie nicht unbedingt vermittelt bekommt. Strauß, selbst Absolvent der Münchner Akademie der Freien Künste und einst Meisterschüler bei Axel Kasseböhmer, verhält sich bei der Preisfindung für seine Erzeugnisse wie ein klassischer Kaufmann: "Lieber 100 Stück für 30 Euro verkauft, als eins für 3000 Euro als Ladenhüter täglich abstauben." Eine Haltung, die in weiten Kreisen der Kunstwelt, das räumt er freimütig ein, "verrufen" ist. Künstler, die sich über die Wirtschaftlichkeit ihres Tuns öffentlich Gedanken machen, würden gern mit dem Etikett "Kommerz" versehen, sagt er. Die respektierte Haltung sei es, lieber den Lebensunterhalt mit Taxifahren oder anderen Nebenberufen zu verdienen "oder am Hungertuch zu nagen", als Kunstwerke zu einem niedrigen Preis unters Volk bringen.

So bewegt sich Strauß' Argumentation auch ein gutes Stück abseits der reinen Lehre. Seine Beispiele wählt er bedacht, aber voller Überzeugung: "Die Konditorin, die eine prächtige Torte bäckt, oder der Automechaniker, der eine Reparatur perfekt durchführt: Nach meinem Verständnis sind das Künstler." Die Liebe zum Material, die Sorgfalt in der Ausführung, sie gehören für Strauß zum Maler oder Bildhauer genauso wie zum Handwerker. Weshalb er es auch für selbstverständlich hält, die Abnehmer der jeweiligen Erzeugnisse als "Kunden" zu bezeichnen. Beim Aktionsraum 2 hat er denn einige Besucher nicht nur mit dem elektrischen Summen seines 3D-Druckers nachhaltig irritiert, sondern noch mehr mit seiner "Kundenbefragung". Einiges an Ablehnung musste er da erfahren, in einem Fall fand er auf dem verteilten Fragebogen sogar ordinäre Beschimpfungen vor. Aber, immerhin, 20 kunstsinnige Menschen nahmen sich seiner Neugier an und gaben Antwort auf Fragen wie "Kann man sich von einer künstlerischen Meinung bedrängt fühlen?", "Hat Kunst einen Mindestpreis?" oder "Wie viel sollte ein schlechter Künstler verdienen?"

Für ein belastbares Ergebnis reichen dem Grafinger Künstler die gesammelten Erkenntnisse noch nicht, gesteht er im Gespräch - und liefert den Grund gleich mit: "Da waren zu viele Künstler unter den Antwortenden, zu wenig Leute von der Straße. Die brauche ich aber, von denen kommen relevante Ansätze, weil sie unbefleckt sind." Weshalb Strauß demnächst den Umfrage-Raum auf München ausdehnen wird, im Rahmen einer Ausstellung seiner Arbeiten dort.

Dass sein Versuch, empirisch zur Kunstkäuferseele vorzudringen, scheitern könnte, befürchtet der Grafinger nicht. Gleichwohl macht er sich Gedanken: "Das kann auch mein künstlerischer Tod in München werden." Schließlich ist das Niveau, auf dem er seine Arbeiten anbietet, weit unterhalb der Ernst-nehm-Grenze:. 32 bis 39 Euro seien Menschen bereit, spontan für ein Kunstwerk auszugeben, das sie dann auch gleich mit nach Hause nehmen, sagt Strauß, ein Preis, den er bei Charity-Veranstaltungen oder auf Märkten gemacht hat. "Ich müsste aber das Zehnfache verlangen, sonst gilt es nicht als Kunst." Eine, wie er meint, sehr elitäre Einstellung, die sich gegen den eigentlichen Sinn von Kunst wende. "Eine Antwort bei der Kundenbefragung auf die Frage, was Kunst auslösen soll, lautete: Erkenntnis, Erfahrung, Erbauung - und dass sie einen bewegt. Da frage ich mich als Künstler schon: Soll da das Werk allein wirken müssen oder darf ich über die Preisgestaltung möglichst vielen Menschen einen Zugang zu diesem Zugewinn für ihr Leben öffnen?"

Zugewinn fürs Leben, Erweiterung des persönlichen Horizonts, Inspiration für die eigene Kreativität: Was Kunst in den Menschen auslöst, die sie wahrnehmen, sei ein Wert für sich, sagt Strauß. Ein Wert, für den der Künstler ein Honorar auch verdient hätte, ohne dass es gleich einen Käufer gibt. Weshalb er das bisherige Modell von Galerien und Ausstellungen in Frage stellt, die Kunst kostenlos öffentlich machen. Ähnlich, wie es der Einzelhandel im Wettbewerb mit dem Online-Versand derzeit überlegt, sei ein Eintrittspreis gerechtfertigt, der wiederum bei einem Kauf verrechnet werden könnte. "Dafür braucht es aber wiederum niedrigpreisige Kunst, um dem Käufer ein Erfolgserlebnis zu verschaffen", so Strauß' Argumentation.

Für verfehlt hielte er es indes, aufs Geratewohl ein Angebot zu machen. "Darum brauche ich eine Zielgruppenanalyse, darum mache ich eine Befragung" - so identifiziere er den Beziehungsraum zwischen seiner Kunst und seinen Kunden. Durchaus ein lohnendes Investment, meint Strauß, denn das erworbene Objekt werde umso eher zum Werbeträger für Verkäufer, Künstler und Kunst, je lebendiger diese Beziehung sei: "Die Menschen freuen sich, wenn sie mit anderen über ihren Kauf sprechen können. Das schafft Nachfrage und damit kommt meine Botschaft noch weiter in die Öffentlichkeit. Was will ich mehr?"

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Quelle:
SZ vom 23.10.2020
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